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Noch reden alle nur davon, aber wann wird denn Erdgas in Deutschland wirklich knapp? Aktuell sind die Gasspeicher Deutschlands und auch die in der EU zu ca. 60 % gefüllt. Der Füllstand ist deutlich höher als vor einem Jahr (aber deutlich niedriger als vor zwei Jahren), und er stieg – trotz aller Hysterie – in den letzten Wochen im Schnitt um etwa 0,3 Prozentpunkte pro Tag. In der Vergangenheit begann die Leerung der Gasspeicher etwa Mitte Oktober. Bei gleichbleibender Einspeicherrate bis dahin wäre ein Füllstand von etwas über 90 % zum Winterbeginn realistisch. Also alles gut?

Das damit gespeicherte Gas, in Deutschland etwa 235 TWh, entspräche dann etwa 22 % des Jahresverbrauchs. Auch hier sind sich die Zahlen nur für Deutschland und für die gesamte EU ähnlich. Bedingt durch die Heizsaison verhält sich der Gasverbrauch zyklisch. Aktuell ist der Verbrauch sommerbedingt gering. Zwischen den Sommer- und Wintermonaten liegt etwa der Faktor drei. Würde also rein hypothetisch die Gaszufuhr (aus allen Ländern) im November komplett gestoppt, würde das gespeicherte Gas zu Jahresende verbraucht sein. Das Szenario ist aber ein reines Rechenexperiment, da Gas auch aus Ländern importiert wird, mit denen die EU keinen Wirtschaftskrieg führt. Laut Tagesschau hat Deutschland allerdings zuletzt 55 % seines Gases aus Russland importiert. Fällt „nur“ das ab November weg, dann würde der gespeicherte Vorrat bis Mitte Februar reichen.

Die Verbrauchszahlen für April und Mai 2022 zeigen eine deutliche Reduktion ggü. dem Vorjahr. Darüber, ob dies auf geringeren Heizbedarf (wärmeres Wetter), schlechtere Konjunktur (Industrieverbrauch), Politische Maßnahmen (Reduktion der Wassertemperaturen im Schwimmbad) oder auf den Preisanstieg (Sparsamkeit oder Wechsel auf andere Energieträger) zurückgeht, lässt sich nur spekulieren. Fakt ist: Die aktuellen positiven Einspeicherraten erreichen wir auch durch einen niedrigen Verbrauch, dies dürfte erklären, warum wir sie trotz der reduzierten Gaszufuhr aus Russland erreichen. Insbesondere ist laut dem Tagesschau-Artikel, sowie einem neueren der FAZ, der Anteil russischen Gases bereits Richtung 30 % gesunken. Dann würde der Füllstand wohl knapp durch den Winter reichen. Vor dem Hintergrund des niedrigen Verbrauchs ist es jedoch leicht, den Anteil russischen Gases zu reduzieren; ob diese Lieferkapazitäten der Länder außer Russland, die mutmaßlich bereits jetzt vollständig ausgelastet werden, bis zum Winter signifikant (Erinnerung: Faktor drei!) angehoben werden können, ist fraglich. Zudem wäre im nächsten Sommer zu klären, womit wir dann die Speicher neu befüllen.

Nun hatten wir bisher mit einem Importstopp russischen Gases ab November 2022 gerechnet. Tatsächlich soll North Stream 1, die wesentliche Gaspipeline aus Russland, ab 11.07. wegen Wartungsarbeiten für 10 Tage außer Betrieb genommen wereden. Da ansonsten nur die durch die Ukraine führende Transgas-Pipeline besteht (die jedoch auch noch andere EU-Länder versorgt) und North Stream 2 und Jamal außer Betrieb sind, kommt dies einem vollständigen Lieferstopp für Deutschland sehr nahe. Politik und Medien spekulieren, ob nach den Wartungsarbeiten die Lieferungen wieder aufgenommen werden. Wenn der aktuelle 30-Prozent-Anteil Russlands stimmt, dann würde, bei geschätztem aktuellem Verbrauch von 1 TWh, zzgl der etwa 0,7 TWh Einspeichermenge am Tag, ein Stopp der Zufuhr aus Russland den Entfall von 0,5 TWh Gas am Tag bedeuten. Dadurch würde die Einspeicherrate auf 0,08 Prozentpunkte sinken. Für 10 Tage wäre dies vernachlässigbar, stoppt die Zufuhr dauerhaft, würden wir bis November noch etwa 70 % Füllstand der Speicher erreichen – also etwa den Füllstand, mit dem wir in den letzten Winter gegangen sind. Das würde dann bei Entfall von 55 % des Gasimports bis Mitte Januar, und beim aktuellen 30-%-Anteil bis Ende Februar reichen.

Zusammengefasst: Sollte ein Import russischen Gases nicht mehr möglich sein, ist mit Gasmangel in Deutschland zu rechnen. Tritt der Importstopp zum Beginn der Heizsaison ein, könnten die bis dahin gespeicherten Mengen knapp über den Winter reichen, falls das Gasangebot der anderen Exporteure ausreichend elastisch ist. Tritt der Importstopp früher ein, oder können die anderen Exporteure nicht mehr liefern, ist bereits ab Mitte Januar 2023 mit akutem Mangel zu rechnen. Die tatsächlichen Auswirkungen würden freilich schon etwas eher eintreten, da die Regierung bereits vor der vollständigen Entleerung der Speicherkavernen radikale Rationierungsmaßnahmen ergreifen würde, um den Verbrauch zu senken.

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