PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Der letzte Artikel zeigt, dass auch bei Umsetzung moderater Spar- und Substitionsmaßnahmen ein Gasmangel im kommenden Winter möglich ist, wenn unsere Gaszufuhr aus Russland gekappt wird. Auch wenn die Reserven für den Winter reichen, wäre dann fraglich, inwieweit eine Befüllung der Speicher für den Winter 2023/24 möglich sein wird. Welche Effekte und Maßnahmen sind also zu erwarten, wenn nicht mehr ausreichend Gas zur Verfügung steht?

Rein wirtschaftlich betrachtet würde der Gaspreis weiter steigen, bis sich ausreichend Gaseinkäufer das Gas schlichtweg nicht mehr leisten können. Da die Nachfrage nach Gas unelastisch ist, wäre der notwendige Preisanstieg enorm. Da viele Endverbraucher mehr oder weniger langfristig Preise mit ihren Versorgern vereinbart haben, entsteht bei diesen ein Solvenzproblem, das über kurz oder lang zur Zahlungsunfähigkeit, und daraus folgend zur Einstellung der Belieferung des Versorgers und seiner Kunden führen würde. Als Gegenmaßnahme ist im EnSiG § 24 vorgesehen, dass die Versorger in dieser Lage ihre Einkaufspreise an die Verbraucher durchreichen können. Das Solvenzproblem verschiebt sich dann zu den Privathaushalten – dort typischerweise „Armut“ genannt. Zugleich wäre diese Maßnahme ein massiver Vertrauensbruch für alle Kunden, die vorausschauend gehandelt und langfristige Verträge abgeschlossen haben. Zumindest das Armutsproblem dürfte der Regierung vage bewusst sein, sodass mit gewaltigen weiteren Hilfspaketen für die Bürger in Form von Ausgleichszahlungen oder Steuerermäßigungen zu rechnen wäre.

Bei akutem Gasmangel, das entspricht der dritten Stufe („Notfallstufe“) des Notfallplans Gas, wird die Regierung dann durch die Bundesnetzagentur über die Zuteilung von Erdgas entscheiden. Diese Maßnahmen werden voraussichtlich nicht erst ergriffen werden, wenn die Speicher leer gelaufen sind, sondern bereits vorher, um die Reserven über die Zeit zu strecken. Abhängig von der Entscheidung können grob drei mögliche betroffene Bereiche identifiziert werden: Die Privathaushalte, die Industrie und die Stromerzeugung.

Kürzt die Regierung den Privathaushalten die Zufuhr, wird der Winter im wahrsten Sinne des Wortes ungemütlich – jedenfalls in den eigenen vier Wänden. Wahrscheinlich müssten wir uns großflächig auf Wärmestuben in den Teilen Deutschlands einrichten, die vorwiegend mit russischem Gas versorgt werden. Da die Menschen die Folgen unmittelbar zu spüren bekommen, wäre es vermutlich der direkteste Weg, die Knappheit in einen Volksaufstand umzuwandeln. Zudem weist die Bundesnetzagentur darauf hin, dass eine Reduktion des Drucks in den Gasleiten zum Auslösen von Sicherungen in den Gasheizungen führe, die durch Installateure wieder freigeschaltet werden müssten. Das heißt, dass infolge eines solchen Ereignis die Heizungen wohl wochenlang ausfallen würden. Daher scheint es schwer vorstellbar, dass die Behörden diesen Weg wählen würden.

Wenn der Industrie das Gas abgeschaltet wird, sind grob zwei Gruppen von Unternehmen betroffen: Chemische Betriebe, die Gas als Rohstoff und nicht als Energiequelle nutzen, sowie Betriebe, die Gas zur Wärmeerzeugung nutzen, etwa in Schmelzöfen. Die betroffenen Betriebe müssten ihre Produktion drosseln oder sogar einstellen. Infolgedessen wird es kurzfristig zu Knappheiten und mittelfristig (verzögert aufgrund von Rigiditäten aus Arbeitsverträgen und Instrumenten wie Kurzarbeitergeld) zu Einkommensverlusten kommen. Hinzu kommt, dass einige Anlagen durch ihre Abschaltung beschädigt oder gar zerstört würden. Schmelzöfen und chemische Anlagen sind oft für den Dauerbetrieb ausgelegt; ihre Abschaltung würde zur Erstarrung der Werkstoffe führen. Die Anlagen können ggf. nicht mehr oder nur unter großem Aufwand wieder in Betrieb gesetzt werden. Aus einer Gasabschaltung kann so ein massiver Kapitalverlust entstehen, der einzelne Betriebe besonders treffen und, unkompensiert, zahlreiche dauerhafte Betriebsschließungen auslösen würde. Obwohl eine solche Maßnahme also einen Deindustrialisierungsschub auslösen würde, halte ich es für denkbar, dass die Behörden die Gaszuteilung der Industrie kürzen; dies ist in den Notfallplänen sogar vorgesehen. Ähnlich wie bei den Lockdowns würde der Bund mutmaßlich die Schäden mit Geld kompensieren – ein neuer Schub leistungsloser Geldzahlungen mit inflationärer Wirkung.

Entscheidet die Regierung, die Gaskraftwerke abzuschalten, wären Stromausfälle die Folge. Dabei würde nicht dauerhaft, d.h. nicht tagelang der Strom ausfallen: In den Mittagsstunden, wo selbst im Winter etwas Solarstrom erzeugt wird, und bei windigem Wetter würde ausreichend Strom zur Verfügung stehen. Die Gefahr eines richtigen unkontrollierten „Blackouts“, d.h. eines flächigen und langandauernden Stromausfalls halte ich für eher gering, da die Behörden dies durch gezielte Abschaltungen vermeiden können. Kurzzeitige unkontrollierte Stromausfälle infolge von Netzinstabilitäten könnten jedoch zunehmen.

Für die Phasen nicht ausreichender Stromerzeugung könnte beispielsweise der Strom in einzelnen Stadtvierteln im Wechsel abgeschaltet werden. Die Folgen für unser Leben wären massiv: Die Beleuchtung würde ausfallen; wir säßen im Dunkeln. Der Herd bliebe kalt. Die Nutzung von Computern wäre unmöglich. Radio hören und Fernsehen gingen nicht. Und auch der Betrieb von Smartphones mit geladenem Akku wäre nicht sinnvoll möglich, da zugleich die Internetversorgung ausfallen würde. Wo vorhanden, werden Notstromaggregate einspringen, was den Dieselverbrauch im Land erhöht. Allerdings würde nicht vollumfänglich der verbrauchte Strom eingespart werden, da auch Nachholeffekte auftreten: Kühltruhen werden, sobald der Strom wieder da ist, den Kälteverlust ausgleichen. Ggf. würden die Menschen als Reaktion sogar die Kühltemperatur senken, um längere Ausfallphasen überbrücken zu können. Und auch Fernsehkonsum oder PC-Nutzung würde in Zeiten verfügbaren Stroms teils nachgeholt werden. Der Einspareffekt sinkt also, jedoch verderben auch nicht die gekühlten Lebensmittelvoräte der Bürger. Mitbetroffen wäre auch die in den entsprechenden Gebieten angesiedelte Industrie mit entsprechenden Produktionseinbußen. Insgesamt wären die Folgen für den Lebensrhytmus der Bürger gravierend, da der Tagesablauf an die Stromverfügbarkeit angepasst werden müsste. Neben dem unmittelbaren Verlust an Lebensqualität würde dies zudem psychische (ähnlich zur Zeitumstellung) und wirtschaftliche (Produktivitätsverluste und geringere Arbeitszeiten) Folgen haben.

Alternativ zu einer Abschaltung von Stadtteilen könnte direkt die Zuteilung von Strom an die Industrie gekürzt werden, mit ähnlicher Wirkung wie bei Kürzung der Gaszuteilung. Denkbar wäre auch, den Betrieb von Elektrofahrzeugen zu verbieten. Dies ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, nachdem bisher die Menschen politisch gewollt zur Elektromobilität gedrängt wurden. In diesem Fall würde der Verbrauch vermutlich durch Verbrennungsmotoren substituiert werden; Gebrauchtfahrzeuge sollten ausreichend verfügbar sein. Hierdurch stiege jedoch der Benzinverbrauch, wo die Versorgungslage ohne russisches Öl auch bereits angespannt ist. Denkbar wäre auch, den Bahnstrom abzuschalten. Auch dies halte ich für sehr unwahrscheinlich, da die Kollateralschäden enorm wären: In geringem Umfang würde auch hier eine Substition erfolgen, aufgrund von Fahrzeugmangel jedoch nur in geringem Umfang. Schlimmer wäre, dass in gewaltigem Ausmaß Lieferketten zusammenbrechen würden – Lieferketten, etwa Kohletransport, die wiederum für die Aufrechterhaltung der Energieversorgung notwendig sind. Die Folge wäre ein unkontrollierter Zusammenbruch des Landes.

Besser funktionieren würde allerdings eine Kürzung des öffentlichen Personenverkehrs, die, ähnlich wie in den Lockdowns, durch die Anordnung von Home-Office flankiert werden könnte. Die erhoffte positive Wirkung auf den Stromverbrauch könnte mit einer Werbekampagne für energiesparende Freizeitbeschäftigungen unterstützt werden. Mit der Home-Office-Maßnahme würde man noch weitere Effekte erzielen: Der Benzinverbrauch durch Pendler würde reduziert, was den Ölverbrauch entlastet und die Heizungen von Büroräumen könnte reduziert werden, was ebenfalls Gas spart. Allerdings wäre die Voraussetzung, dass die Stromversorgung der Haushalte und das Internet stabil bleiben, dann jedoch halten sich die negativen Folgen in Grenzen, und diese Grenzen sind seit den Corona-Lockdowns bekannt und von den Menschen eingeübt. Damit wäre dies eine vergleichsweise attraktive Maßnahme. Die Schulen würde ich jedoch nicht schließen, da, jenseits von den auch inzwischen bekannten Schäden für die Kinder, Online-Unterricht vermutlich keine positive Energiebilanz hat.

Als Regierung würde ich jedenfalls mit einer Home-Office-Anordnung beginnen und die Heizungen öffentlicher Gebäude abschalten. Im zweiten Schritt kämen Kürzungen bei Industriebetrieben, bei denen keine Schäden an den Anlagen drohen. Drittens würde ich die Gaskraftwerke abschalten, also die Stromerzeugung reduzieren. Dies würde ich durch Abschaltung des Stroms in wechselnden Stadtteilen umsetzen. Im vierten Schritt kämen die verbleibenden Industriebetriebe an die Reihe, und erst zuletzt die Gasheizungen von Privatleuten. Ich glaube allerdings nicht, dass eine Regierung diese Maßnahmen bis zur fünften beschriebenen Stufe im Amt erleben würde.

Gegenwart