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Wer Verfassungsfeinde sucht, suchte klassischerweise nach Kommunisten und Nazis. Während nach dem Zerfall des Ostblocks als ideologischem Gegner das Interesse an Kommunisten nachließ, stehen seit 2001 Islamisten im Fokus der „Verfassungsschützer“. Auch wenn sich „das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben [hat]“ (Präambel des Grundgesetz), scheint es angesichts von ca. 80 Mio. Deutschen nicht unwahrscheinlich, dass sich einige Tausend fundamentale Gegner dieser Verfassung finden lassen. Ebensowenig verwunderlich wäre, wenn sich ein paar Millionen Deutsche mit einzelnen Aspekten des Grundgesetz nicht identifizieren können. Doch was ist überhaupt ein Verfassungsfeind? Im Sinne des Widerstandsrechts von Artikel 20, Absatz 2 Grundgesetz ist es „jede[r], der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen“, wobei „diese Ordnung“ durch Demokratie, Sozialstaatlichkeit, Föderalismus, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und die Staatsform einer Republik definiert wird. Dies umfasst die genannten Gruppen: Nazis und Islamisten als Gegner von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Republik. Kommunisten sind zwar heutzutage eher selten und eine heterogene Gruppe; die Definition trifft aber beispielsweise zumindest auf Stalinisten zu.

Verschiebt man das Suchfeld jedoch auf Politiker und gewisse Behörden, fällt es paradoxerweise jedoch weitaus leichter, Verfassungsfeinde zu finden. Denn deren Definition trifft auch auf Politikern zu, die Gesetze vorschlagen, die an der verfassungsmäßigen Ordnung rütteln. Im weiteren Sinne lassen sich auch Befürworter verfassungswidriger Gesetze als „Verfassungsfeinde“ definieren. Solche Politiker haben eine lange Tradition; Hermann Höcherl (Bundesinnenminister, CSU) prägte 1963 den Satz, „die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“ als Ausrede für Verstöße gegen das Grundgesetz durch den „Verfassungsschutz“. In dieser Tradition richten sich viele Versuche zur Einschränkung der Freiheitsrechte der Verfassung auch gegen Artikel 10, das Post- und Fernmeldegeheimnis, und Artikel 13, die Unverletzlichkeit der Wohnung. Unzählige Gesetzesvorhaben, angefangen vom „großen Lauschangriff“ bis hin zur Vorratsdatenspeicherung. Beides wurde von BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Mit umso größerer Hartnäckigkeit versucht die Regierung seither, erneut die Vorratsdatenspeicherung zu implementieren. Andere Maßnahmen richten sich gegen den Wesensgehalt der freien Arbeitsplatzwahl (Artikel 12), die mit der Sanktionspraxis von Hartz IV im Konflikt steht, oder gegen die Intention der Freizügigkeit (die sich im GG nur auf das Bundesgebiet bezieht, Artikel 11) und durch die Einführung von Pässen ohne Ausreisegenehmigung für vermeintliche Terroristen eingeschränkt wird. Neben der Vorratsdatenspeicherung interessiert sich unsere Politik derzeit auch für das Asylrecht (Artikel 16a), das bereits in den 1990ern eingeschränkt wurde und für das nun erneut von verschiedenen Seiten Einschränkungen gefordert werden, sowie auf Koalitionsfreiheit (Artikel 9), die durch ein Gesetz zur Tarifeinheit, mit dem kleinen Gewerkschaften die Zähne gezogen werden sollen, beschränkt werden soll. Und dort, wo die Politik noch kein Gesetz zur Einschränkung der Grundrechte geschaffen hat (oder diese Gesetze vom BVerfG für nichtig erklärt wurden), schaffen dann Behörden schonmal/trotzdem Fakten: Wie 1963, als der sog. „Verfassungsschutz“ die Verfassung durch Abhörmaßnahmen brach, oder wie jetzt unsere Nachrichtendienste der NSA – nach allem was wir wissen – nach Kräften beim Abhören deutscher Staatsbürger geholfen haben. Auch angesichts dieser 24-seitigen Liste von verfassungswidrigen Gesetzen von 1990 bis 2014 stellt sich die Frage: Sind unsere gewählten Politiker vielleicht doch die größere Gefahr für unsere verfassungsgemäße Ordnung, als ein paar tausend Terroristen und Radikale verschiedener Couleur?

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