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Ein alter Witz lautet: „Wenn ich den Verteidigungsminister einen ‚Idioten‘ nenne, ist das dann nur eine Beleidigung, oder bereits der Verrat militärischer Geheimnisse?“. Nun wurde dieser Witz neu aufgelegt: „Wenn ich den Bundeskanzler einen ‚Idioten‘ nenne, ist das dann nur eine Beleidigung, oder wird damit sein Wirken erheblich eingeschränkt?“

Was war passiert? Ein Bürger soll im Netz eine Rede des „Herrn Olaf Scholz“ mit den Worten „Was ein Idiot“ kommentiert haben. Dafür habe das Amtsgericht in Kenzingen laut Pressebericht einen Strafbefehl über 1200€ ausgestellt. Hintergrund ist die Strafvorschrift zur Majestätsbeleidigung „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“, §188 StGB. Dazu fällt mir nicht mehr ein, außer: Was für Idioten!

Die Deutschen haben ein Patentrezept für die Lösung aller Probleme: Regeln. Das Wort „Regeln“ gibt es als Substantiv und als Verb. Als Verb beschreibt es den Vorgang, ein Problem geordnet zu bearbeiten; mithin ein Problem planvoll zu lösen. Da dieser Vorgang der Erbringung gedanklicher oder physischer Leistung bedarf – was in Deutschland aus der Mode gekommen ist – bleibt uns noch das Substantiv.

Was immer ist, wir geben uns Regeln. Messerstechereien? Messerverbot! Zu pauschal? Dann halt mit Grenzwert: Ab 6 cm Klingenlänge. Die Leute kaufen keine Wärmepumpe? Machen wir ein „Gebäudeenergiegesetz“, das mittelbar zur Wärmepumpe verpflichtet. Die Leute wollen keine Masken tragen? Maskenpflicht! Corona ist sowieso das beste Beispiel für total aus dem Ruder gelaufene Regulierung. Es ist letztlich der durchaus erfolgreiche Versuch gewesen, das Leben vollkommen zu regulieren: Wer sich unter welchen Bedingungen wem auf wieviel Meter nähern darf, oder konkreter an einem Beispiel: Wer mit wem zusammen Weihnachten feiern darf. Warum nenne ich das ganze „durchaus erfolgreich“? Weil die Deutschen sich im Wesentlichen an diese Vorschriften gehalten haben; und es auch akzeptiert haben, wenn diese mit drakonischen Maßnahmen vollstreckt wurden. Der Versuch einer vollständigen Regulierung des Lebens der Bürger hat funktioniert, selbst wenn es seinen vorgeblichen Zweck, ein Virus auszurotten, nicht erreicht hat.

Eine besondere Marotte ist das Beharren auf Nachweisen für eine Sache, statt auf der Sache selbst. In meinem Berufsalltag ist mir neulich die Formulierung begegnet: „Personen, für die kein Nachweis vorliegt, dass sie entsprechend ausgebildet sind“. Entscheidend ist also der Nachweis, nicht die Qualifikation selbst, sonst hätte man einfach geschrieben: „Personen, die nicht entsprechend ausgebildet sind“. Noch deutlicher ist das Beispiel der „Impfpflicht im Gesundheitswesen“, die aber offiziell eine Nachweispflicht war. Ursache waren sowohl Feigheit als auch Bosheit: Vor einer Impfpflicht schreckte man zurück, da eine Zwangsbehandlung mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar wäre. Andererseits konnte man mit der Festlegung, dass der Impfausweis der erforderliche Nachweis ist, wunderbar die Beweislast auf die zu Impfenden umkehren. Noch ein letztes Beispiel: Importeure müssen nachweisen, dass Produkte keine Vorlieferanten aus Russland haben. Der Artikel beklagt vorallem, dass es anfällig für Täuschung sei; ich frage mich eher, wie man eigentlich einen solchen Negativbeweis führen soll?

Die Sache mit den Nachweispflichten ist aber nicht bloß schrullig, sondern auch ein echtes Problem: Es bindet ungeheuer viel Arbeitskraft und Ressourcen, z.B. in der Pflege oder im Bäckerhandwerk. Auch die Bonpflicht ist eine stramme Leistung, nämlich dass man beim Kauf eines Brötchens beim Bäcker noch ein 20cm langes Blatt Thermopapier mitproduziert (was, nebenbei bemerkt, das Bruttoinlandsprodukt steigert). Ökonomisch ist das auch das Problem der Regelungsflut insgesamt: Die Erzeugung von Blindleistung, die vielleicht BIP-erhöhend, aber niemals wohlstandsfördernd ist.

Berüchtigt für ihren Regulierungswahn ist natürlich nicht nur Deutschland, sondern auch die EU. Gerne muss diese als Sündenbock herhalten, und das gewiss oft zurecht. Doch die schönsten Bürokratismen entstehen erst im Zusammenwirken von EU und Deutschland: EU-Richtlinien müssen von den Einzelstaaten in nationales Recht „überführt“ werden. EU-Verordnungen sind zwar selbst unmittelbar geltendes Recht, werden jedoch auch insoweit in nationales Recht überführt, als das nationale Recht daran angeglichen (statt abgeschafft) wird. Dabei funktioniert das Schwarze-Peter-Spiel zwischen EU und Deutschland dann in Perfektion: Die EU erlässt irgendeinen hochkomplexen Unsinn. Der deutsche Gesetzgeber nimmt das dann, reichert es mit weiterem Unsinn an und führt es ein. Wenn sich einer beschwert, zeigt Deutschland auf die EU: Man habe es einführen müssen, ob man wolle oder nicht. Falls jemand die EU fragt, zeigt die auf die Umsetzung im nationalen Recht.

Die Fakten geben dabei eher der EU recht: Wenn in Deutschland eine große und wichtige Brücke kaputt geht, dauert es viereinhalb Jahre, diese neu zu bauen. Wenn die Brücke weniger wichtig ist, dauert es sechs Jahre, überhaupt eine Entscheidung zu treffen; anschließend wird vier Jahre gebaut. Die Italiener higegen haben innerhalb von knapp zwei Jahren eine eingestürzte Brücke abgerissen und neu gebaut. Aber die Deutschen ficht das nicht wirklich an. Sie glauben an ihre Vorschriften, und der Erfolg gibt ihnen doch recht, oder nicht?

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