Es wird immer absurder
Wer geglaubt hätte, 2020 sei das absurdeste denkbare Jahr gewesen, mag sich getäuscht haben. Denn schon in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres wurden neue Maßstäbe auf der nach oben offenen Absurditätsskala gesetzt.
Wer hätte letztes Jahr gedacht, dass die Demokraten in den USA probieren würden, zehn Tage vor dem Enden von Trumps Amtszeit ein zweites Impeachment einzuleiten? Auslöser hierfür: Eine Horde von Trump-Anhängern, die das Kapitol gestürmt und verwüstet hat. Verantwortlich gemacht wird dafür vor allem US-Präsident Trump durch seine beharrliche Weigerung, seine Wahlniederlage zu akzeptieren und stattdessen ohne Beweise Wahlbetrug unterstellt. Dass Twitter vielleicht irgendwann mal seinen Account sperrt, war vielleicht zu ahnen, Zeitpunkt und Anlass aber doch eher nicht, wo die anlassgebenden Aussagen Trumps nicht aus dem Rahmen dessen fallen, was wir längst von ihm gewohnt sind. Aber wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Alexej Nawalny sich dann mit der völlig zutreffenden Analyse zu Wort meldet, das sei ein inakzeptabler Vorgang von Zensur und schaffe einen Präzedenzfall? Oder dass Angela Merkel das ähnlich sieht?
Aber nicht nur im Wilden Westen herrscht Ausnahmezustand, sondern auch hierzulande wird die Lage immer skurriler. Die auf allgemeinen medialen Beifall stoßende Kritik am Demeter-Verband für einen esoterischen, wissenschafts- und coronaskeptischen Artikel ist an sich nichts Ungewöhnliches, und nur insoweit seltsam, als von diesem Verband doch niemand anderes erwartet haben dürfte? Auch die Tatsache, dass Ausgangspunkt der „journalistischen“ Berichterstattung hier mal wieder „Kritiker in den sozialen Medien“ sind, ist ja inzwischen leider Teil der „neuen Normalität“. Aber die Hysterie rund um Coronaskepsis nimmt vor allem zu, weil der zweite Lockdown einigermaßen wirkungslos geblieben ist. Nun fürchtet die Polizei eine schwindende Akzeptanz – vermutlich zu recht. Schräg ist aber, dass die wesentliche Ursache dafür, nämlich Corona-Maßnahmen, die so weit aus dem Gleichgewicht geraten sind, dass sie dem Logik- und Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen widersprechen, der Polizeigewerkschaft angesichts der im Artikel eingebauten Zitate zwar durchaus bewusst scheinen, doch die Schlussfolgerung ist, dass die Politik die Polizei mehr unterstützen solle – und nicht, die aus dem Ruder gelaufenen Maßnahmen neu zu ordnen.
Was ist denn da aus dem Ruder gelaufen? Während die Schulen, wo dutzende Kinder auf engem Raum beieinander sind, bis vor Weihnachten geöffnet blieben, wurde erst nur die Freizeitausübung mit mehreren Personen untersagt, und anschließend ab Dezember alle Geschäfte geschlossen – dieses Mal übrigens auch Baumärkte. Es gab durchaus Argumente, die Schulen möglichst offen zu halten, einerseits die Schwierigkeiten berufstätiger Eltern bei der Kinderbetreuung, die schlechtere Qualität von virtuellem Unterricht und auch die oft schlechten technischen Voraussetzungen. Doch seit Januar bleiben dann auch die Schulen zu, während man sich gegenüber den Arbeitgebern auf eine „dringende Bitte“, Home-Office einzuführen, beschränkt. Während der Vereinssport Privatpersonen seit November untersagt ist, dürfen die Profisportler unverdrossen weitermachen. Sowohl wirtschaftlich relevanter Sport (Fußball-Bundesliga), als auch unbedeutendere Sportarten dürfen von Athlethen der Bundes- und Landesstützpunkte weiter betrieben werden. Der gesellschaftlich (und für das Gesundheitswesen auch wirtschaftlich) relevante Breitensport hingegen liegt hingegen auf Eis. Zusammengefasst lautet die Botschaft: Wir sollen uns jetzt alle (am besten mit Bier und Chips) zuhause vor die Glotze setzen und Fußball gucken, statt Fußball zu spielen. Da aber zunehmend weniger Akzeptanz besteht, auf jedes Freizeitvergnügen außerhalb der eigenen vier Wände zu verzichten, und angesichts von Schneefall viele Familien doch tatsächlich auf die Idee kommen, Rodeln zu gehen, hilft nur eines: Abschreckung! In Holzminden kostet Rodeln jetzt bis zu 25.000 €. Unerklärlich, wieso der Respekt vor Ordnungshütern verloren geht, die solche Maßnahmen durchsetzen müssen...
Parallel dazu beginnt die herbeigesehnte Impfung, überschattet von dem Aufschrei, dass zu wenige Impfdosen verfügbar seien. Mit dem Start der Impfungen verbunden wurde von den Medien, dass man damit eine Perspektive für schrittweise Lockerungen erhält – stattdessen diskutiert die Politik nun, auf welche Weise man den Lockdown noch verschärfen könne. Neue (vorläufige) Höhepunkte: Ein 15-km-Bewegungsradius für Hotspots und FFP2-Masken-Pflicht in Bayern.
Doch nicht nur Corona-Maßnahmen treiben immer neue Blüten: Nach dem bereits 2020 das Gendersternchen es in die gesprochenen Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geschafft hat, kündigte jüngst der Duden an, sich nun endlich auch ordentlich durchzugendern. Künftig soll z.B. die „Lehrerin“ einen eigenen Eintrag erhalten – soweit, so gut – und zugleich der Eintrag „Lehrer“ fest als männliche Person definiert werden. Die Wortbedeutungen, die sich bei der bislang üblichen Verwendung als sog. generisches Maskulinum ergeben, würden damit aus dem Duden entfernt. Die Bedeutung von Worten zu verleugnen, erinnert schon etwas an Orwells „Newspeak“.
Das bietet dann auch eine Steilvorlage für die nächste Skurrilität, diesmal vom Boulevard: RTL „vaporisiert“ Michael Wendler, wenn man im Orwellschen Duktus bleibt. In bewährter Manier der sowjetischen Zensur soll besagter C-Promi nun verschwinden, nachdem man vor mancher unliebsamer Äußerung im Herbst mit ihm noch eine Sendereihe aufgezeichnet hat. Einziger Unterschied: Seine Entfernung wird öffentlich zelebriert. Bei der Ausstrahlung wird sein Name nicht mehr erwähnt, und auch die Erklärtexte für diese Maßnahme nennen den Namen nicht. Das Bild wurde so verändert, dass er entweder außerhalb des Bildes ist, oder, wo dies nicht möglich ist, verschwommen dargestellt. Seine Wortbeiträge werden ausgeblendet, oder durch Texteinblendungen ersetzt, wo sie für die Logik der Sendung unbedingt notwendig waren. Als ein Kandidat der Sendung ein Lied der „Unperson“ singt, wird der Ton ausgeblendet. All das ist sicherlich kein künstlerischer Verlust, und auch dem Unsinn, denn Herr Wendler geäußert hat, sollte man nicht nachtrauern. Dennoch ist diese selbstherrliche Orgie offener Zensur ein Zivilisationsbruch im deutschen Fernsehen – selbst, oder gerade weil er in einer sonst unpolitischen und sowieso völlig niveaulosen Sendung wie „DSDS“ passiert.
Wenn schon die ersten zwei Wochen des Jahres so laufen, vergeht einem das Interesse an den restlichen fünfzig Wochen schnell wieder. Pikanterweise gibt es ja (wahrscheinlich) dieses Jahr eine Bundestagswahl, doch die Wähler scheinen die Zustände gottergeben hinzunehmen. Die CSU seit Krisenbeginn beliebt wie lange nicht, und auf Bundesebene ist auch alles wie immer. Aber wen soll man auch sonst wählen?