PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Vor ein paar Wochen endeten die 33. Olympiade in Paris. Der DOSB titelt, die Athleten hätten „begeistert“ und präsentiert einen Erfolg: „Mit Platz 10 im Medaillenspiegel wurde das vorab ausgerufene Ziel [des DOSB] der Top 10 erreicht.“ Wenn man vorher nachschlägt, dass Deutschland im ewigen Medallienspiegel auf Platz 2 liegt, sieht man das ausgerufene Ziel gleich in ganz anderem Licht. Insgesamt 33 Medallien, davon zwölf mal Gold – das ist doch nicht wenig. Doch wussten Sie, dass man 20 Jahre zuvor in Athen noch 49 Medallien errungen hat? In relativen Zahlen: 2024 brachte man 3,2% aller Medallien nach Hause, 2004 waren es 5,3%. Und haben Sie schonmal einen klareren Abwärtstrend gesehen, als den der folgenden Grafik?

Ich höre schon Ihre Einwände, dass Deutschland doch bloß das neunzehntgrößte Land der Erde mit etwa 1% der Weltbevölkerung sei. Doch der Vergleich hinkt total: Eine ganze Menge großer Länder spielt bei Olympia praktisch keine Rolle, allen voran Indien. Mit Russland war zudem ein olympisch durchaus erfolgreiches Land 2024 ausgeschlossen. Übrigens liegen auf Platz sechs die Niederlande mit etwa 1/5 der Bevölkerung Deutschlands. Vor uns liegen außerdem Italien, Großbritannien, Frankreich und Australien, die alle jeweils weniger Einwohner als Deutschland haben. Wie man es dreht und wendet: Zwar haben 33 deutsche Athleten – ihnen sei herzlich gratuliert – hervorragende Leistungen gezeigt, doch die Leistungsbilanz des Teams insgesamt ist miserabel. Der Geist war willig, Platz 10 zu erreichen. Man erreichte dann auch Platz 10, und doch blieb das Fleisch schwach.

Wie der Begriff schon sagt: Leistungssport hat etwas mit Leistung zu tun; Leistungswille und Leistungsfähigkeit. Willen haben die Deutschen durchaus, etwa den Planeten zu retten oder alle Armen der Welt zu versorgen (dazu ein anderes Mal mehr). Aber zu konkreten erreichbaren Leistungen? Eher nicht. Um leistungsfähig zu sein, braucht es neben Talent auch Training; zu letzterem wiederum Durchhaltevermögen. Für Erfolg auf Spitzenniveau müssen schließlich die Besten selektiert und gezielt gefördert werden. Noch ein Schmankerl aus dem Rudersport gefällig? Der diesmal einzige deutsche Goldgewinner in dieser Disziplin, Oliver Zeidler, wird bezeichnenderweise nicht von den Nationaltrainern trainiert. Der legendäre Deutschland-Achter wurde hingegen „guter Vierter“.

Die Deutschen diskutieren nun aber nicht, wie man Tugenden wie Leistungswillen oder Durchhaltevermögen fördern kann, oder die talentiertesten Sportler findet, sondern nur darüber, Leistungsdruck zu senken und echte oder vermeintliche Ungerechtigkeiten aufzulösen. Geradezu sinnbildlich dazu ist die Debatte um die Bundesjugendspiele:

Ich hatte übrigens als Schüler auch keine Freude an den Bundesjugendspielen, zu denen man uns in meiner Heimatstadt unter dem Titel „Sportfest“ einmal im Jahr ins Stadion Rote Erde verfrachtete. Als Ergebnis habe ich eine Menge Teilnehmerurkunden eingesammelt. Diese Erfolglosigkeit war mir aber eigentlich recht egal; ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich die Veranstaltung als Demütigung empfunden habe, wie anscheinend viele andere. Ich empfand das ganze vielmehr als sinnlos, unfair und langweilig. Sinnlos, weil nie dafür trainiert wurde: Im Sportunterricht wurde irgendwas anderes gemacht, auf dem „Sportfest“ sollten wir dann Dinge leisten, die wir nie geübt hatten – im Falle von Kugelstoßen hatten die wenigsten das überhaupt einmal im Leben gemacht. In die Noten ist das Ergebnis auch nicht erkennbar eingeflossen.

Unfair fand ich die Wettkämpfe, weil Mädchen durchgehend mit weitaus schlechteren Leistungen bessere Punktezahlen erzielten, und das selbst in Altersklassen, in denen die körperliche Leistungsfähigkeit der Geschlechter noch nicht sehr weit auseinanderliegt. Das lag ehrlicherweise wohl auch daran, dass ich ziemlich schlecht im Werfen war und ausgerechnet in dieser Disziplin die Punktetabellen besonders drastische Unterschiede aufweisen (z.B. Ballwurf 30m: Mädchen 395 Punkte, Jungen 243 Punkte), die mich dann die Siegerurkunde gekostet haben. Die Unterschiede sind bestimmt wissenschaftlich begründet, aber erscheinen dem teilnehmenden Kind einfach nur unfair. Es sei auch der Hinweis gestattet, dass in anderen Fächern etwaige Vorteile von Mädchen auch nicht ausgeglichen wurden – im Gegenteil. Und zum Schluss war das ganze „Fest“ einfach langweilig; die meiste Zeit saß man einfach irgendwo herum und das Hauptziel aller war, möglichst bald nach Hause zu dürfen.

Halten wir fest: Man hat also einen Leistungswettbewerb „Bundesjugendspiele“. Leistungsgerechtigkeit ist für die Teilnehmer kaum erkennbar. Trainiert wird für den Wettbewerb nicht. Folgte daraus irgendetwas? Vielleicht gute Noten für gute Leistung, oder Wettkämpfe zwischen den besten der Schulen? Nein. Angekündigt wird ohnehin kein Wettbewerb, sondern ein „Sportfest“. Das Fest ist dann eine langweilige Sitzveranstaltung. Und das soll dem Nachwuchs Freude am sportlichen Wettkampf vermitteln? Welches der Probleme wird jetzt durch die Reform gelöst? Höchstens das der Langeweile.

Was hier nun anhand von Olympia und Bundesjugendspielen durchdekliniert wurde, gilt auch außerhalb des Sports. Leistung fördern? Schauen Sie sich unsere Schulen und Lehrer an. Vom dreigliedrigen Schulsystem will man ja auch weg. Oder schauen Sie sich das Bürgergeld an. Leistung ehrlich bewerten? Sehen Sie sich nur an, was unsere Gesellschaft (und unsere Juristen) aus Arbeitszeugnissen gemacht hat. Auswahl der Besten für eine bestimmte Aufgabe? Nein, wir haben stattdessen Quotenregeln. Das gibt dann auf der ganz großen Bühne Ergebnisse wie folgendes: Im Bundeskabinett haben von den siebzehn Ministern ausweislich ihrer Wikipediaartikel acht nie ernsthaft abseits des Politikbetriebs gearbeitet.

Etwas vornehmer formuliert: Seit vielen Jahren sind die Deutschen bemüht, Unterschiede zu nivellieren. Es begann mit dem hehren Ziel, allen Schichten Zugang zu höherer Bildung zu verschaffen, was in den 70ern unter sozialdemokratischer Führung geschafft wurde. Später ging man dazu über, Unterschiede nicht erst aufkommen zu lassen, indem man keine Anforderungen mehr stellt, keine Leistungen mehr honoriert, sondern jedem Abitur und Hochschulabschluss hinterherwirft. Das mag sich für viele zunächst gefällig anfühlen, doch mündete in einem Niveauverlust, der an der Spitze der Gesellschaft besonders ausgeprägt ist. Anders gesagt: Die Früchte der Politik unterlassener Leistungsförderung sind jetzt auf der höchsten Ebene angekommen – und von dort wird nun wohl kaum Abhilfe kommen.

Ich schrieb zuletzt von den Irrtümern der Deutschen, deren Ausmaß verhindert, dass sich politisch etwas ändert. Zu den Irrtümern möchte ich noch im Einzelnen etwas mehr schreiben. Den Anfang macht die „Schuldenbremse“.

Die Deutschen haben seit Jahrzehnten eine Obsession für Schulden. Sie äußert sich in Wort und Schrift: So erheiterte Franz Josef Strauß am 21.09.1978 sein Publikum mit einer eindrücklichen Rede über den „Schuldenberg“ (Plenarprotokoll 8/104, Video) und an verschiedenen Orten im Land hängen Schuldenuhren, die die Bürger ihrer gemeinsamen Schulden gemahnen sollen. Man könnte vermuten, dass es sich um eine historische Prägung aus Zeiten von Kriegskrediten (1914, Rückzahlung „dank“ Hyperinflation kein Problem) und Zahlungsverpflichtungen des Versailler Vertrags (1919, letzte Rückzahlungen 2010) handelt.

Ich gebe übrigens freimütig zu, dass ich froh bin, keine Schulden zu haben. Es käme mir auch nicht in den Sinn, einen Kredit aufzunehmen, um etwa einen Urlaub zu finanzieren. Für Privathaushalte halte ich eine solche Haltung an und für sich für sehr vernünftig, mit einer Ausnahme: Dem Bau oder Kauf von Immobilien, also Objekten großer Langlebigkeit und Werthaltigkeit, die kaum einer direkt aus dem Portemonnaie bezahlen kann. Historisch ist es auch völlig üblich, dass die Privathaushalte insgesamt keine Schuldner, sondern Sparer sind. Das kann man etwa an den hier dargestellten Statistiken sehr schön sehen. Wenn die Privathaushalte nun sparen, also mehr einnehmen als ausgeben, müssen sich die restlichen Sektoren der Wirtschaft (Unternehmen, Staat und Ausland) mehr ausgeben als einnehmen, sich also verschulden (Stützel, Wolfgang (1958): Volkswirtschaftliche Saldenmechanik). Gesamtwirtschaftlich sind Schulden deshalb nicht böse, sondern vollkommen normal.

Schulden sind für eine rege Investitionstätigkeit sogar notwendig: Eine Investition, als Gegenstück zum Sparen, ist die Verwendung gesparten Geldes, um ein Haus, eine Fabrik oder eine Maschine zu bauen bzw. zu erwerben. Das verwendete gesparte Geld kann Eigenes (Eigenkapital) oder Fremdes (Fremdkapital) sein. Es besteht ein nachhaltiger Gegenwert, der im Falle von Fabrik oder Maschine sogar künftig Gewinne abwerfen soll: Rendite, von der die Zinsen bezahlt und vielleicht sogar die Schulden getilgt werden können. Das Geld, das der private Sparer auf sein Geldmarktkonto legt, verzinst sich ja nicht von selbst; irgedwer muss das, was die privaten Haushalte ansparen, nehmen – also leihen – und die Zinsen erwirtschaften. Offensichtlicherweise ist genau dies die Rolle von Unternehmen. Diese schütten ihre Gewinne an die Sparer aus; in Form von Kreditzinsen an die Gläubiger bzw. als Dividende an die Anteilseigner. Kann der Unternehmer das notwendige Kapital nicht selbst aufbringen, würden ohne die Möglichkeiten von Krediten (und Anteilsverkauf) manche Investition und mancher Gewinn unterbleiben – und mithin wäre auch unser aller Wohlstand kleiner.

Auch der Staat ist ein Akteur, der die Rolle hat, sich zu verschulden. Warum? Aus Sicht der Privathaushalte: Staatsanleihen, also Staatsschulden, sind ein gutes Anlageprodukt für risikoscheue Sparer. Aus volkswirtschaftlicher Sicht: Der Staat investiert dieses Geld insbesondere in Infrastruktur: Schulgebäude, Straßen, Universitäten, Eisenbahn, Feuerwehrhäuser, Kanäle, etc. Diese Infrastruktur wirft gesamtwirtschaftlich auch Rendite ab, was sich für den Staat in Form sprudelnder Steuereinnahmen äußert. Davon lassen sich der laufende Betrieb der vorgenannten Infrastruktur und die Zinszahlungen finanzieren. Auch dies mehrt unser aller Wohlstand. In einer funktionierenden Volkswirtschaft sind also die Privathaushalte die Gläubiger von Unternehmen und Staat. Ein Problem gibt es nur, wenn die Schuldner das Geld verjuxen statt investieren, oder sich mehr leihen, als an Substanz vorhanden ist. Wäre dies ernstlich der Fall, würden die Gläubiger jedoch kaum ihr Geld für zweieinhalb Prozent verleihen. Wenn sie es doch täten: Selbst schuld.

Doch die Deutschen meinten, es besser zu wissen. Die Deutschen waren überzeugt, dass die „schwäbische Hausfrau“ als prototypischer Privathaushalt, der, wie eingangs geschildert, keine Schulden macht, ein geeignetes Vorbild für den Staat sei. Obwohl die Infrastruktur damals schon verlotterte, schrieben sie sich 2011 die „Schuldenbremse“ ins Grundgesetz: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ (Art 109 GG). Viele Bundesländer haben sich außerdem selbst eine Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen geschrieben. Volkswirtschaftlich eine vollkommene Idiotie, begründet mit Aussagen wie, man wirke damit der Neigung des Staates, sich zu verschulden, entgegen. Tatsächlich haben die Deutschen damit erfolgreich die Funktion des Staates lahmgelegt, Investitionen zum Zwecke der Vermehrung des Volksvermögens zu tätigen. Das Problem, dass der Staat auch eine Menge Geld zum Fenster rauswirft, hat die Schuldenbremse dabei eindeutig auch nicht gelöst. Ein anderes Argument war, Schulden machen hieße, auf Kosten künftiger Generationen zu leben. Absolut verrückt – die nächste Generation wird uns für die Ruinen verfluchen, die sie nun statt Schulden erbt: Kreditzinsen hätte man bezahlen können – oder im schlimmsten Falle auch nicht, denn wie heißt es so schön? „Es ist doch nur Geld.“ Die Infrastruktur unseres Landes neu aufzubauen, wird hingegen in einer Generation kaum zu schaffen sein. Und für die verrotteten Schulen sind unsere Kinder uns jetzt schon sehr dankbar (oder etwa nicht?).

Die Schuldenbremse war nicht das Werk obskurer Sabotagetruppen fremder Mächte, sondern das einer ganz großen Koalition von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen. In ihrer Hybris haben diese Parteien das Ganze nicht in ein gewöhnliches Gesetz geschrieben, sondern gleich ins Grundgesetz. Damit braucht es nun eine Zweidrittelmehrheit, die bereit ist, den Fehler zu korrigieren. Aber dazu müsste man erstmal einsehen, einen Fehler begangen zu haben. Davon ist wenig zu erkennen, wie z.B. von der Tagesschau dokumentiert. Der Begriff der „Schuldenbremse“ ist ohnehin ziemlich raffiniert von seinen Schöpfern gewählt: Eine Schuldenbremse abzuschaffen – das suggeriert doch, künftig „ungebremst“ Schulden zu machen. Da sei Gott vor! Politisch gibt es nur bei SPD und Grünen Absetzbewegungen, geboren aus der Not der Haushaltskrise. Für FDP und Union stellt die Schuldenbremse dagegen eine Art Nationalheiligtum dar. Unter den neuen Oppositionsparteien ist die größte, die AfD, sogar für die Schuldenbremse. Eine Zweidrittelmehrheit ist damit nicht absehbar. Die Deutschen irrlichtern also erstmal weiter.

Vierundachtzig Prozent Ablehnung! Ich habe mir nicht ausgedacht, dass die Mehrheitsmeinung so eindeutig gegen die Regierung steht; sondern diese Zahlen werden von den regierungsnahen öffentlich-rechtlichen Medien so publiziert. Kaum gab es in der bundesdeutschen Geschichte je eine Zeit, in der die Ablehnung so einhellig war. Doch warum gelingt es nicht, den Kurs der Regierung zu ändern, den über 80% der Bürger ablehnen, wenn in Deutschland gilt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“? Das ist eigentlich die frappanteste Frage unserer Zeit.

Im Umfeld dieser 84% gibt es doch gleich einen eigenartigen Befund: Demnach dürften höchstens 16% der Wähler die Regierung wiederwählen. Doch in derselben Umfrage sind es 30%. Es ist nicht konsistent – sondern eher an eine Art Stockholm-Syndrom erinnernd – eine Regierung zu wählen, deren Politik ich ablehne. Wenn ich etwa FDP gewählt habe, nun aber SPD und Grüne den Kurs bestimmen, so ist es doch nicht sinnvoll, die FDP zu wählen, die in Duldungsstarre bei dieser Regierung mitmacht. Da gibt es doch Alternativen: CDU, Freie Wähler und AfD. Wenn es mir an Sozialpolitik mangelt, so habe ich doch eine klare Alternative bei Linkspartei oder BSW. Wenn es zu viel Ukrainekrieg ist: BSW und AfD. Wenn es zu wenig Ukrainekrieg ist: CDU (ok, und Grüne, aber eine noch mehr von den Grünen dominierte Regierung ist kaum denkbar). Wenn es Migration ist: AfD, BSW, CDU. Nur wenn es zu wenig Klimaschutz ist, so wird es zugegebenermaßen etwas schwerer, eine Partei zu finden, die da noch mehr fordert, als die Grünen. Doch selbst wenn ich deren 11%, die eventuell keine „bessere“ Alternative haben, abziehe, so bleiben noch 19% Wählerstimmen – noch immer mehr als 16%. Das Wählerverhalten ist also inkonsistent.

Gleichwohl reichen auch 30% nicht aus, um nach einer Bundestagswahl weiterzumachen. Nach den jetzigen Umfragen wäre eine CDU-SPD-Regierung, vermutlich ohne Hinzuziehung der Grünen, wahrscheinlich. Doch wird diese Regierung fundamental anders regieren? Ich glaube das nicht. Zahlreiche der heutigen Probleme resultieren mitnichten aus der Politik der Ampelregierung, sondern aus dem Tun und Lassen ihrer Vorgänger: CDU und SPD unter Angela Merkel. Die Grünen haben nur noch reichlich Benzin in die schon lodernde Glut geschüttet. CDU und SPD werden eher nicht beherzt die Dinge rückgängig machen, die sie selbst angerichtet haben, sondern allenfalls die schlimmsten Auswüchse der Grünen-Politik zurücknehmen. Doch der angerichtete Schaden ist dadurch allein nicht mehr zu kompensieren. Außerdem sind Teile der Grünen-Politik inzwischen auch auf EU-Ebene festgeschrieben. Hier greift dann das Problem, dass diese Parteien in einem selbstgebauten geistigen Gefängnis leben: EU-Vorschrift? Alternativlos. Investitionen? Gehen nicht, weil Schuldenbremse. Ukrainekrieg? Russland-Sanktionen? Putin darf nicht gewinnen.

Wollen die Deutschen also garkeine andere Politik? Weshalb sind sie dann mit der Regierung unzufrieden? Den Deutschen ist inzwischen klar geworden, dass die Lage schlecht ist, und zwar richtig schlecht, auf der faktischen und auf der emotionalen Ebene: Die Wirtschaft schrumpft. Die Infrastruktur ist kaputt. Die Stimmung ist schlecht. Das Bildungsniveau sinkt. Die Gewaltkriminalität steigt. Es fehlen Arbeitskräfte in Produktion und Dienstleistungen. Das Sozialsystem überlastet. Die Bundeswehr ist nicht einsatzfähig. Die Gesellschaft ist in unversöhnliche Gruppen gespalten. Putin gewinnt, obwohl er das nicht dürfe.

Allerdings sind die Wenigsten bereit, daraus ernsthafte politische Konsequenzen zu ziehen. Das hat drei Gründe: Erstes sind bislang nur die wenigsten bisher persönlich betroffen von Wirtschaftskrise und Messerstechereien. Zumindest wirtschaftlich wird sich das noch zunehmend ändern. Zweitens, man hat sich an andere Missstände, etwa in der Infrastruktur, seit Jahren schleichend gewöhnt, dass in Deutschland nichts funktioniert, gilt längst als normal. Drittens, und das ist der interessanteste Grund, stellt die politische Passivität für viele Deutsche ein psychischer Selbstschutz dar.

Die Energiewende finden die meisten Deutschen richtig. Würde man sie fragen, ob wir sie schneller vollziehen müssten, würden viele wohl zustimmen. Die Schuldenbremse finden sie gut, obwohl sie uns schadet. Sie finden es gut, dass wir Unmengen an Ressourcen in die Ukraine pumpen, obwohl uns dies objektiv nur schadet und nichts nützt (Putin gewinnt trotzdem, es dauert bloß länger und es sterben dabei mehr Menschen). Sie finden es gut, dass wir uns die Gaszufuhr gekappt haben, obwohl uns das schadet. Sie finden es richtig, Millionen von Migranten in Deutschlad zu dulden, die kein Asylrecht haben, und für deren Versorgung und Integration wir keine Ressourcen haben. Jene Politik, die die Stimmung im Land versaut und die Gesellschaft gespalten hat, finden sie unverändert richtig. Noch immer hält die Mehrheit eisern an dem Glauben fest, die Lockdowns, die Maskenpflicht, die Impfkampagnen, 3G und 2G seien richtig gewesen. Unverdrossen wird auch an anderen Stellen weiter gespalten, indem verbal gegen Andersdenkende geholzt wird: „Putinknecht!“ „Nazis!“ Und seien Sie sicher: Die glauben das wirklich.

Diese Leute haben sich von den Andersdenkenden (Querdenker! Putinknecht! Nazi!) hermetisch abgegrenzt und bestärken sich nun noch gegenseitig in ihren Irrtümern. In Abwesenheit schlagkräftiger Sachargumente wird die eigene Position mystisch aufgeladen. Dies dient dem psychischen Selbstschutz: Ihre Irrtümer sind so umfassend, dass ein Eingeständnis dem Zusammenbruch des Weltbilds gleichkäme. Das wäre psychisch nicht verarbeitbar, somit sind die Irrtümer nicht aufarbeitbar und politische Konsequenzen nicht möglich. So gesehen ist es erstaunlich, wie viele Menschen inzwischen dennoch AfD oder BSW wählen.

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