PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Die Eurokrise hat inzwischen apokalyptische Züge angenommen. Auf die von Volker Pispers in seinem Programm einmal spaßeshalber aufgeworfene Frage, wie spitz eine Krise eigentlich werden könne, haben wir angesichts der nahezu täglichen Zuspitzungen weiterhin keine endgültige Antwort. Dass Krisen einen Punkt erreichen können, bei dem sie eine Eigendynamik entwickeln, ist freilich bekannt, aus der Ökonomie ist die sog. „galoppierende Hyperinflation“ sicherlich das bekannteste Beispiel (wahrscheinlich, weil Deutschland es 1923 einmal erlebt hat), jedoch gibt es auch deflationäre Abwärtsspiralen, wie sie Irving Fisher schon 1933 als „debt deflation“, Schuldendeflation, beschrieben hat. Ist man erst einmal in einer dieser Dynamiken gefangen, ist ein schneller Ausbruch aus der Krise ein Meisterwerk, während einzelne, vielleicht krisenverschärfende Aktivitäten kaum mehr ins Gewicht fallen: Sie beschleunigen vielleicht den Absturz, aber wirklich schlimmer kann man es ohnehin kaum mehr machen. In Griechenland haben wir es nun zumindest vordergründig mit einer Schuldenkrise zu tun, bei der die Schulden Griechenland schneller überrollen, als man die Wirtschaft dort wieder aufbauen und Altschulden bedienen kann. Die Abwärtsspirale ist längst eingetreten, dafür sind die sich überschlagenden Ereignisse auf politischem und wirtschaftlichem Parkett der Beweis. Schuldzuweisungen, wer wie die Dynamik verschlimmert, helfen nun nicht weiter; Für Erkenntnisgewinn ist nur die Frage, wie diese Krise erzeugt wurde, und um den Beteiligten zu helfen, nur die Frage, wie man die Krise überwinden kann, von Bedeutung. Auf keine dieser Fragen hat die europäische Politik eine schlüssige Antwort.

Sofern unsere Politiker überhaupt eine wenigstens kohärente Erklärung haben, lautet sie: Die griechische Wirtschaft sei durch Korruption und andere strukturelle Probleme, etwa zu hoher Mindestlöhne, zu frühem Renteneintrittsalter und zuviel Kündigungsschutz, nicht wettbewerbsfähig. Deswegen sei die griechische Wirtschaft zusammengebrochen, ein Leistungsbilanzdefizit aufgetreten, dass sich langfristig nicht finanzieren lässt. Diese Logik ist, wie gesagt, zumindest kohärent und in sich schlüssig, kann aber leider nicht erklären, weshalb in Griechenland angesichts der Versuche, Strukturreformen durchzuführen, der Zusammenbruch völlig ungebremst (und vielleicht sogar verstärkt) weiterging. Ökonomische Schwächen weist diese Theorie auch auf, da sie es nicht vermag, diese Entwicklung in einen Zusammenhang zur Eurozone zu bringen. Dabei ist es durchaus erklärungsbedürftig, weshalb erst seit der Euro-Einführung diese Strukturprobleme sich bemerkbar gemacht haben. Die griechische Verwaltung war vorher genauso ineffizient, wie sie es jetzt ist, und die Marktbedingungen genauso schlecht, wie sie es jetzt sind, wenn nicht gar durch die Anpassungsprozesse innerhalb des europäischen Binnenmarktes sogar schlechter als heute.

Eine schlüssige Erklärung der Krise ist, dass das in der Eurozone aufgetretene Lohnstückkostengefälle die Kernproblematik ist. Das hängt auch durchaus mit den strukturellen Defiziten, oder sinnvoller gesagt, mit der vergleichsweise geringen Produktivität der griechischen Wirtschaft zusammen. Passt ein Land seine Löhne nicht der eigenen Produktivität an, kommt es zu Inflation, da die Preise der inländisch hergestellten Güter steigen (die Unternehmer müssen ja die gestiegenen Löhne bezahlen), und die Position am Weltmarkt verschlechtert sich. Kapital beginnt deswegen, dieses Land zu verlassen, um der Inflation zu entgehen, sodass die Währung abwerten wird, was die Weltmarktposition wieder ausgleicht. Die Lohnsteigerungen beeinflussen damit nur die Inflationsrate, die nämlich die Differenz von Nominallohnzuwachs und Produktivitätszuwachs ist, aber die Weltmarktposition, also die Wettbewerbsfähigkeit verändert sich nicht. Diesen Mechanismen folgte Griechenland, solange es seine eigene Währung hatte. Die Euro-Einführung hat die Lage jedoch fundamental verändert: Als kleines Land im Euroraum erhöhen die Reallohnsteigerungen nach wie vor die Kosten der Unternehmen, die nach wie vor ihre Preise erhöhen müssen. Dies hat jedoch nun keinen (oder nur noch minimalen) Einfluss auf den Wert der Währung, den Euro. Die Wettbewerbsfähigkeit gleicht sich nicht mehr aus. Dieser Mechanismus funktioniert nur noch, wenn der ganze Euroraum seine Reallöhne gleichermaßen erhöht. Nun haben diese erhöhten Preissteigerungen in Griechenland natürlich entsprechend der Größe des Landes Einfluss auf die Inflationsrate des gesamten Euroraums, für die man eine Zielrate von 2 % vereinbart hatte. Da diese aber bis zur Krise im Großen und Ganzen eingehalten wurde, musste es (zumal ja auch Spanien und Portugal wie Griechenland über ihre Verhältnisse gelebt hatten) auch Länder gegeben haben, deren Inflation unter der Zielmarke lag. Der geneigte Leser ahnt es wahrscheinlich schon: Es war Deutschland. Deutschland hat seine Reallöhne nicht mehr mit der Produktivität wachsen lassen, hat seine Inflationsrate damit unter die 2-%-Zielmarke gedrückt und seine Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten aller anderen verbessert. Der zentrale Punkt dieser Argumentation ist: Wenn alle sich gleich „falsch“ verhalten, also mehr oder weniger Reallohnsteigerung realisieren, führt dies nur in der ganzen Eurozone zu mehr oder weniger Inflation, als man vereinbart hat, es entsteht jedoch weder ein Ungleichgewicht, noch verändert man damit seine Handelsposition zum Rest der Welt. Weicht man jedoch vom 2-%-Ziel in irgendeine Richtung ab, verletzt man die Vereinbarung des Inflationsziels und verschiebt die Marktanteile innerhalb der Eurozone (weiterhin ohne die Situation der Eurozone gegenüber dem Rest der Welt irgendwie zu verändern, denn dazwischen steht weiterhin der Euro-Wechselkurs). An der eingetretenen Situation sind beide Seiten gleichermaßen Schuld, denn im Mittel wurde die Zielinflation ja eingehalten. Nur im Ergebnis trägt Deutschland keinen Schaden davon, während Griechenland jetzt in einer Katastrophe steckt.

Davon ausgehend ergeben sich drei Szenarien für Griechenland, wenn man von „weiterwurschteln“ absieht:

  1. Der Grexit, d. h. Griechenland führt eine eigene Währung ein. Da die Schulden weiterhin in Euro notiert sind, werden diese nicht automatisch tragfähig. Diese Drachme würde schlagartig erheblich abwerten und müsste von der EZB unter Umständen temporär gestützt werden, um einen Absturz unter ihren angemessenen Wert zu verhindern, der sich aus der Geschwindigkeit der Abwertung in Verbindung mit Spekulationen ergeben könnte. Ergebnis dieser Abwertung wäre: Griechenland wäre sofort wieder wettbewerbsfähig. Jedoch verteuern sich alle Importe schlagartig, sodass sich die Leistungsbilanz zunächst verschlechtern würde. Die verteuerten Importe kann Griechenland mangels Devisen allerdings nicht (lange) finanzieren, sodass es zu einer humanitären Krise kommen kann, wenn lebenswichtige Importe nicht mehr möglich sind. Erst nach einer längeren Anpassungszeit, die angesichts der griechischen Vetternwirtschaft vergleichsweise lang werden würde, würde der Wechselkurseffekt für die Importe oberhand gewinnen (die beschriebenen Effekte auf die Leistungsbilanz sind zusammen genommen der sog. J-Kurven-Effekt). Übersteht Griechenland solange, bzw. wird von Europa über Wasser gehalten, besteht danach die Chance für einen wirtschaftlichen Aufholprozess.
  2. Griechenland senkt seine Reallöhne noch einmal um ca. 20 % (das entspricht dem, was den sog. „Institutionen“ vorschwebt). Dann wäre Griechenland auch wieder wettbewerbsfähig; allerdings würde der Binnenkonsum, d. h. im Grunde die gesamte Wirtschaft, um weitere 20 % einbrechen. Es ist nicht davon auszugehen, dass dies zu einem Aufschwung führt, der die Krisenschäden langfristig kompensieren kann, da ein solcher Vorgang weitere Deflation bedeuten würde, d. h. eine Fortsetzung der deflationären Abwärtsspirale, in der die griechische Wirtschaft bereits steckt. Das Leistungsbilanzsaldo ließe sich auf diese Weise also möglicherweise ausgleichen, jedoch nur um den Preis, Griechenland dauerhaft auf das Niveau eines Entwicklungslandes zu bringen.
  3. Deutschland erhöht seine Reallöhne um 20 %. Binnenkonsum und Importe würden steigen, der Export fallen. Dies erhöht den Lebensstandard in Deutschland (erhöhter Konsum). Ob dies mit rückläufiger Produktion einhergeht, ist angesichts der gegenläufigen Wirkung auf Binnenkonsum und Exportindustrie unklar. Die südeuropäischen Länder würden ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen, ohne ihren Binnenmarkt weiter zu ruinieren.

Offensichtlicherweise ist Szenario 3 das wünschenswerteste, während nur 1 und 2 als realistisch angesehen werden können.

Das schreckliche an der Lage der Eurozone ist, dass niemand in verantwortlicher Position diese Zusammenhänge gesehen hat und was dagegen unternommen hat (was die Krise verhindert hätte), und dass bis heute niemand dort diese Zusammenhänge begriffen hat und entsprechende Konsequenzen für die Politik zieht. Die Erklärung dafür ist, dass es dort niemand erkennen kann, und dass es in Deutschland, weil wir, wie beschrieben, ja nicht den Schaden davontragen müssen, auch niemand wirklich verstehen will. In unseren zuständigen Ministerien und Gremien sitzen hauptsächlich Juristen und Verwaltungsfachleute, die auf ihrem Fachgebiet, dem Rechtswesen und der Verwaltung, sicherlich hervorragende Fachleute sind, nur bedauerlicherweise von Ökonomie, oder gar von Makroökonomie, keine Ahnung haben. Von einem Juristen zu verlangen, dass er weiß, wie man einen Währungsraum stabilisiert, wäre auch reichlich unfair, da es mit seinem Fachgebiet überhaupt nichts zu tun hat. Volkswirte hingegen sind rar in Politik und Ministerien, und Gute derzeit leider erst recht. Indem die Bundeskanzlerin nun jüngst auch durchblicken ließ, wie wenig sie von ökonomischem Rat hält, hat sie auch verdeutlicht, dass unsere Politik sich in diesem intellektuellen Gefängnis bequem gemacht hat. Daraus kann man nur die düstere Prognose ziehen, dass es kein Licht mehr am Ende des Tunnels gibt – weder für Griechenland, noch für Deutschland. Denn sollten die anderen Länder in ihrem Krisenzustand verharren, bricht der Euro irgendwann zusammen, weil die deutschen Kapazitäten und der deutsche Wille, die anderen Länder weiter über Wasser zu halten, wenn es keine Aussicht auf Besserung gibt, irgendwann vorbei sein wird. Dann wäre auch das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende, weil wir niemanden mehr niederkonkurrieren können. Sollten die anderen Länder sich jedoch erholen, so geht dies, wenn dies unter Deflationspolitik passiert, auf Kosten Deutschlands, weil diese Länder dann anfangen (müssen), unsere Marktanteile zurückzuerobern, was für uns ohne Wachstum dann absolute Verluste bedeuten würde. Und zuletzt besteht die Gefahr das das europäische Katastrophenmodell zur Blaupause für Deutschland würde, wenn der Bund den Spar- und Steuersenkungswettbewerb zwschen Bundesländern und Kommunen weiter anheizt, und damit Wettbewerbsfähigkeitsungleichgewichte innerhalb Deutschlands erzeugt. Das wäre dann auch in Deutschland der „worst case“.

Gegenwart