PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Vor mehr mehr als einem halben Jahr hat Corona zahlreiche Menschen und unsere Gesellschaft infiziert. Die meiste Zeit seither verbrachte sie in einem Zustand einer äußerst langsamen Rekonvaleszenz. Jetzt aber kommen, da hatte die Kanzlerin vor einigen Tagen nicht unrecht, „Tage der Entscheidung“. Allerdings meinte sie wohl etwas anderes als ich: Für sie entscheidet sich in diesen Tagen, ob das inzwischen stark beschleunigte Infektionsgeschehen sich hin zu einer massenhaften Infektion großer Bevölkerungsteile entwickelt, oder die Ausbreitung von Covid-19 weiterhin eingedämmt werden kann. Das mag sein, aber parallel dazu entscheidet sich auch, ob sich in Deutschland ein Gesundheits-Totalitarismus durchsetzt.

Bislang lebten in einem Staat und einer Gesellschaft, die auf einer Reihe von Rechten und Prinzipien gründeten: Neben Menschenwürde, Demokratie und Sozialstaatsprinzip sind das etwa Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Eigentumsrechte und Freizügigkeit. Diese Rechte wurden weitgehend garantiert, und deren Wahrnehmung gesellschaftlich akzeptiert. Doch die Corona-Infektion unserer Gesellschaft ist ein Katalysator für eine Erosion dieser Gewissheiten der letzten Jahrzehnte, die seit einigen Jahren um sich greift.

Im Mai schrieb ich: „Wir spüren jetzt zwar, was diese Grundrechte praktisch bedeuten, aber nehmen deren Einschränkung jedenfalls vorläufig hin. Der Protest dagegen ist bislang überschaubar, wenngleich der Unmut langsam wächst. Die bange Frage ist, ob wir aus dieser Erfahrung heraus in unserer Wachsamkeit zur Verteidigung unserer Freiheitsrechte gestärkt hervorgehen, oder die Einschränkung unserer Rechte zur akzeptierten Normalität wird.“ Jetzt, fünf Monate später, wurden zahlreiche Einschränkungen gelockert, doch keine Rechtseinschränkung ist ganz und gar entfallen. Und selbst diese Lockerungen stehen unter Vorbehalt; gewissermaßen wurde die ganze Bevölkerung auf Bewährung in gewisse Freiheiten entlassen, mit der Option zum jederzeitigen Widerruf. Jetzt, wo die Zahlen wieder steigen, steht genau dieser Widerruf im Raum, und die Schuld wird den Menschen zugewiesen, die von den gewährten Freiheiten zuviel Gebrauch gemacht hätten. Im Fahrwasser der Krise versucht die Regierung gerade übrgens, ihre krisenbedingten Sonderrechte zu verstetigen, um auch in Zukunft jederzeit und im Zweifel ohne Parlamentsbeschluss restriktive Maßnahmen für den Infektionsschutz ergreifen zu können.

Erstaunlich finde ich, dass der Widerstand gegen diese Zustände überschaubar geblieben ist, ja im Gegenteil, diese Einschränkungen von einer Vielzahl von Menschen nicht nur akzeptiert, sondern begrüßt und gefordert werden. Wo immer man ist, was immer man tut, stets erinnern einen suggestive Hinweisschilder, freundliche Durchsagen, Appelle der Nachrichtensprecher und wohlmeinende Mitbürger an die heutigen Bürgerpflichten: Kontakte vermeiden, Masken tragen, desinfizieren. Kein Geschäft, kein Unternehmen und fast keine Personen des öffentlichen Lebens trauen sich, sich auch nur insoweit non-konform zu verhalten, dass Sie diese Hinweise unterlassen.

So kritikwürdig die anscheinend tatsächlich vorhandene Reise-Sucht vieler Deutscher sein mag; Wenn wir zehntausende Urlaubsrückkehrer unter Quarantäne stellen, handelt es sich dann wirklich noch um die Einschränkung der Rechte Einzelner zum Wohle der Mehrheit? Was ist Reisefreiheit überhaupt noch wert, wenn der Preis ihrer Wahrnehmung eine zweiwöchige Quarantäne ist, oder ein Beherbergungsverbot verhängt wurde, das zwar Reisen nicht verbietet, aber verunmöglicht, wenn die Hotels einen nicht übernachten lassen dürfen? Was ist Meinungsfreiheit wert, wenn es zwar nicht illegal, aber illegitim wird, von der Mehrheits- und Regierungsmeinung abzuweichen?

Letzteres ist auch die Frage nach der Zukunft gesellschaftlicher Debatten in Deutschland, die nicht erst seit Corona zunehmend darin bestehen, einander mit Beschimpfungen und Unterstellungen zu diskreditieren. Wer mit Skepsis auf die Corona-Maßnahmen blickt, wird zum „Corona-Leugner“, wer tatsächlich oder vermeintlich gegen die Regeln verstößt, ist ein „Covidiot“. Gewissermaßen als Exempel wurden einige anscheinend wahnsinnig gewordene C-Promis medial hingerichtet, und nun stets genannt, wenn die Rede auf Kritik an der Mehrheitsmeinung kommt, um pauschal jede Kritik in das Licht des Wahnsinns rücken. In demselben Licht erscheinen dabei auch die Freiheitsrechte selber, auf deren Wahrung die diskreditierten Kritiker pochen. Das ist kurzfristig staatstragend, weil der Staat aktuell eben jene Rechte beschränkt, doch es zersetzt langfristig das Fundament unserer Gesellschaftsordnung: Das Grundgesetz mit eben jenen dort verankerten Rechten. Je mehr Themen auf diese Weise durch die mediale Öffentlichkeit „aufbereitet“ wurden – und geschah vor Corona bereits mit „Euro“ und „Flüchtlingen“ – desto mehr Menschen werden zwangsläufig in eine Ecke gedrängt, in die sie nie wollten. Diese Art von Debattenführung verschafft der medialen Meinungsführern einen kurz- und mittelfristigen Vorteil, indem ihre Gegner mundtot gemacht werden, doch langfristig ist es ein Konjunkturprogramm für den politischen Extremismus in Deutschland. Es ist zwar sinnlos, die Frage zu stellen, ob wir auf diesem Niveau weiter debattieren wollen, aber wir sollten uns fragen, wie lange unser Land das noch aushält.

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