PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Ich schrieb zuletzt von den Irrtümern der Deutschen, deren Ausmaß verhindert, dass sich politisch etwas ändert. Zu den Irrtümern möchte ich noch im Einzelnen etwas mehr schreiben. Den Anfang macht die „Schuldenbremse“.

Die Deutschen haben seit Jahrzehnten eine Obsession für Schulden. Sie äußert sich in Wort und Schrift: So erheiterte Franz Josef Strauß am 21.09.1978 sein Publikum mit einer eindrücklichen Rede über den „Schuldenberg“ (Plenarprotokoll 8/104, Video) und an verschiedenen Orten im Land hängen Schuldenuhren, die die Bürger ihrer gemeinsamen Schulden gemahnen sollen. Man könnte vermuten, dass es sich um eine historische Prägung aus Zeiten von Kriegskrediten (1914, Rückzahlung „dank“ Hyperinflation kein Problem) und Zahlungsverpflichtungen des Versailler Vertrags (1919, letzte Rückzahlungen 2010) handelt.

Ich gebe übrigens freimütig zu, dass ich froh bin, keine Schulden zu haben. Es käme mir auch nicht in den Sinn, einen Kredit aufzunehmen, um etwa einen Urlaub zu finanzieren. Für Privathaushalte halte ich eine solche Haltung an und für sich für sehr vernünftig, mit einer Ausnahme: Dem Bau oder Kauf von Immobilien, also Objekten großer Langlebigkeit und Werthaltigkeit, die kaum einer direkt aus dem Portemonnaie bezahlen kann. Historisch ist es auch völlig üblich, dass die Privathaushalte insgesamt keine Schuldner, sondern Sparer sind. Das kann man etwa an den hier dargestellten Statistiken sehr schön sehen. Wenn die Privathaushalte nun sparen, also mehr einnehmen als ausgeben, müssen sich die restlichen Sektoren der Wirtschaft (Unternehmen, Staat und Ausland) mehr ausgeben als einnehmen, sich also verschulden (Stützel, Wolfgang (1958): Volkswirtschaftliche Saldenmechanik). Gesamtwirtschaftlich sind Schulden deshalb nicht böse, sondern vollkommen normal.

Schulden sind für eine rege Investitionstätigkeit sogar notwendig: Eine Investition, als Gegenstück zum Sparen, ist die Verwendung gesparten Geldes, um ein Haus, eine Fabrik oder eine Maschine zu bauen bzw. zu erwerben. Das verwendete gesparte Geld kann Eigenes (Eigenkapital) oder Fremdes (Fremdkapital) sein. Es besteht ein nachhaltiger Gegenwert, der im Falle von Fabrik oder Maschine sogar künftig Gewinne abwerfen soll: Rendite, von der die Zinsen bezahlt und vielleicht sogar die Schulden getilgt werden können. Das Geld, das der private Sparer auf sein Geldmarktkonto legt, verzinst sich ja nicht von selbst; irgedwer muss das, was die privaten Haushalte ansparen, nehmen – also leihen – und die Zinsen erwirtschaften. Offensichtlicherweise ist genau dies die Rolle von Unternehmen. Diese schütten ihre Gewinne an die Sparer aus; in Form von Kreditzinsen an die Gläubiger bzw. als Dividende an die Anteilseigner. Kann der Unternehmer das notwendige Kapital nicht selbst aufbringen, würden ohne die Möglichkeiten von Krediten (und Anteilsverkauf) manche Investition und mancher Gewinn unterbleiben – und mithin wäre auch unser aller Wohlstand kleiner.

Auch der Staat ist ein Akteur, der die Rolle hat, sich zu verschulden. Warum? Aus Sicht der Privathaushalte: Staatsanleihen, also Staatsschulden, sind ein gutes Anlageprodukt für risikoscheue Sparer. Aus volkswirtschaftlicher Sicht: Der Staat investiert dieses Geld insbesondere in Infrastruktur: Schulgebäude, Straßen, Universitäten, Eisenbahn, Feuerwehrhäuser, Kanäle, etc. Diese Infrastruktur wirft gesamtwirtschaftlich auch Rendite ab, was sich für den Staat in Form sprudelnder Steuereinnahmen äußert. Davon lassen sich der laufende Betrieb der vorgenannten Infrastruktur und die Zinszahlungen finanzieren. Auch dies mehrt unser aller Wohlstand. In einer funktionierenden Volkswirtschaft sind also die Privathaushalte die Gläubiger von Unternehmen und Staat. Ein Problem gibt es nur, wenn die Schuldner das Geld verjuxen statt investieren, oder sich mehr leihen, als an Substanz vorhanden ist. Wäre dies ernstlich der Fall, würden die Gläubiger jedoch kaum ihr Geld für zweieinhalb Prozent verleihen. Wenn sie es doch täten: Selbst schuld.

Doch die Deutschen meinten, es besser zu wissen. Die Deutschen waren überzeugt, dass die „schwäbische Hausfrau“ als prototypischer Privathaushalt, der, wie eingangs geschildert, keine Schulden macht, ein geeignetes Vorbild für den Staat sei. Obwohl die Infrastruktur damals schon verlotterte, schrieben sie sich 2011 die „Schuldenbremse“ ins Grundgesetz: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ (Art 109 GG). Viele Bundesländer haben sich außerdem selbst eine Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen geschrieben. Volkswirtschaftlich eine vollkommene Idiotie, begründet mit Aussagen wie, man wirke damit der Neigung des Staates, sich zu verschulden, entgegen. Tatsächlich haben die Deutschen damit erfolgreich die Funktion des Staates lahmgelegt, Investitionen zum Zwecke der Vermehrung des Volksvermögens zu tätigen. Das Problem, dass der Staat auch eine Menge Geld zum Fenster rauswirft, hat die Schuldenbremse dabei eindeutig auch nicht gelöst. Ein anderes Argument war, Schulden machen hieße, auf Kosten künftiger Generationen zu leben. Absolut verrückt – die nächste Generation wird uns für die Ruinen verfluchen, die sie nun statt Schulden erbt: Kreditzinsen hätte man bezahlen können – oder im schlimmsten Falle auch nicht, denn wie heißt es so schön? „Es ist doch nur Geld.“ Die Infrastruktur unseres Landes neu aufzubauen, wird hingegen in einer Generation kaum zu schaffen sein. Und für die verrotteten Schulen sind unsere Kinder uns jetzt schon sehr dankbar (oder etwa nicht?).

Die Schuldenbremse war nicht das Werk obskurer Sabotagetruppen fremder Mächte, sondern das einer ganz großen Koalition von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen. In ihrer Hybris haben diese Parteien das Ganze nicht in ein gewöhnliches Gesetz geschrieben, sondern gleich ins Grundgesetz. Damit braucht es nun eine Zweidrittelmehrheit, die bereit ist, den Fehler zu korrigieren. Aber dazu müsste man erstmal einsehen, einen Fehler begangen zu haben. Davon ist wenig zu erkennen, wie z.B. von der Tagesschau dokumentiert. Der Begriff der „Schuldenbremse“ ist ohnehin ziemlich raffiniert von seinen Schöpfern gewählt: Eine Schuldenbremse abzuschaffen – das suggeriert doch, künftig „ungebremst“ Schulden zu machen. Da sei Gott vor! Politisch gibt es nur bei SPD und Grünen Absetzbewegungen, geboren aus der Not der Haushaltskrise. Für FDP und Union stellt die Schuldenbremse dagegen eine Art Nationalheiligtum dar. Unter den neuen Oppositionsparteien ist die größte, die AfD, sogar für die Schuldenbremse. Eine Zweidrittelmehrheit ist damit nicht absehbar. Die Deutschen irrlichtern also erstmal weiter.

Gegenwart