PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Wie ich an früherer Stelle schon schrieb, gibt es schon längst allen Grund, den Botschafter einzubestellen. Bereits die anfänglichen Enthüllungen über das Prism-Programm waren dazu allemal hinreichend. Nun bestellt Westerwelle den Botschafter wirklich ein. Solchen Mut hätte ich ihm zwar nicht mehr zugetraut, aber es offenbart, wie ernst Angela Merkel sich um die Belange des deutschen Volkes schert, demgegenüber sie einen Amtseid abgelegt hat: überhaupt nicht. Denn der Anlass der Einbestellung des Botschafters ist, dass nun auch Angela Merkel selbst abgehört worden sei. Erst, wenn sie selbst betroffen ist, handelt sie. Man muss sich für so eine Kanzlerin schämen.

Wieder und wieder wird in Zeitungskommentaren und Talkshows erklärt, Deutschland dürfe keinesfalls Wettbewerbsfähigkeit abbauen. Dass es Ökonomen, Politiker und Journalisten gibt, die das behaupten, ist dabei zunächst kein Problem: Das fatale ist, dass sie derzeit oft die Gelegenheit haben, das unwidersprochen zu verbreiten. Donnerstag Abend war wieder ein Moment, in dem die Wirklichkeit vor der Meinung kapitulierte, als Clemens Fuest, Ökonom am ZEW, bekannt für arbeitgeberfreundliche Meinungen, verkündete, die anderen Euro-Länder müssten Wettbewerbsfähiger werden, aber Deutschland dürfe keinesfalls Wettbewerbsfähigkeit abbauen. Letzteres sagte er auf die – ungewohnt forsche und nahezu investigative Frage von Maybritt Illner, ob man die Eurokrise nicht auch dadurch entschärfen könne, wenn man die Löhne erhöhe. Gabor Steingart (Handelsblatt-Journalist) sagte nach Fuest dann sinngemäß, es könne ja keiner wollen, dass unsere Wirtschaft zusammenbreche. Damit war das Thema gegessen, niemand klärte auf, welcher Unsinn da eben über die Mattscheibe flimmerte. Nichtmal Ralf Stegner, Vertreter des linken Flügels der SPD, wie oft der einzige Linker der Runde, widersprach. Dabei ist die Frage von Illner durchaus intelligent und zielführend in der Eurokrise.

Wettbewerbsfähigkeit ist eine relative Größe, denn Wettbewerb ist stets ein Duell von zwei oder mehr Kontrahenten. Diese Wettbewerbsfähgikeit bestimmt sich zunächst einzig aus einer Sache: Dem Vergleich des Preises für Güter vergleichbarer Qualität. Wer den niedrigeren Preis verlangt, dessen Produkt wird gekauft. Dieser Preis, also die „Wettbewerbsfähigkeit“, entspringt im Wesentlichen dem Lohnsatz pro Stunde pro Arbeitsproduktivität. Bei gleicher Wettbewerbsfähigkeit muss ein Land mit hoher Arbeitsproduktivität also hohe Löhne zahlen, während ein Land mit geringer Produktivität niedrige Löhne zahlt. Nun gilt im internationalen Handel, über Währungsraumgrenzen hinweg, also etwa zwischen China und Europa, dass unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit sich über Änderungen der Wechselkurse, d. h. Auf- bzw. Abwertung der Währungen, aufheben. Innerhalb eines Währungsraums gibt es diesen Mechanismus aus dem naheliegenden Grund, dass es keine Wechselkurse gibt, nicht. Einzig die Löhne im Verhältnis zur Produktivität entscheiden über das Gleichgewicht eines Währungsraums.

Damit ist erklärt, wie das wirtschaftliche Ungleichgewicht, nämlich der deutsche Export- und der resteuropäische Importüberschuss entstand: Deutschland zahlt niedrigere Löhne pro Arbeitsproduktivität als seine Euro-Nachbarn. Es gibt darum zwei Wege, die Eurozone wieder ins Gleichgewicht zu bringen: Entweder Deutschland erhöht seine Löhne, oder der Rest Europas senkt die Löhne. In beiden Fällen, nicht nur bei einer Lohnerhöhung in Deutschland, wird die deutsche Wettbewerbsfähigkeit leiden gegenüber den europäischen Nachbarn. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit, d. h. z. B. gegenüber China, wird dank der Wechselkurse hingegen langfristig nicht beeinflusst. Fuests vorgeschobene Sorge um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit ist damit völlig gegenstandslos.

Was ist aber nun mit dem Lösungsweg, die Löhne in Deutschland zu erhöhen, verglichen mit dem (schon praktizierten) Vorschlag, die Löhne des Auslands zu senken? Eine Lohnsenkung führt zu einem Einbruch der Binnennachfrage. Nach elementaren marktwirtschaftlichen Regeln senken die Unternehmen dann die Preise. Das bedeutet Deflation. Für die Konjunktur gibt es nun nichts schlimmeres als Deflation, denn angesichts sinkender Preise schieben die Konsumenten Kaufentscheidungen und die Unternehmen Investitionsentscheidungen auf, in der Hoffnung, dass es demnächst noch billiger wird. Das drückt die Nachfrage noch weiter, und setzt eine Abwärtsspirale in Gang. Darum ist der Weg über Lohnerhöhungen aus ökonomischer Sicht zu bevorzugen. Natürlich senkt das das Deutsche Außenhandelsüberschuss, was aber vollkommen unausweichlich zur Lösung der Eurokrise ist.

Darüber hinaus gibt es noch ein zweites Argument, wieso Lohnerhöhungen Lohhsenkungen vorzuziehen sind: In den Jahren des Euros gab es in Deutschland eine Phase der Lohnzurückhaltung, d. h. die Löhne stiegen nur soweit, um die Inflation auszugleichen. Zusätzlich zur Inflation gab es außerdem ein Produktivitätszuwachs, der in den anderen Ländern paritätisch an die Arbeitnehmer weitergegeben wurde. Dass die Arbeitnehmer am Produktivitätszuwachs anteilig (!) beteiligt werden, dürfte allgemein als Gerecht erscheinen, sodass auf der Hand liegt, dass es Deutschland ist, das Nachholbedarf hat.

Das tragische an der Situation ist, dass diese Argumente in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielen. Unvernünftige Vorschläge und Selbst-Weihräucherung dominieren die Öffentlichkeit. Dabei muss jedem vernünftigen Menschen klar sein (oder klar gemacht werden), dass eine Welt, in der jedes Land Außenhandelsüberschüsse erwirtschaftet, unerreichbar ist (für jeden Überschuss muss es anderswo ein Defizit geben) und damit Überschuss- wie Defizitländer gleichermaßen das weltweite wirtschaftliche Gleichgewicht bedrohen. Solange das der Politik nicht klar wird, gießt die Politik weiter Benzin ins Feuer der Eurokrise.

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