PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Nachdem nun das Wahlergebnis vorläufig feststeht, geistert das Wort „Regierungsfähigkeit“ durch das Land. Aber nicht, weil es für Schwarz-Gelb reicht – denn die Regierungsfähigkeit ist ja durchaus auch fragwürdig, nach den Maßstäben, die hier öffentlich angelegt werden – sondern, weil es für Rot-Rot-Grün reichen würde. Prompt bestätigt die SPD ihre (Nicht-)Wähler: Es werde keine Zusammenarbeit mit der Linken geben, sie sei nicht regierungsfähig. Das ist, wenn man es genauer betrachtet, eine einigermaßen bizarre These, wenn man bedenkt, welches Licht sie auf die SPD wirft:

Niemand, so SPD und CDU, wolle eine große Koalition. Die SPD wollte nur Rot-Grün, was jedem denkenden Menschen von vornherein als Wunschtraum erschienen sein muss. Die SPD will also nur träumen, nicht regieren. Diese Botschaft hat sich durchgesetzt; Die SPD hat mit 26 % ein ziemlich schlechtes Ergebnis eingefahren. Eine Partei, die nur träumen will – das ist quasi der Vorwurf der SPD an die Linke, deren Programm sie für realitätsfern hält. Daraus wird auf Regierungsunfähigkeit geschlossen. Diesen Schuh muss sich die SPD an dieser Stelle selbst anziehen.

Tatsächlich kann es sein, dass die Regierungsfähigkeit der SPD, in Form ihrer inneren Geschlossenheit (auch ein Vorwurf an die Linkspartei), auf die Probe gestellt wird. 2009, nach dem 23-%-Desaster, beendete Steinmeiers Putsch, den Fraktionsvorsitz zu übernehmen – eine befremdliche Art, für eine Katastrophe für die SPD Verantwortung zu übernehmen – alle Diskussionen. Das wird dieses Mal kaum noch einmal widerstandslos klappen. Die Seeheimer und Netzwerker werden wie stets versuchen, Sündenböcke zu finden. Der wird sicher nicht Steinbrück sein, sondern das linke Programm, das Steinbrück am Sieg gehindert hätte. Der Rest eines linken Flügels, den die SPD noch hat, wird sich in diesem Fall endgültig in der Situation sehen, dass es auf absehbare Zeit ihre letzte Chance sein könnte, die SPD wieder auf sozialdemokratischen Regierungskurs zu bringen. Dazu müsste man es schaffen, Steinmeier, Steinbrück und andere rechte SPDler loszuwerden. Das birgt das Potential einer neuerlichen Spaltung der Partei.

Im gestrigen Heute-Journal ging es um Peer Steinbrücks Kanzlerkandidatur. Marietta Slomka interviewte Peer Steinbrück – was an Tendenziösität und Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Mit dem Satz „Viele Wähler werden sich denken, [...] hm, große Koalition, das ist die realistischere Machtperspektive – aber den Herrn Steinbrück kriegen wir dann nicht. Wieso steht der dann drauf wenn er am Ende nicht drin sitzt?“ begann ein verkehrte-Welt-Interview, in dem die Fragestellerin mehr Meinung zu Protokoll gab als der Interviewte. Steinbrück erwiderte darauf unter anderem, er möchte das Land gestalten und nicht verwalten, weswegen er den Anspruch habe, Bundeskanzler zu werden. Er möchte nicht der Steigbügelhalter Merkels sein. Soweit eine legitime Antwort auf eine legitime Frage, wenngleich sie bereits in ihrer Formulierung erahnen ließ, wie es weiter geht. Nachhaken bei soetwas kann nur peinlich für den Journalisten werden – denn der Journalist kann nur persönlich werden, um tiefer zu bohren, abgesehen davon, dass sich die Frage auf die meines Erachtens nach unwichtigere Personalebene bezieht. Der Journalist stellt damit klar, dass er das Interview auf dieser Ebene zu führen gedenkt.

„Das heißt dann, den Steigbügelhalter sollen dann anderen in der SPD für Sie machen; Für Sie ist das nicht gut genug, auch wenn sie damit Verantwortung für das Land übernähmen“ knallt Frau Slomka Steinbrück vor den Latz. Als Interviewter sollte man an dem Punkt, wo der Journalist einen persönlich angreift, persönliche Vorwürfe macht, ohne sich irgendwie davon zu distanzieren, ernsthaft überlegen, das Interview abzubrechen. Steinbrück macht weiter und versucht zu erklären, dass nur unter bestimmten Umständen große Koalitionen richtig sein, Marietta Slomka erwidert nicht zu unrecht, dass es die einzige nicht ausgeschlossene Machtperspektive der SPD sei. Darauf folgt der nächste persönliche Frontalangriff:

„Politik ist auch die Kunst des Machbaren und nicht persönliche Selbstverwirklichung.“ Steinbrück kontert freundlich, „damit bin ich einverstanden, [...]“. Slomka holt noch einmal aus. Diesmal: „Das ist das, worüber sich die Wähler gedanken machen.“ – Wenn das stimmen würde, hat Merkel gewonnen – völlige Entpolitisierung einer Wahl. Der nächste Satz: „Die fragen sich, Mensch, wenn ich jetzt den Steinbrück ankreuze, warum kriege ich den am Ende nicht? Viele fanden Sie ja als Finanzminister gut.“ Das mit dem Finanzminister wird noch zu einem Schlag nutzen, aber zum vorigen Satz: Er ist im Ansatz falsch, denn Steinbrück können nur die wenigsten ankreuzen, nämlich die, die zufälligerweise in seinem Wahlkreis wohnen. Es werden Parteien gewählt, zumindest mit der entscheidenden Zweitstimme. Und den Kanzler wählt der Bundestag, sonst niemand. Steinbrück scheint langsam genervt, listet sein Wahlprogramm auf (Mindestlohn, Betreuungsgeld abschaffen, Steueroasen trockenlegen, ...), weswegen ihmzufolge die Wähler SPD wählen müssten. „Hm, ja, aber vielleicht werden das nicht genug tun“ – ist die patzige Replik Slomkas. Zugegeben, nach dem Wahlprogramm hat sie Steinbrück nicht gefragt; Seine Antwort ist irgendwie zusammenhanglos. Slomka gibt diesen Punkt auf, sie wechselt das Thema:

„Eine andere Frage, die sich auch viele Wähler stellen, die ich Ihnen jetzt stelle: Welch Eigenschaften muss ein Staatsmann haben, der eine große Nation auf schwierigem internationalem Parkett vertritt?“ Steinbrück antwortet, es braucht Führungskraft, des Einsatzes der Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Er führt den Syrienkonflikt als Beispiel an, in dem er das vermisst habe. Diese Antwort passt Slomka offenbar nicht in den Kram – obschon es offenkundig eine legitime Antwort mit Bezug zur Frage war. Sie setzt nach: „[...] Das ist auch ein Beispiel für die Frage, welche Eigenschaften man da als Staatsmann haben muss.“ Dann macht sie selbst Vorschläge: „Was halten Sie von Besonnenheit, Selbstbeherrschung, diplomatisches Geschick?“. Vermutlich die bisher bösartigste Frage des Abends. Implizit unterstellt die Fragestellerin Steinbrück gegenteilige Eingeschaften. Steinbrück bleibt gelassen und erwidert, er sei im Augenblick Kandidat und nicht Kanzler und wolle sich auch nicht auf das Glatteis begeben. Er sagt weiter, ihm sei bewusst, welche Eigenschaften man auf internationalem Parkett brauche. Dies habe er, so Steinbrück, als Finanzminister bewiesen. Slomka freut sich sichtlich über die Antwort, führt sie doch zu einem neuen kampagnenfähigen Thema ... „Aber sie bewerben sich jetzt [...] nicht mehr nur darum, Finanzminister zu sein, Kavallerien in die Schweiz zu schicken, oder ähnliches, [...]“. Schön in den Nebensatz einen Vorwurf, eine alte Negativschlagzeile eingebettet, dem Steinbrück kaum entgegentreten kann, wenn er die eigentlich noch kommende Frage beantworten will. Die lautet: „Dieser Slogan 'Deutschlands Zukunft in guten Händen', passt das [...] auch zu einem Stinkefinger?“ Nachdem er erwidert, es handle sich um „Satire“, wirft sie ihm vor: „Diese Emotionen sind aber sehr unterschiedlich [...], manche finden das, viele finden das auch eher aggressiv, obszön und ungehörig [...]“. Das viele das überhaupt interessiert, setzt sie dabei voraus, und dass viele es so negativ empfinden, behauptet sie ohne jeden Beweis. Ob das eine gute Strategie sei, solche Bilder zuzulassen? Auf Steinbrücks Rechtfertigung erwidert sie: „Für einen guten Witz riskiere ich also auch schonmal eine Wahl.“

Alles in allem ist das Interview ein Tiefpunkt, und zwar nicht der Politik oder des Wahlkampfes der SPD, sondern des Journalismus. Ich habe es selten im ZDF in den Nachrichten gesehen, dass ein Politiker so hart angegangen wurde von einem Journalisten. Die Fragen dabei waren dabei durchweg unhöflich, meist persönlich und oft ehrabschneidend. Manches, was dabei von der Journalistin behauptet wurde war schlichtweg Unfug, anderes frei jeden Beweises. Es erinnert mich dabei schrecklich an einen Werbe-Trailer für die Talkshows, den einer der öffentlich-rechtlichen Sender jüngst ausstrahlte, in dem Anne Will oder Maybritt Illner stolz verkündete, man sei jetzt „noch persönlicher“ in den Interviews oder Talkrunden. Das ist eine qualitative Bankrotterklärung des Journalismus, wenn sich Journalisten nur noch dann investigativ fühlen, wenn sie die Gesprächspartner durch persönliche Fragen in Bedrängnis, unter Rechtfertigungsdruck, in Verlegenheit bringen. Wenn die Fragen bloß noch auf die persönliche, menschliche Ebene zielen und Sachfragen irrelevant werden, dann ist das Boulevard-Journalismus, mehr nicht. Natürlich sollen Journalisten kritische Interviews führen. „Persönlich“ ist aber etwas anderes als „kritisch“. An Menschen und Charakter rumzukritisieren ist kein „kritischer Journalismus“. Kritischer Journalismus versucht, auf sachlicher Ebene den Interviewten auf die Probe zu stellen. Dabei dürfen Journalisten natürlich versuchen, ihn in die Enge zu treiben. Aber nur auf sachlicher Ebene. Wer die Konfrontation auf persönlicher Ebene sucht, der stellt nur klar, das er keine sachliche Munition mehr hat.

Frau Slomka hat sich in diesem Interview als seriöse Journalistin sehr gründlich diskreditiert. Ihre Fragen waren weniger Fragen als Meinungsäußerungen, stellten Vorwürfe in den Raum und unterstellten Steinbrück mal mehr, mal weniger direkt unehrenhafte Motive („persönliche Selbstverwirklichung“). Sie belässt es dabei nicht bei einer Frage, sie bohrt nach, wiederholt und verstärkt die Vorwürfe. Auf derartig ausgerichtete Fragen eine „wahre“ Antwort zu erhalten, kann niemand erwarten. Die Frage dabei zu wiederholen, hoffend, dass er dann doch sagt, „ja, ich will mich nur selbst verwirklichen“, ist eine Methode der Inquisition und zugleich – wegen des abzusehenden Resultats – auch frei von Neuigkeiten für den Zuhörer. In diesem wird dabei bloß das Gefühl der Unlauterkeit Steinbrücks geweckt, wogegen er sich nicht wehren kann. Das Ergebnis dieses Interviews ist, dass alle Welt Frau Slomkas Meinung über Peer Steinbrück kennt (oder zumindest zu kennen glaubt) und eine schlechte Meinung von Peer Steinbrück untergejubelt kriegt. Es war an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Nach der „Ausschließeritis“, den Koalitionsoptionen, den Wahlkampfstrategien und der Untersuchung der Regierungsarbeit der alten Regierung stellt sich nun noch die Frage: Und was ist nach der Wahl?

Dass es nach der Wahl ein Erwachen gibt, früher oder später, ist abzusehen. Das Land wurde von Angela Merkel in einen Tiefschlaf, eine Art Trance versetzt und wer schläft, erwacht irgendwann. Einiges deutet darauf hin, dass es ein recht baldiges Erwachen gibt: Die bisherige Regierung hat viele Früchte geerntet, aber wenig ausgesät, was die nächste Regierung ernten kann. Nun kann eine Regierung auch ohne die Vorarbeit der Vorgänger gute Arbeit leisten: Wenn sie einen Politikwechsel einleiten will, denn dann möchte sie die zweifelhafte Arbeit der Vorgänger ja kaum vollenden. Eine Schwarz-Rote oder Schwarz-Gelbe Regierung, die wohl wahrscheinlichsten Resultate der Wahl, stehen nicht für einen Politikwechsel. Entsprechend konzeptlos stünden diese Regierungen da, entsprechend schnell werden sie aller Voraussicht nach in der Kritik stehen.

Darüber hinaus sind die Vorboten eines politischen Erdbebens bereits vor der Wahl zu vernehmen gewesen: Wolfgang Schäuble, beileibe kein politischer Anfänger sondern vielmehr ein gewiefter Taktiker, plaudert öffentlich über ein mögliches weiteres Hilfspaket für Griechenland, dass allerdings nur einen kleinen Umfang haben werde. Bei dieser Regierung zu glauben, Schäuble habe das in einem Anfall von Aufrichtigkeit zu Protokoll gegeben, wäre naiv: Schäuble weiß, welche Saat die Regierung ausgebracht hat und er kann (inzwischen) auch abschätzen, wie die Ernte ausfällt. Um die oben geschilderte Problematik abzuschwächen, kündigt er ein „kleines“ Hilfspaket an, dass wahrscheinlich nötig werde. Damit ist die kommende Regierung, so sie denn Schwarz-Gelb ist, vom Vorwurf des Wahlbetrugs reingewaschen. Tatsächlich wäre aber ein kleines Hilfspaket weder problematisch durchzusetzen noch so eilig, dass man es nicht ein wenig nach der Wahl hinauszögern könnte. Der Schluss, dass das Loch um ein vielfaches größer ist, dass möglicherweise ein Rettungspaket ungeahnten Ausmaßes geschnürt werden muss, liegt dabei nahe.

Abwegig ist es keineswegs, dass die Lage in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Irland nicht so rosig ist, wie Regierung und EU uns erklären. Zwar können Scheinerfolge wie eine geringere Neuverschuldung bei der Regierung gute Laune hervorrufen, aber die Fakten verändern kann die Lautstärke des Jubels nicht. Bei geringerer Neuverschuldung oder einem ausgeglichenen Primärhaushalt, von dem die Bundesregierung ja zuletzt für Griechenland und Deutschland träumte, werden weiterhin neue Schulden aufgenommen. Die Wirkung des Schuldenschnitts für Griechenland ist dadurch bereits vollständig absorbiert worden. Den Maßnahmen, die gegen diese Probleme unternommen werden, fehlt dabei jedes logisches Fundament, wie der gesamten Schwäbische-Hausfrau-Theorie der „Merkelnomics“.

Angenommen, die Hypothese, dass in Griechenland oder einem anderen Land ein gewaltiges Finanzierungsloch der Regierung breits bekannt ist, trifft zu. So ist trotzdem nicht mit einem sofortigen Knall direkt nach der Regierungsbildung zu rechnen – zumindest nicht, wenn es eine Regierung mit CDU- oder FDP-Beteiligung gibt. Eine rasche Bekanntgabe wäre, trotz der Vorbereitung der Öffentlichkeit durch Schäubles scheibchenweises Herausrücken mit der Wahrheit, denkbar ungeschickt. So wurde in Dortmund am Tag nach der Kommunalwahl ein großes Haushaltsloch mit Haushaltssperre bekanntgegeben, was für den Bürgermeister heftige Vorwürfe und eine vor Gericht erzwungene Neuwahl zur Folge hatte. Trotzdem wir der Zeitpunkt dann nicht lange auf sich warten lassen – die Tatsache, dass man sich genötigt sah, bereits vor der Wahl die ersten Andeutungen zu machen, ist ein starkes Indiz.

Eine Woche vor der Wahl bleibt dann nur noch eines zu sagen: Gehen Sie wählen! Die Demokratie kann ohne den Einsatz des Volkes nicht überleben, Regierungen schon. Wer nicht zur Wahl geht, wählt mit der Mehrheit und legitimiert automatisch die Regierung, ohne Einfluss zu haben, wie diese aussieht. Wer wählen geht, setzt sich für die Demokratie, die Herrschaft des Volkes ein, nicht für die Politik. Eine Wahl hat man übrigens immer; Wem keine einzige Partei zusagt, hat noch immer die Möglichkeit, ungültig zu stimmen. Damit verändert man nichts an der Sitzverteilung des Parlaments, aber es ist eine Botschaft des Protests.

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Nach der „Ausschließeritis“, den Koalitionsoptionen und den Wahlkampfstrategien der Parteien soll im letzten Teil vor der Wahl die Arbeit der vergangenen Regierung einer kritischen Betrachtung unterworfen werden.

Als Wunschkoalition von sowohl CDU als auch FDP ist die gegenwärtige Bundesregierung als Nachfolger der großen Koalition angetreten, mit einem mittelmäßigen CDU-Ergebnis, einer unerwartet starken FDP und insgesamt recht großer Parlamentsmehrheit wurde die Regierung unter Angela Merkel mit Vizekanzler Guido Westerwelle (damals FDP-Vorsitzender) gebildet. Personell wurde die Legislaturperiode von Skandalen belastet und die Regierungspolitik davon oftmals überschattet. Bereits kurz nach der Wahl trat Franz-Josef Jung (CDU) als Arbeitsminister zurück wegen der Kundusaffäre aus seiner Zeit als Verteidigungsminister der vorigen Legislaturperiode. Seine Nachfolgerin wurde Ursula von der Leyen, die fortan im Dauerstreit mit ihrer ungeliebten Nachfolgerin Kristina Köhler (jetzt Schröder, CDU) lag. Der Verteidigungsminister der Koalition, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) trat 2011 zurück, nachdem seine Dissertation als Plagiat enttarnt wurde, was er vehement bestritt und dann, als es nicht mehr zu bestreiten war, als Schlampigkeit darzustellen versuchte. Ebenso wurde die Dissertation von Annette Schavan (CDU, bekannt als Freundin von Kanzlerin Merkel) als Plagiat enttarnt, die pikanterweise erstens Ministerin für Bildung war und zweitens sich recht abwertend über zu Guttenberg geäußert hatte. Nachfolger als Verteidigungsminister wurde der vorige Innenminister, Thomas de Maizière (CDU). Dieser steht nun in der Euro-Hawk-Affäre unter Druck, weil er trotz Warnungen am Rüstungsprojekt lange festhielt, wodurch staatliche Mittel verschwendet wurden. Hans-Peter Friedrich (CSU) wurde bei dieser Personalrochade Innenminister. In seiner Amtszeit wurde die NSU-Affäre publik. Kanzleramtsminister Pofalla steht nun in der NSA-Affäre als Zuständiger für Geheimdienstkontrolle im Zentrum eines Skandals. Nach der verlorenen Landtagswahl in NRW veranlasste Angela Merkel die Entlassung von Norbert Röttgen (CDU) als Umweltminister. Im Rahmen des Absturzes der FDP unmittelbar nach der Wahl in Umfragen und Landtagswahlen auf oft unter 5 %, z.T. unter 3 % tauschte die FDP außerdem ihre Minister: Guido Westerwelle blieb Außenminister, verlor aber das symbolische Amt des Vizekanzlers. Der neue FDP-Vorsitzende und vorige Gesundheitsminister Philipp Rösler beerbte Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister. Letzterer wurde Fraktionsvorsitzender und ist nun Spitzenkandidat der FDP. Zwischenzeitlich unter Druck geriet Dirk Niebel (FDP, Entwicklungshilfeminister), als ihm vorgewurfen wurde, er habe versucht, einen Teppich am Zoll vorbei aus Afghanistan einzuführen. Ebenfalls wurde ihm vorgeworfen, in exorbitantem Stil Parteifreunde in seinem Ministerium zu beschäftigen. Unter Verkehrsminister Ramsauer eskalierte die Situation um mehrere Infrastrukturprojekte (BER, Stuttgart 21) sowie der aktuelle Stellwerksausfall in Mainz. Zusammengefasst traten 4 Minister zurück. Insgesamt 7 Minister und Ministerien waren in größere Skandale verwickelt. Lediglich 8 Ministerien (Justiz, Gesundheit, Familien, Äußeres, Landwirtschaft, Finanzen, Wirtschaft und Umwelt) blieben von größeren Skandalen im engeren Sinne um ihre Minister oder Politik verschont. Die Bundesregierung als skandalträchtig zu bezeichnen, ist somit sicher nicht übertrieben.

Das Bundesfinanzministerium wird von Wolfgang Schäuble (CDU) geleitet. Ein kleiner Aufreger war die öffentliche Zurechtweisung seines Pressesprechers. Bemerkenswerter war jedoch die Europolitik und der Sparkurs: Im Ministerium wurde die Austeritätspolitik maßgeblich entwickelt und gefördert. Monetaristische regierungskritische Ökonomen von Bundesbank und EZB, Axel Weber und Wolfgang Stark, wurden nach ihren Rücktritten durch monetaristische aber regierungstreue Beamte und Berater, Jörg Assmussen und Jens Weidmann, ersetzt. Auf Griechenland und andere Krisenländer wurde massiver politischer Druck ausgeübt, der Minister reiste in der Rolle des Sparkomissars nach Athen. Damit wurde außenpolitisch und ökonomisch eine Menge Porzellan zerbrochen, weil die Bundesregierung nicht legitimiert ist, sich so massiv in die innere Politik anderer Länder einzumischen, und weil die dabei verfolgte Wirtschaftspolitik unsinnig ist. Auch im Inland wurde ein Sparkurs gefahren, ohne dass die Verschuldung auch nur langsamer gestiegen ist. Vollmundig angekündigt wurde eine Bändigung der Finanzmärkte inklusive einer Finanzmarkttransaktionssteuer. Geschehen ist absolut garnichts.

Das Umweltministerium – zunächst von Norbert Röttgen, inzwischen von Peter Altmaier geleitet – hat wenig zur Umweltpolitik in Deutschland beigetragen. Zunächst wurde der Ausstieg aus dem Atomausstieg hingenommen. Unter politischem Druck sah sich die Regierung dann erneut zur Kehrtwende gezwungen und kassierte die eigene Entscheidung. Der Umweltminister sorgte zwar für die Abschaltung einiger Atommeiler, allerdings ist der neue Atomausstieg gemessen an der politischen Entstehungssituation, in der mehr hätte erreicht werden können, weichgespült. Die von Röttgen ausgerufene Energiewende ist gründlich gescheitert und konnte auch von Altmaier nicht gerettet werden. Es fehlt an Stromtrassen, die Solarindustrie in Deutschland ist vollständig kollabiert. In der Frage des Salzstocks Gorleben wurde lediglich ein unbrauchbarer Kompromiss erzielt, da zahlreiche plausible Standorte weiterhin ausgeschlossen werden und der neue Zeitplan höchst langsam ist. Energiepolitisch und Umweltpolitisch ist die Bundesregierung auf ganzer Linie gescheitert. Die Posse um den Atomausstieg zeigt auch, dass dies einzig und allein durch eben dieses Regierung selbst zu verantworten ist.

Die Sozialministerin von der Leyen (CDU), die nach wenigen Monaten bereits dem bedeutungslosen Minister Jung folgte, fiel (nach ihrer „für die Kinder“-Show der vorigen Legislaturperiode als Familienministerin) erneut vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit auf. Ihre Projekte, z. B. die Lebensleistungsrente waren Rohrkrepierer. Der Sozialbericht, der aus ihrem Haus stammt, wurde vom Wirtschaftsminister entkernt, ohne dass sie entsprechend Widerstand geleistet hat. Über prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit verkündete sie mehrfach Besorgnis, sowie Freude über die Arbeitslosenzahl insgesamt, tat jedoch nichts zur Verbesserung der Lage. Insgesamt wurde arbeits- und sozialpolitisch nicht mehr als Blendwerk vollbracht.

Im Familienministerium wurde unter Kristina Köhler/Schröder (CDU) das CSU-Projekt „Betreuungsgeld“ umgesetzt. Dieses wird von nahezu allen Politikern außerhalb der CSU abgelehnt und auch in der Regierung kritisiert. Debattiert wurde zudem über den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Zwar verkündete das Ministerium Vollzug, der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist allerdings fraglich, auch weil die räumliche Verteilung der Kita-Plätze suboptimal ist. Vom Ministerium selbst gingen (auch in dieser Frage) insgesamt wenig konstruktive Akzente aus.

Das Kanzleramt, sonst eher unscheinbar, geriet in dieser Legislaturperiode unter dem wahrscheinlich schlechtesten Kanzleramtsminister aller Zeiten, Ronald Pofalla (CDU) in den Strudel von Skandalen. So wurde er gegenüber Fraktionskollegen wie Wolfgang Bosbach ausfallend („Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“), bezeichnete die Gewissensfreiheit als „Scheisse“ und versank im Wahlkampf im Geheimdienstsumpf um die NSA. Seine Rolle als Strippenzieher im Hintergrund, der die Koalition zusammenhält, erfüllte er nicht. Pofalla, zuständig für Geheimdienstkoordination, behauptete, nichts von der NSA-Affäre und der Beteiligung des BND zu wissen und erklärte die Aufklärung für abgeschlossen, ohne das irgendetwas abgeschlossen war. Das mag taktisch geschickt gewesen sein, wird aber den Anforderungen an einen Minister nicht gerecht.

Im Verkehrsministerium unter Peter Ramsauer (CSU) sind keine großen Projekte in der vergangenen Legislaturperiode voran gebracht worden. Stuttgart 21 eskalierte, in Mainz fiel ein Stellwerk wegen Personalmangels infolge des Börsengangs aus und landesweit stellen sich zahlreiche Autobahnbrücken als marode heraus. Der Minister zeigte sich weitgehend unbeeindruckt, sodass weder bei Stuttgart 21 noch beim Bahnbörsengang zur Vernunft zurückgekehrt wurde. Ersatzweise wurde auf Nebenkriegsschauplätzen für Stimmung gesorgt, z. B. mit regelmäßigen Denglisch-Kritiken vom Minister, die weder falsch noch wichtig waren. Es ist Minister Ramsauer genauso wie seinen Vorgängern anzulasten, dass er sehenden Auges die Infrastruktur verrotten lässt, sich vornehmlich für Straßenverkehrspolitik interessiert und den Börsengang der Bahn propagiert (auch wenn er ihn zum Glück nicht voranbringenkonnte). Eine weitere verlorene Legislaturperiode für die Infrastrukturpolitik. In der Frage der Mietpreisexplosion, für die er ebenfalls zuständig ist, hüllte man sich in Schweigen. Wahlkampfversprechen (Mietpreisbremse) überließ man der Kanzlerin selbst, handeln tat man nicht. Stattdessen trat der Minister auf Veranstaltungen des Lobbyverbands „Haus&Grund“ auf und bedankte sich (sic!) für deren Lobbyarbeit.

Die Außenpolitik (exklusive der Europapolitik, die ja eher im Finanzministerium entstand) ist einigermaßen paradox wargenommen worden. Nachdem Minister Westerwelle (FDP) mit der (fachfremden) Äußerung über „spätrömische Dekadenz“ in Deutschland für berechtigte und fraktionsübergreifende Kritik gesorgt hat, die ihn letztlich den Parteivorsitz gekostet hat, wurden einige wichtige Entscheidungen im Auswärtigen Amt getroffen, zumal man Mitglied des Sicherheitsrats der UN wurde, was jedoch nicht Verdienst dieser Regierung war. So wurde im „arabischen Frühling“ mit Enthaltung (was als Mitglied der Nato quasi ein „Nein“ ist) zu einer Flugverbotszone über Libyen gestimmt. Diese richtige Entscheidung wurde vielfach kritisiert, insbesondere von der Opposition von Grünen und SPD, die einmal mehr einen Auslandseinsatz der Bundeswehr herbeiführen wollten. Diese Entscheidung aus Westerwelles Ministerium war bemerkenswert, weil Angela Merkel und ihre CDU (damals Opposition) für den Irakeinsatz gestimmt hätten. Die Entscheidung hat sich – angesichts der Kriegsentwicklung in Libyen – als richtig herausgestellt, zumal eine Demokratie dort nicht in Sicht ist. Auch im Fall Syrien nahm das Außenministerium bislang eine eher moderate und moderierende Rolle ein – was angesichts der Beobachtung, dass die syrische Opposition überwiegend undemokratisch ist, sich ebenfalls als richtig erwies (Was den Giftgasangriff betrifft, ist ja bislang nicht bewiesen, wer der Urheber war. Das er durch militärisches Eingreifen hätte verhindert werden könnte, ist aber zu bezweifeln). Insgesamt ist die Außenpolitik der Regierung einigermaßen zufriedenstellend gewesen, wenn sie auch paradoxerweise vielfach von verschiedener Seite und insbesondere für die besseren Entscheidungen kritisiert wurde.

Das Entwicklungshilfeministerium unter Minister Dirk Niebel (FDP) hingegen hat eine gegenteilige Entwicklung hinter sich. Der Minister, der im Wahlkampf zuvor antrat, es abzuschaffen, schaffte es dadurch in seiner ursprünglichen Konstruktion ab, indem er die neugeschaffene GIZ als Hauptorgan der Entwicklungshilfe an wirtschaftlichen Kriterien ausrichte. Damit wurde es zur Außenstelle des Wirtschaftsministeriums und kann nur schwerlich weiter Entwicklungshilfeministerium genannt werden. Nur seinem Namen als Ministerium für „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ macht es noch alle Ehre. Schlagzeilen machte der Minister vor allem mit der Teppich-Affäre, der massenhaften Anstellung von FDP-Politikern in seinem Haus und seinen Auftritten mit Bundeswehrmütze. Die Entwicklungshilfe wurde binnen einer Legislaturperiode weitgehend entkernt, was der Minister als Beseitigung der Spuren seiner Vorgängerin feierte. Auch wenn eine gewisse Filzbeseitigung nach jahrelang unveränderter Führung des Hauses sinnvoll ist, ist er über das Ziel weit hinaus gegangen. Von dem Ziel, 0,7 % des BIP ab 2015 in Entwicklungshilfe zu investieren, ist man übrigens weit entfernt.

Wenig konstruktive Politik wurde zwar im Justizministerium unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betrieben, was allerdings quasi ein positives Signal ist. Die bekanntermaßen der Einschränkung von Freiheit, Demokratie und Grundrechten abgeneigte Ministerin war in diesen Fragen das Feigenblatt der Regierung und erweckte oft den Eindruck, dass sie die einzige in der Regierung ist, die diese Position (wenigstens öffentlich) vertritt. Bei bloßer Öffentlichkeitsarbeit ist es jedoch oft geblieben, zahlreiche Skandale, wie die Überwachung durch NSA und GCHQ, geschahen am Justizministerium vorbei. Erfolg hatte sie jedoch bei der Blockade der Vorratsdatenspeicherung, die sie trotz EU-Vorschriften und angedrohtem Vertragsverletzungsverfahren mit Sanktionen gegen Deutschland bislang verhindern konnte. Sie zeigt, dass das 0815-Argument vieler Politiker, dass man nichts machen könne, wenn Vorschriften von der EU kommen, nur zutrifft, wenn den auf Bundes- oder Landesebene Zuständigen das Rückrat fehlt, sich für ihre Position einzusetzen.

Das vierte FDP-geführte Ministerium ist das Gesundheitsministerium unter zunächst Philipp Rösler und anschließend Daniel Bahr. Dort wurde der „Pflege-Bahr“ unter letzterem Minister entwickelt, der eine fragwürdige Privatisierungsbemühung in der Pflegeversicherung ist. Positiv zu bewerten ist hingegen die (parteiübergreifend gewünschte) Abschaffung der Praxisgebühr, die dann – nach langem Warten – tatsächlich umgesetzt wurde – allerdings im Tausch gegen das Betreuungsgeld.

Das letzte FDP-Ministerium ist das Wirtschaftsministerium mit den Ministern Rainer Brüderle und Philipp Rösler. Dem „Schlüsselressort“ wird, obwohl es meist eher hintergründig agiert, eine hohe Bedeutung beigemessen. Tatsächlich verhielt es sich vor allem als Sprachrohr wirtschaftlicher Interessen und kann als eines der blockierendsten Elemente in der Energiewende angesehen werden. Insbesondere im Ausstieg aus dem Atomausstieg entfaltete es diese Wirkung. Ansonsten fiel es nur negativ durch die stets geäußerte Parole „Deutschland geht es gut“ auf – einer einseitig ökonomischen und zudem kurzfristigen Betrachtung. Sie ist außerdem falsch, sofern man sie nicht als vergleichend zu anderen europäischen Ländern auffasst.

CSU-Ministerin Ilse Aigner fiel im Bereich Landwirtschaft und Verbraucherschutz abermals durch beredte Untätigkeit auf. Wie üblich tauchten mehrere Lebensmittelskandale während ihrer Amtszeit auf, in der sie stets mehr Kontrolle und Selbstkontrolle forderte. Das dürfte – wie stets – wirkungslos bleiben. Zu den weiteren rein symbolischen und wirkungsfreien Maßnahmen, diesmal zur Datenschutzpolitik, zählt die Kündigung ihres Facebook-Accounts aus Protest, ohne jedoch Hebel in Bewegung zu setzen, durch den Gesetzgeber Maßnahmen zu ergreifen. Unsichtbar blieb sie in der Datenschutzaffäre um die NSA, die ihr Ressort zumindest tangiert.

Im Innenministerium passierte in der Amtszeit Thomas de Maizières (2009 – 2011) zunächst wenig Spektakuläres. Der Minister zeichnete sich durch gewisse Zurückhaltung bei der Aussprache von Terrorwarnungen aus und erntete (im Nachhinein) auch für sein Engagement in der Islamkonferenz Lob. Wie sich im Nachhinein aber auch herausstellte, wurde auch in seiner Amtszeit in der noch unentdeckten NSU-/Rechtsextremismusproblematik kein Fortschritt erzielt. Diese kam unter seinem Nachfolger Hans-Peter Friedrich ans Licht, wenn auch keineswegs durch eine aufklärerische Glanzleistung der Behörden. In dieser Affäre geriet erst der Verfassungsschutz und dann der Innenminister, nachdem er hastig Beamte entließ, in die Kritik. Massenhaft wurden im Innenministerium wichtige Akten geschreddert (womit der Ruf des früheren Ministers De Maizière als „Aktenfresser“ eine ganz neue Bedeutung erhielt) Kritik erntete Friedrich auch für den Stillstand in der Islamkonferenz, der im Wesentlichen auf die Haltung des neuen Ministers zurückzuführen ist. Besonders negativ in Erscheinung trat der Minister dann, als die NSA-Affäre durch Edward Snowden publik wurde. Vom für Verfassungsfragen zuständigen Ministerium kamen weder großes Verständnis, noch ernsthafte Aufklärungsbemühungen. Friedrich wurde von Merkel zur Aufklärung/Beschwichtigung in die USA geschickt und kehrte mit völlig leeren Händen zurück. Gefordert hat er wohl lediglich mehr Einblick für die deutschen Geheimdienste. Die wirkungslose Aufhebung von ein paar Geheimverträgen ist faktisch irrelevant. Somit schlitterte das Innenressort nach dem Führungswechsel erneut in den Überwachungsstaat- und Intoleranzmodus (der den Unions-Innenexperten, wie Hans-Peter Uhl alle Ehre macht). Die verfassungsgemäß freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD wurde durch die Politik des Innenministeriums geradezu unterminiert.

Eines der wirklich großen Projekte der Legislaturperiode wurde im Verteidigungsministerium unter Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unternommen: Die Bundeswehrreform inklusive faktischer Abschaffung der Wehrpflicht. Zu Guttenberg schaffte es, ausgerechnet seine Partei zur Aufgabe der Wehrpflicht zu bewegen und setzte deren Aussetzung bemerkenswert schnell durch. Die tatsächliche Umsetzung der restlichen Reform war jedoch eher hektisch, unsachgemäß und hat nicht allzu gut funktioniert, sodass der nachfolgende Minister de Maizière (CDU) die Arbeit seines Vorgängers stark kritisierte. Über die Legislaturperiode hinweg wurde die Misswirtschaft in der Euro-Hawk-Beschaffung fortgeführt. Dieses aus früherer Zeit übernommene und immer problematischer werdende Projekt wurde von Minister zu Guttenberg nicht und von Minister de Maizière erst sehr spät gestoppt. De Maizière musste dafür viel berechtigte Kritik einstecken.

Die Bundesregierung Merkel hat zwar in manchen Fragen positive Akzente setzen können (z. B. Außenpolitik exklusive Europa), scheiterte aber auf umso mehr Politikfeldern auf ganzer Linie. Die Umwelt- und Energiepolitik erwies sich als vollkommen kopf- und planlos und kann als vollständig gescheitert betrachtet werden. Mit Nachdruck betrieb man die sinnlose Austeritätspolitik, die den Ruf Deutschlands in Europa nachhaltig beschädigt hat und die deutsche Volkswirtschaft langfristig zu ruinieren droht. Ruinös für die Demokratie und Verfassung war die Sicherheitspolitik rund um NSU- und NSA-Skandale, in der die Minister und Koalitionspolitiker mehrheitlich durch mangelndes Verständnis für Freiheit, Demokratie, Verfassung und Grundrechte negativ auffielen. Somit dürfte die Regierung innerhalb einer Legislaturperiode annähernd soviele Schäden angerichtet haben, für die Rot-Grün 7 Jahre Zeit brauchte. Das ist eine bemerkenswerte Bilanz.

Das lange von den Medien erwartete Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück ist vorbei. Gewonnen hat niemand so wirklich – den Umfragen zufolge. Interessant sind ist für Beobachter die anschließende Diskussion in den Talk-Runden, z. B. bei Günther Jauch. Dort saßen unter anderem Frank-Walter Steinmeier, Edmund Stoiber und Hans-Ulrich Jörges. Dabei kann man beobachten, wie Parteistrategen versuchen, der Debatte eine Drehrichtung, einen „Spin“, wie man amerikanisch sagt, zu geben:

Jörges konstatierte, dass Merkel beim Thema NSA schwamm, während Steinbrück beim Thema Rentenniveau und Pensionshöhe ins Wanken geraten sei. Während Edmund Stoiber als CDU/CSU-Mann und der Rest der Runde Merkels NSA-Schwimmen stehen ließen, wurde über Steinbrücks „Ausrutscher“ debattiert. Tatsächlich gesagt hat Steinbrück, dass sich Rentenniveau und Pensionsniveau nicht auseinanderentwickeln dürfen. Daraufhin fragte eine der beiden Moderatorinnen nach, wie man eine Senkung des Pensionsniveaus den Menschen erklären wolle. Diese Frage war zunächst einmal irrational und/oder unfair: Steinbrück hat nicht von einer Senkung oder auch nur Angleichung gesprochen, sondern einer Gleichentwicklung. Das heißt im Allgemeinen, dass beide prozentual oder absolut gleich fallen oder steigen sollen. Eine Frage, die ihm unterstellt, er habe gesagt, die Pensionen sollen sinken, sollte man, wenn man sie beantwortet, zumindest gradebiegen. Das ist Steinbrück tatsächlich nicht gelungen, er schwamm und wich aus, betonte nur, er fände seine Aussage schlüssig. Es wäre, um den Eindruck des „Schwimmens“ zu vermeiden, ratsam gewesen, sie umformuliert aber klar noch einmal zu wiederholen.

Steinmeier, der als „Spin-Doktor“ der SPD durchaus geschickt auftrat, stellte das dann klar, sprach aber die Unsinnigkeit/Unfairness der Frage nicht an. Damit kann er, so die Theorie, die öffentliche Bewertung des Duells beeinflussen, da die Menschen oftmals sich von geäußerten Meinungen beeinflussen lassen. Stoiber – vielleicht auch wegen seiner oft belächelten rhetorischen Fähigkeiten – hielt sich eher zurück, auch, als das Gespräch auf Merkels Schwächephase kam. Das er sich seiner Spin-Doktor-Rolle bewusst war, wurde an anderen Stellen, wo er vehement für Merkel Partei ergriff, deutlich. Dass er beim Thema NSA schwieg, deutet darauf hin, dass ihm – vielleicht mangels Argumenten – klug erschien, das Thema schnell vom Tisch zu kriegen, indem man es nicht weiter ausbreitet. Diese Rechnung ging auf, weil die Runde nicht weiter darauf einging.

Was Frau Will übrigens meiner Meinung nach gut beobachtet hat, ist Merkels Taktik: Sie versucht, nachdem sie die Frage des Moderators beantwortet oder zumindest touchiert hat, weiterzureden, über andere Themen zu reden, andere Thesen (und Satzbausteine) wiederzugeben. Im Fußball wäre „Ballbesitz“ das Pendant dazu. Merkel hatte tatsächlich einen Redezeitvorsprung von fast 5 Minuten aufgebaut, indem sie über die Frage hinaus weiterredete, während Steinbrück in seinen Aussagen recht schnell zum Ende kam.

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Nach der „Ausschließeritis“ und den Koalitionsoptionen soll nun der Fokus auf die Wahlstrategien der Parteien gelegt werden.

Der CDU und ihrer Vorsitzenden, Kanzlerin und Spitzenkandidatin Angela Merkel wird vorgeworfen, Inhalte aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Stattdessen wird mit der Popularität der Kanzlerin gearbeitet. Das trifft auch zu. Sie ist auf den Plakaten zu sehen, gleichzeitig versucht man das Motto „Deutschland geht es gut“ als Wahlkampfgefühl zu etablieren. Insgesamt hat die CDU keine inhaltliche, sondern eine inhaltsvermeidende Strategie, und diese spielte ohnehin nur eine Rolle, wenn der politische Gegner eine ernsthafte Herausforderung bieten würde. Die inhaltsvermeidende Strategie jedoch wird getragen von dem medialen Grundtenor und der fehlenden inhaltlichen Wucht der SPD (siehe unten).

Die FDP ist aus einer denkbar schlechten Ausgangslage gestartet – unterhalb der 5-%-Hürde, z.T. sogar unterhalb von 3 % in Umfragen, dazu höchst schlechte Beurteilungen der Regierungsarbeit in Umfragen. Die FDP konzentriert sich darauf, deswegen ihren Vorsitzenden Philipp Rösler – rhetorisch eher weniger begabt und in der Regierung – aus dem Wahlkampf rauszuhalten. Spitzenkandidat ist eher Rainer Brüderle, eine Art Kultfigur, und zumindest lautstarker Redner. Gleichzeitig hat sich die gesamte Partei zusammengerissen und die Grabenkämpfe öffentlich vollständig eingestellt. So stiegen sie in diesem Jahr in Umfragen auch wieder über die Hürde. Gleichzeitig schüren sie Ängste, dass bei einem schwachen Abschneiden von Schwarz-Gelb, ggf. sogar dem Ausscheiden der FDP aus dem Parlament, Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün, was ein rotes Tuch für FDP-Klientel ist, am Ende stehen könnte. Damit sollen nicht nur Stimmen für das eigene Lager, sondern zugleich Leihstimmen aus der CDU an die FDP aquiriert werden, was natürlich öffentlich niemand direkt sagt.

Man könnte meinen, nichts wäre schlechter, als keine Strategie. Die SPD hat das allerdings widerlegt. Das ist weniger auf die Schwächen von Peer Steinbrück und seiner Kampagne zurückzuführen, sondern auf die SPD-Führung, die einen Kandidaten gewählt hat, der sinnbildlich für die große Koalition steht, und die (verlorene) Wahl auch verloren gibt – was daran deutlich wird, dass ein Parteikonvent bereits geplant wird, der im Falle Rot-Grün sicher nicht nötig wäre. Zweiter Fehler ist die Ausschließeritis, die ich in einem früheren Beitrag bereits dargestellt habe. Sie zielt offenbar darauf ab, die Wähler davon abzuhalten, die Linkspartei zu wählen, indem man erklärt, diese Stimmen seien „verloren“, weil die SPD ausschließt, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Daran wird deutlich, dass die Strategen der SPD drei Dinge nicht begriffen haben: Es gibt Menschen, die aus Überzeugung und nicht aus Taktik wählen und die Linkspartei wählen, weil sie von SPD und Grünen, vielleicht auch nur von der Ernsthaftigkeit derer Wahlkampfforderungen nicht überzeugt sind. Zweitens hat man nicht erkannt, dass die Linkspartei kein wirklicher inhaltlicher Gegner für die Parteien links der Mitte ist. Anstatt den inhaltlichen Gegner zu bekämpfen, zerfleischt man das linke Lager. Drittens hat die SPD nicht begriffen, dass es nicht damit getan ist, die Linkspartei-Wähler vom Wählen abzuhalten. Die Linkspartei wird, dank ihrer Direktmandate in Ostdeutschland, wohl kaum an der 5-%-Hürde scheitern können. Und die Stimmen, die man der Linkspartei nimmt, fallen nicht automatisch der SPD zu – viel eher entstehen Nichtwähler, die man der Hoffnung auf politische Veränderung beraubt hat. Bei denjenigen, die der SPD nach den Rot-Grünen Koalitionen den Rücken gekehrt haben, dürfte es sich (angesichts der Erfahrung, die sie mit der SPD gemacht haben) zu einem großen Teil um überzeugte Nicht-SPD-Wähler handeln. So hat sich die SPD selbst durch den Ausschluss jeder glaubwürdigen Chance eines Politikwechsels beraubt. Wer sich weigert, eine politische Mehrheit zu nutzen, hat offenbar nur geringes Interesse daran, Sachpolitik zu betreiben. Indem man das dem Wähler signalisiert, demobilisiert man seine eigenen Wähler und Wahlkämpfer.

Dabei hatte die SPD durchaus Chancen, sich inhaltlich zu profilieren: Zwar war sie in den NSU-, Euro-Hawk und NSA-Affären und der jetzt von Wolfgang Schäuble angezündeten Griechenlandpaket-Debatte selbst (wie üblich durch ihre eigene Regierungsarbeit zwischen 1998 und 2009, sowie die Zustimmung zu allen Griechenlandpaketen in der Oppositionszeit) mit beschädigt. Die Wahl von Peer Steinbrück, einem „Schwarz-Roten“ Sozialdemokraten als Kanzlerkandidat, hat sich die SPD dabei aber den ersten Stein in den Weg gelegt. Der Kandidat erfüllte auch alle Träume der Journalisten, indem er anfing, über Weinpreise und Kanzlerkandidaten zu erzählen, anstatt von solch unnützen Debatten zugunsten der eigentlichen Wahlkampagne abzusehen. Im Laufe der Affären – gerade in der NSA-Debatte, in der es zunächst schien, als könnte Angela Merkel selbst beschädigt werden – zerstörte die sozialdemokratische Kakophonie jede Strategie. So machten z. B. Otto Schily mit „Law-and-Order ist ein sozialdemokratischer Wert“ und Frank-Walter Steinmeier mit seiner Fraktionsführung, genauer der Zustimmung zur Rettungspolitik, obwohl seit 2009 klar war, dass die SPD sich gegen die CDU profilieren muss, der jetzigen SPD-Spitzenmannschaft, also Steinbrück und Gabriel sowie Thomas Oppermann im NSA-Fall in die Parade. Diese Strategie, zusammen mit den offenbar nur mit Treibsand zugeschütteten Gräben in der SPD, macht die SPD vollkommen chancenlos bei der Wahl 2013. Auch für 2017 ist noch kein Land in Sicht, weil 4 Jahre für einen Richtungswechsel durchaus knapp, wenn auch ausreichend sind.

Erfolgreicher als die SPD konnten sich die Grünen von ihrer Regierungspolitik verabschieden und ein eher linkes Programm entwickeln. Die grüne Strategie war zeitweise tatsächlich recht erfolgreich, auch wenn man in Teilen von der Schwäche der SPD profitiert. Die Partei erweckt einen geschlossenen Eindruck und ihre Führungsspitze weicht Koalitionsfragen geschickter aus, als die SPD. Anstelle von Koalitionsausschlüssen fährt man die Strategie, unerwünschte Koalitionen als inhaltlich nicht aussichtsreich zu bezeichnen. Damit beantwortet man die Journalistenfragen, hält sich die Optionen trotzdem einen spaltbreit offen und signalisiert inhaltliches, nicht machtpolitisches Interesse an der Regierungsarbeit. Dennoch fallen sie in den Umfragen, was weniger einer schlechten Strategie sondern eher unerfreulichen Debatten, einerseits über die Pädophilen-Problematik in der Parteivergangenheit und andererseits die medial geführte Kampagne zu den Steuererhöhungen, die die Grünen planen.

Die Linkspartei versucht, sich neben der programmatisch linken SPD als glaubwürdige linke Alternative zu profilieren, indem man sich als nötiges Korrektiv für die SPD angesichts der politischen Vergngenheit der SPD bezeichnet. Das ist, weil die SPD zuletzt in der Opposition war, auch wenn sie oft mit der Regierung gestimmt hat, nicht einfach. Dennoch sind sie derzeit eher auf dem aufsteigenden Ast in Umfragen.

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