PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Nach der „Ausschließeritis“ vergangener Woche sollen nun die denkbaren Koalitionsoptionen insgesamt unter die Lupe genommen werden.

Die politische Farbenlehre teilt derzeit im Wesentlichen in die Lager Schwarz-Gelb und Rot-Grün ein, die die erklärten Wunschkoalitionen in Regierung bzw. Opposition (exklusive Linkspartei) sind. Jenseits dieser beiden Lager sitzt außerdem die Linkspartei im Parlament, mit der niemand koalieren will (siehe letzte Woche), die gleichwohl ein entscheidender Machtfaktor im Bundestag sein kann. Alle fünf Bundestagsparteien haben gute Chancen, auch im nächsten Bundestag vertreten zu sein. Neuentstandene oder aufstrebende Parteien wie AfD und Piraten haben Diese allen Umfragen zufolge nicht, darum möchte ich auf Konstellationen mit AfD oder Piraten im Bundestag nicht näher eingehen.

Die Schwarz-Gelbe Bundesregierung möchte ihre Arbeit erklärtermaßen fortsetzen. Die Chance, dass das klappt, besteht durchaus, vorausgesetzt, die FDP schafft den Einzug in den Bundestag. Nach den jüngsten Umfragen ist davon auszugehen, auch und insbesondere, weil mit einigen Leihstimmen aus der Union zu rechnen ist, die allerdings wohl keine niedersächsischen Ausmaße annehmen. Abseits der 5-%-Hürde vermehren diese Stimmen allerdings nicht die Chancen einer CDU-FDP-Regierung, sodass nach den Umfragen Schwarz-Gelb auf des Messers Schneide steht. Die bisherige Regierungsarbeit war geprägt durch Streit und anfangs einer FDP, die vor Kraft kaum laufen konnte; Später von einer FDP, die in den Umfragen nur noch mit einer Lupe gefunden werden konnte. Politisch hat die Regierung faktisch nichts bewegt (darauf werde ich später noch im Detail eingehen), und das Regierungsprogramm beider Parteien sieht im Grunde ein „weiter so“ vor, insbesondere seitens der CDU. Zu erwarten wäre tatsächlich ein „weiter so“ im Merkelschen Stil.

Demgegenüber steht das Projekt Rot-Grün von SPD und Grünen. Obschon keine der beiden Parteien um den Bundestagseinzug bangen muss, ist allen Umfragen zufolge eine parlamentarische Mehrheit für diese Option nicht in Sicht. Dennoch erklären beide Parteien diese Koalition zum Ziel und schließen z.T. andere Optionen aus. Beide versprechen Sozialpolitik, z. B. in Form eines Mindestlohns und einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine zaghafte Überarbeitung der Agenda 2010, eine Regulierung der Finanzmärkte und die Abschaffung des Betreuungsgeldes. Der Glaubwürdigkeit dieser politischen Forderungen gegenüber steht die Tatsache, dass – von der Abschaffung des Betreuungsgeldes abgesehen – alle Projekte der Versuch sind, die Schäden zu bekämpfen, die sie in den letzten beiden Rot-Grünen Koalitionen auf Bundesebene, 1998-2005, hauptamtlich angerichtet haben. Diese beiden Regierungen stehen als düstere Erinnerung an den Verrat (insbesondere der SPD) an denjenigen, die sie 1998 gewählt haben, wie ein Damoklessschwert über dem Projekt Rot-Grün. Ihre Wahlversprechen sind in hohem Maße unglaubwürdig, auch weil viele Haptbefürworter von Agenda 2010, Hartz IV, Deregulierung der Finanzmärkte, Senkung des Spitzensteuersatzes, Afghanistaneinsatz, Senkung des Rentenniveaus, u.v.m., heute politische Spitzenpositionen in der SPD bekleiden: Spitzenkandidat Peer Steinbrück, der Finanzminister, unter dem Deutschland (sehenden?) Auges in die Finanz- und Eurokrise schlitterte; Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender, als früherer Kanzleramtsminister ein wesentlicher Architekt der damaligen Reformen. Auch politisch Geschichte gewordene Akteure, wie den verantwortlichen Kanzler Gerhard Schröder, wurdem im letzten Jahr ausgiebig von der SPD für (!) ihre Politik gefeiert, während ihre Kritiker, der frühere SPD-Vorsitzende Lafontaine nicht einmal zum 150-jährigen Jubiläum seiner früheren Partei eingeladen wurde. Insgesamt ist mit der Verwirklichung von Rot-Grün aus demoskopischen Gründen nicht zu rechnen. Ein ernsthafter Politikwechsel ist umso mehr fraglich, als dass die Versprechen zudem unglaubwürdig sind.

Schwarz-Grün hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit im nächsten Bundestag, allerdings sind die Befürworter eines solchen Projektes, vor allem bei den Grünen, momentan in Deckung gegangen, nach der negativen Erfahrung der bislang einzigen derartigen Koalition in Hamburg, die mit einem Knall platzte. Zudem fehlten dieser Option – so die Politiker der Grünen – inhaltliche Gemeinsamkeiten. Tatsächlich ist Angela Merkel allerdings bekanntermaßen so flexibel und in der CDU auch mächtig genug, das durchzusetzen, um weitreichende Zugeständnisse zu machen. Angesichts der hervorragenden Ausgangslage der CDU mit wohl 2 bis 4 potentiellen Koalitionen könnte den Grünen aber (die weniger Möglichkeiten haben werden) die Verhandlungsmasse fehlen, um Merkel allzuviel abverhandeln zu können. Das könnte die Bildung einer solchen Koalition erschweren. Eine Erweiterung dieser Koalition um die FDP zu „Jamaika“ wird machtpolitisch nicht notwendig sein und wäre den Grünen daher keinesfalls zu vermitteln. Diese Option scheidet also aus.

Für die SPD verbleiben insgesamt drei Möglichkeiten: Zunächst einmal die große Koalition, die sicher eine Mehrheit hat, in der die SPD aber ebenso sicher der Juniorpartner wäre. In einer solchen Koalition unter Merkel hat die SPD zuletzt gewaltige Stimmverluste hinnehmen müssen und mit 23 % ihr bislang schlechtestes Wahlergebnis hinnehmen müssen. Vor diesem Hintergrund bestehen gerade in der SPD große Vorbehalte gegen diese Option. Politisch würde sie Stillstand bedeuten, wie in der vorigen großen Koalition. Zwar würde vermutlich – von Merkel weichgespült – ein Mindestlohn eingeführt. Insgesamt wäre es aber ein weiter so für eine Politik, die jeder Stimmungsschwankungen der medialen Öffentlichkeit folgt. Schließlich hat die SPD auch in der Opposition die CDU-Politik mitgetragen. Es wäre die Fortsetzung einer Regierungsarbeit, die frei von politischen Überzeugungen ist – der Angela Merkel sicher nicht abgeneigt ist.

Vergleichbar wahrscheinlich wie Schwarz-Gelb ist Rot-Rot-Grün – wenn das eine geht, geht wohl das andere nicht. Darum ist Rot-Rot-Grün das eigentliche Gegenmodell zur aktuellen Regierung – auch, weil die einzige Partei im Bundestag, die tatsächliche Oppositionspolitik statt Gegenrede mit anschließender Zustimmung betrieben hat. Die inhaltlichen Schnittmengen sind groß und die Chance auf einen Politikwechsel ist mit dieser Koalition am größten: Die Linkspartei kann (unter den Bundestagsparteien) als einzige glaubwürdig für eine Abkehr von der Politik seit 1998 eintreten, auch weil viele ihrer Mitglieder wegen eben dieser Politik die SPD verlassen haben. Bereitschaft zur Zusammenarbeit hat die Linkspartei wiederholt signalisiert. An der verbliebenen Basis der SPD gibt es – trotz aller Bekenntnisse der Parteispitze zur Agenda 2010 – Sympathien für viele sozial-/wirtschaftspolitische Forderungen der Linkspartei. Die Grünen haben zu dieser Wahl ohnehin ein eher linkes Wahlprogramm zusammengestellt, und hier bestehen große gesellschafts- und sicherheitspolitische Gemeinsamkeiten mit der Linken. Als Folge der Ausschließeritis seitens der SPD wäre die Stabilität einer solchen Koalition allerdings tatsächlich fraglich, was allerdings nichts mit der „Regierungsfähigkeit“ der Linkspartei zu tun hat.

Zuguterletzt ist auch eine Koalition von SPD, Grünen und FDP denkbar. Allerdings ist es unwahrscheinlicher, dass diese eine Mehrheit hat, als für Rot-Rot-Grün, weil die FDP vermutlich sehr knapp bei 5 % liegen wird. In Grünen und FDP liegen auch größere Widerstände gegen eine solche Koalition. Tatsächlich bestehen so erhebliche Differenzen (zumindest, was die Wahlvrsprechen betrifft), dass eine solche Regierung praktisch handlungsunfähig wäre, will man den schwächsten Koalitionspartner, die FDP, nicht inhaltlich völlig leer ausgehen lassen. Es gäbe aber durchaus auch Kompromisslinien, so könnte man der FDP umfangreiche Privatisierungen versprechen, denen Rot-Grün in alter Tradition der vergangenen Regierung auch nicht allzu abgeneigt wäre. Gerade in der SPD wird der Wunsch nach einer solchen Koalition sicher laut werden – vorausgesetzt, sie hat eine Mehrheit. Sie böte die Chance, den Kanzler zu stellen ohne das Versprechen keiner Zusammenarbeit mit der Linken zu brechen. Dennoch ist die Realisierung dieser Option eher unwahrscheinlich.

Im Wesentlichen erscheinen somit vier Koalitionsmöglichkeiten recht plausibel: Neben Schwarz-Gelb, der einzigen „Wunschkoalition“, die Aussicht auf Realisierung hat, ein große Koalition, Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Davon steht insbesondere Schwarz-Gelb für die Fortführung des neoliberalen Kurses. Rot-Rot-Grün steht für einen echten Politikwechsel. Sinnbild für den Stillstand wäre Schwarz-Rot. Wozu eine Schwarz-Grüne Regierung imstande wäre, ist schwer einzuschätzen, weil unklar ist, auf welchem Politikfeld – Gesellschaftspolitik oder Wirtschaftspolitik – die Grünen Zugeständnisse machen würden. Insgesamt ist die Wahl und die Regierungsbildung also durchaus offen – wenn auch nicht im Sinne der Rot-Grünen Wahlkämpfer.

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