PKEuS' Blog

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Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Den Anfang in dieser Serie machen die Koalitionsaussagen der Parteien – auch „Ausschließeritis“ genannt.

Mittlerweile ist es eine eigene politische Disziplin geworden, vor der Wahl möglichst überzeugend kund zu tun, welche Koalition man sich wünscht, und welche man auf gar keinen Fall eingehen werde. Gleichzeitig ist es eine journalistische Sportart, den Funktionären der Parteien solche Aussagen zu entlocken, die sie von selbst nicht treffen würden, um sie dann als unglaubwürdig hinstellen zu können, und die Diskussion über solche Koalitionen erst beginnen zu lassen.

Die „Mutter aller Koalitionsaussagen“ ist vermutlich die Absage an Rot-Rot-Grün, vorwiegend durch die SPD. Während man stets betont, auf Rot-Grün hinzuarbeiten, wird aber eine Erweiterung dieses Duos um die Linkspartei – falls mehrheitstechnisch notwendig – ausgeschlossen, obwohl es eine große inhaltliche Schnittmenge zwischen Rot-Grün und Linkspartei gibt. Begründet wird dies meist mit der fehlenden Regierungsfähigkeit der Linkspartei. Bekannt wurde besonders der Fall Andrea Ypsilanti, der Spitzenkandidatin der SPD in Hessen 2008, die – nach öffentlichem Drängen – einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei vor der Wahl eine Absage erteilt hat, und nach der Wahl – mangels Mehrheit für Rot-Grün %ndash; eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung bilden wollte. Ihre Wahl zur Ministerpräsidentin scheiterte schließlich an vier Abweichlern in der SPD-Fraktion – bei der Neuwahl wurde die Schwarz-Gelbe Regierung unter Roland Koch dann wiedergewählt.

Im Gespräch ist oft auch eine Schwarz-Grüne Koalition. Weniger der CDU sondern eher den Grünen wird unterstellt, eine solche nach der Wahl eingehen zu wollen, wenn Rot-Grün scheitert. Diese Option wird tatsächlich nicht wirklich von den Grünen ausgeschlossen, allerdings auf fehlende politische Gemeinsamkeiten zwischen CDU und Grünen verwiesen.

Ins Gespräch kommt gelegentlich auch ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP, die sogenannte Ampelkoalition. Eine solche wird durch die FDP zur kommenden Bundestagswahl mit Verweis auf fehlende inhaltliche Schnittmengen ausgeschlossen. Damit hat die FDP durchaus nicht Unrecht; Allerdings sollte sich die Koalitionsfrage unter diesen Voraussetzungen doch nicht stellen – es sei denn, man unterstellt den Beteiligten, dass politische Macht und nicht politische Gestaltung ihr Ziel ist.

Neben den beiden Wunschkoalitionen der beiden Lager um CDU bzw. SPD bleibt noch die große Koalition, die meist Notlösung ist, wenn anderes nicht möglich ist. Nach der letztn großen Koalition, die für die SPD in einem Debakel geendet ist, wird ihr immer wieder unterstellt, auf eine solche hin zu arbeiten. Der SPD-Spitzenkandidat hat seinerseits mehrmals ausgeschlossen, unter Angela Merkel ein Ministeramt anzunehmen. Die SPD selbst hat nicht öffentlich erklärt, Schwarz-Rot auszuschließen.

Wesentlichr Anlass für die Ausschließeritis sind Journalistenfragen, die solche Fragen auf der Suche nach Themen für ihre Artikel natürlich stellen. Und es ist erkennbar, dass die Parteien verschieden reagieren: Die CDU wird tendenziell nicht gefragt, ob sie Koalitionen ausschließt. SPD, Grüne und FDP werden stets gefragt, und SPD und FDP haben auch Koalitionen ausgeschlossen. Rot-Rot-Grün und Rot-Gelb-Grün sind somit „ausgeschlossen“. Schwarz-Grün und Schwarz-Rot hingegen werden nicht vollumfänglich von einem der Koalitionspartner ausgeschlossen, trotz entsprechender Fragen.

Was aber bewirkt diese politische Taktik, Koalitionen auszuschließen? Wer eine Koalition ausschließt, beraubt sich vordergründig erstmal einer Möglichkeit, oder würde zumindest, falls er das Versprechen bricht, als Lügner dargestellt. Damit sinken de facto aus Wählersicht die Chancen, dass eine Parti in die Regierung kommt, was negative Auswirkungen auf die Motivation der Wähler hat. Hintergründig kommen aber weitere Effekte hinzu: Wer eine Koalition ausschließt, aber andere nicht, sendet implizit das Signal, eben doch auf eine solche zu spekulieren. Die SPD (Schwarz-Rot und Rot-Rot-Grün) ist in einer solchen Lage.

Unter den Begründungen für Ausschlüsse gibt es insgesamt drei, von denen zwei bereits genannt wurden. Es gibt erstens natürlich Koalitionen, die sich von selbst verbieten (solche unter NPD-Beteiligung, beispielsweise. Wer sehen will, wie sich deren Landtagsabgeordneten üblicherweise benehmen, findet auf Youtube Beispiele.), bei denen sich die Koalitionsfrage aus Vernunftgründen nicht stellt. Zweitens gibt es Koalitionen, für die es zu geringe Inhaltliche Übereinstimmungen der Koalitionspartner gibt, oder zumindest durch die Parteien angegeben werden. Das ist ein durchaus valides politisches Argument, dass einen Ausschluss rechtfertigen kann. Der Dritte Typ ist der eher unmotivierte Ausschluss, unter Argumenten wie fehlender Regierungsfähigkeit (Rot-Rot-Grün), die einer Partei pauschal unterstellt wird, trotz Gegenbeispielen (Rot-Rot in Brandenburg). Wer eine solche Koalition ausschließt, kann es mit gravierenden politischen Folgen zu tun bekommen, denn wer eine Koalition, die inhaltlich in hohem Maße denkbar scheint, ausschließt, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nach persönlichen Eitelkeiten statt sachlichen Maßstäben Politik zu betreiben. Das ist das Stöckchen, dass man der SPD in den letzten Jahren stets hingehalten hat, und über das sie zuverlässig dann auch gesprungen ist.

Dazu kommt, dass eine Partei, die Koalitionen ausschließt, die nicht ohnehin vollkommen undenkbar sind, damit ihre eigene Kompromissfähigkeit verneint. Das offenbart fehlendes Verständnis für eine parlamentarische Demokratie, die ohne Kompromisse nicht überlebensfähig ist. Die Weimarer Republik ist zwar nicht an Koalitionsaussagen zugrundegegangen, aber die fehlende politische Mehrheit im Parlament und der viel zu späte und unvollständige Schulterschluss der Gegner der Nazis hat entscheidend zu deren Aufstieg beigetragen. Was also bedeutet die Ausschließeritis für die kommende Wahl? Eine Koalitionsoption, die zuvor ausgeschlossen wurde, kann natürlich – durch Wortbruch – dennoch zustandekommen. Angesichts der wahrscheinlich monatelangen Debatte, zuzüglich der anscheinend ohnehin schwierigen persönlichen Basis für eine solche Koalition, wird die Stabilität einer solchen Koalition gering sein. Für eine tolerierte Minderheitsregierung gälte dies umso mehr. Sollte sich die politische Situation ergeben, dass eine ausgeschlossene Koalitionsoption als inhaltlich sinnvollste Möglichkeit scheint, so werden diejenigen, die jetzt vom Ausschluss geredet haben, der Demokratie – unabhängig vom Zustandekommen der Koalition – schweren Schaden zugefügt haben. Ob und welche Optionen jenseits der Ausschlussfrage denkbar sind, was sie für die politische Lage bedeuten und wie wahrscheinlich sie sind, darauf komme ich nächste Woche zu sprechen.

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