PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Nach der „Ausschließeritis“ vergangener Woche sollen nun die denkbaren Koalitionsoptionen insgesamt unter die Lupe genommen werden.

Die politische Farbenlehre teilt derzeit im Wesentlichen in die Lager Schwarz-Gelb und Rot-Grün ein, die die erklärten Wunschkoalitionen in Regierung bzw. Opposition (exklusive Linkspartei) sind. Jenseits dieser beiden Lager sitzt außerdem die Linkspartei im Parlament, mit der niemand koalieren will (siehe letzte Woche), die gleichwohl ein entscheidender Machtfaktor im Bundestag sein kann. Alle fünf Bundestagsparteien haben gute Chancen, auch im nächsten Bundestag vertreten zu sein. Neuentstandene oder aufstrebende Parteien wie AfD und Piraten haben Diese allen Umfragen zufolge nicht, darum möchte ich auf Konstellationen mit AfD oder Piraten im Bundestag nicht näher eingehen.

Die Schwarz-Gelbe Bundesregierung möchte ihre Arbeit erklärtermaßen fortsetzen. Die Chance, dass das klappt, besteht durchaus, vorausgesetzt, die FDP schafft den Einzug in den Bundestag. Nach den jüngsten Umfragen ist davon auszugehen, auch und insbesondere, weil mit einigen Leihstimmen aus der Union zu rechnen ist, die allerdings wohl keine niedersächsischen Ausmaße annehmen. Abseits der 5-%-Hürde vermehren diese Stimmen allerdings nicht die Chancen einer CDU-FDP-Regierung, sodass nach den Umfragen Schwarz-Gelb auf des Messers Schneide steht. Die bisherige Regierungsarbeit war geprägt durch Streit und anfangs einer FDP, die vor Kraft kaum laufen konnte; Später von einer FDP, die in den Umfragen nur noch mit einer Lupe gefunden werden konnte. Politisch hat die Regierung faktisch nichts bewegt (darauf werde ich später noch im Detail eingehen), und das Regierungsprogramm beider Parteien sieht im Grunde ein „weiter so“ vor, insbesondere seitens der CDU. Zu erwarten wäre tatsächlich ein „weiter so“ im Merkelschen Stil.

Demgegenüber steht das Projekt Rot-Grün von SPD und Grünen. Obschon keine der beiden Parteien um den Bundestagseinzug bangen muss, ist allen Umfragen zufolge eine parlamentarische Mehrheit für diese Option nicht in Sicht. Dennoch erklären beide Parteien diese Koalition zum Ziel und schließen z.T. andere Optionen aus. Beide versprechen Sozialpolitik, z. B. in Form eines Mindestlohns und einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine zaghafte Überarbeitung der Agenda 2010, eine Regulierung der Finanzmärkte und die Abschaffung des Betreuungsgeldes. Der Glaubwürdigkeit dieser politischen Forderungen gegenüber steht die Tatsache, dass – von der Abschaffung des Betreuungsgeldes abgesehen – alle Projekte der Versuch sind, die Schäden zu bekämpfen, die sie in den letzten beiden Rot-Grünen Koalitionen auf Bundesebene, 1998-2005, hauptamtlich angerichtet haben. Diese beiden Regierungen stehen als düstere Erinnerung an den Verrat (insbesondere der SPD) an denjenigen, die sie 1998 gewählt haben, wie ein Damoklessschwert über dem Projekt Rot-Grün. Ihre Wahlversprechen sind in hohem Maße unglaubwürdig, auch weil viele Haptbefürworter von Agenda 2010, Hartz IV, Deregulierung der Finanzmärkte, Senkung des Spitzensteuersatzes, Afghanistaneinsatz, Senkung des Rentenniveaus, u.v.m., heute politische Spitzenpositionen in der SPD bekleiden: Spitzenkandidat Peer Steinbrück, der Finanzminister, unter dem Deutschland (sehenden?) Auges in die Finanz- und Eurokrise schlitterte; Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender, als früherer Kanzleramtsminister ein wesentlicher Architekt der damaligen Reformen. Auch politisch Geschichte gewordene Akteure, wie den verantwortlichen Kanzler Gerhard Schröder, wurdem im letzten Jahr ausgiebig von der SPD für (!) ihre Politik gefeiert, während ihre Kritiker, der frühere SPD-Vorsitzende Lafontaine nicht einmal zum 150-jährigen Jubiläum seiner früheren Partei eingeladen wurde. Insgesamt ist mit der Verwirklichung von Rot-Grün aus demoskopischen Gründen nicht zu rechnen. Ein ernsthafter Politikwechsel ist umso mehr fraglich, als dass die Versprechen zudem unglaubwürdig sind.

Schwarz-Grün hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit im nächsten Bundestag, allerdings sind die Befürworter eines solchen Projektes, vor allem bei den Grünen, momentan in Deckung gegangen, nach der negativen Erfahrung der bislang einzigen derartigen Koalition in Hamburg, die mit einem Knall platzte. Zudem fehlten dieser Option – so die Politiker der Grünen – inhaltliche Gemeinsamkeiten. Tatsächlich ist Angela Merkel allerdings bekanntermaßen so flexibel und in der CDU auch mächtig genug, das durchzusetzen, um weitreichende Zugeständnisse zu machen. Angesichts der hervorragenden Ausgangslage der CDU mit wohl 2 bis 4 potentiellen Koalitionen könnte den Grünen aber (die weniger Möglichkeiten haben werden) die Verhandlungsmasse fehlen, um Merkel allzuviel abverhandeln zu können. Das könnte die Bildung einer solchen Koalition erschweren. Eine Erweiterung dieser Koalition um die FDP zu „Jamaika“ wird machtpolitisch nicht notwendig sein und wäre den Grünen daher keinesfalls zu vermitteln. Diese Option scheidet also aus.

Für die SPD verbleiben insgesamt drei Möglichkeiten: Zunächst einmal die große Koalition, die sicher eine Mehrheit hat, in der die SPD aber ebenso sicher der Juniorpartner wäre. In einer solchen Koalition unter Merkel hat die SPD zuletzt gewaltige Stimmverluste hinnehmen müssen und mit 23 % ihr bislang schlechtestes Wahlergebnis hinnehmen müssen. Vor diesem Hintergrund bestehen gerade in der SPD große Vorbehalte gegen diese Option. Politisch würde sie Stillstand bedeuten, wie in der vorigen großen Koalition. Zwar würde vermutlich – von Merkel weichgespült – ein Mindestlohn eingeführt. Insgesamt wäre es aber ein weiter so für eine Politik, die jeder Stimmungsschwankungen der medialen Öffentlichkeit folgt. Schließlich hat die SPD auch in der Opposition die CDU-Politik mitgetragen. Es wäre die Fortsetzung einer Regierungsarbeit, die frei von politischen Überzeugungen ist – der Angela Merkel sicher nicht abgeneigt ist.

Vergleichbar wahrscheinlich wie Schwarz-Gelb ist Rot-Rot-Grün – wenn das eine geht, geht wohl das andere nicht. Darum ist Rot-Rot-Grün das eigentliche Gegenmodell zur aktuellen Regierung – auch, weil die einzige Partei im Bundestag, die tatsächliche Oppositionspolitik statt Gegenrede mit anschließender Zustimmung betrieben hat. Die inhaltlichen Schnittmengen sind groß und die Chance auf einen Politikwechsel ist mit dieser Koalition am größten: Die Linkspartei kann (unter den Bundestagsparteien) als einzige glaubwürdig für eine Abkehr von der Politik seit 1998 eintreten, auch weil viele ihrer Mitglieder wegen eben dieser Politik die SPD verlassen haben. Bereitschaft zur Zusammenarbeit hat die Linkspartei wiederholt signalisiert. An der verbliebenen Basis der SPD gibt es – trotz aller Bekenntnisse der Parteispitze zur Agenda 2010 – Sympathien für viele sozial-/wirtschaftspolitische Forderungen der Linkspartei. Die Grünen haben zu dieser Wahl ohnehin ein eher linkes Wahlprogramm zusammengestellt, und hier bestehen große gesellschafts- und sicherheitspolitische Gemeinsamkeiten mit der Linken. Als Folge der Ausschließeritis seitens der SPD wäre die Stabilität einer solchen Koalition allerdings tatsächlich fraglich, was allerdings nichts mit der „Regierungsfähigkeit“ der Linkspartei zu tun hat.

Zuguterletzt ist auch eine Koalition von SPD, Grünen und FDP denkbar. Allerdings ist es unwahrscheinlicher, dass diese eine Mehrheit hat, als für Rot-Rot-Grün, weil die FDP vermutlich sehr knapp bei 5 % liegen wird. In Grünen und FDP liegen auch größere Widerstände gegen eine solche Koalition. Tatsächlich bestehen so erhebliche Differenzen (zumindest, was die Wahlvrsprechen betrifft), dass eine solche Regierung praktisch handlungsunfähig wäre, will man den schwächsten Koalitionspartner, die FDP, nicht inhaltlich völlig leer ausgehen lassen. Es gäbe aber durchaus auch Kompromisslinien, so könnte man der FDP umfangreiche Privatisierungen versprechen, denen Rot-Grün in alter Tradition der vergangenen Regierung auch nicht allzu abgeneigt wäre. Gerade in der SPD wird der Wunsch nach einer solchen Koalition sicher laut werden – vorausgesetzt, sie hat eine Mehrheit. Sie böte die Chance, den Kanzler zu stellen ohne das Versprechen keiner Zusammenarbeit mit der Linken zu brechen. Dennoch ist die Realisierung dieser Option eher unwahrscheinlich.

Im Wesentlichen erscheinen somit vier Koalitionsmöglichkeiten recht plausibel: Neben Schwarz-Gelb, der einzigen „Wunschkoalition“, die Aussicht auf Realisierung hat, ein große Koalition, Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Davon steht insbesondere Schwarz-Gelb für die Fortführung des neoliberalen Kurses. Rot-Rot-Grün steht für einen echten Politikwechsel. Sinnbild für den Stillstand wäre Schwarz-Rot. Wozu eine Schwarz-Grüne Regierung imstande wäre, ist schwer einzuschätzen, weil unklar ist, auf welchem Politikfeld – Gesellschaftspolitik oder Wirtschaftspolitik – die Grünen Zugeständnisse machen würden. Insgesamt ist die Wahl und die Regierungsbildung also durchaus offen – wenn auch nicht im Sinne der Rot-Grünen Wahlkämpfer.

Am 22.09.2013 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im beginnenden Endspurt zur Wahl möchte ich mich jede Woche zu einem Wahlthema zu Wort melden. Den Anfang in dieser Serie machen die Koalitionsaussagen der Parteien – auch „Ausschließeritis“ genannt.

Mittlerweile ist es eine eigene politische Disziplin geworden, vor der Wahl möglichst überzeugend kund zu tun, welche Koalition man sich wünscht, und welche man auf gar keinen Fall eingehen werde. Gleichzeitig ist es eine journalistische Sportart, den Funktionären der Parteien solche Aussagen zu entlocken, die sie von selbst nicht treffen würden, um sie dann als unglaubwürdig hinstellen zu können, und die Diskussion über solche Koalitionen erst beginnen zu lassen.

Die „Mutter aller Koalitionsaussagen“ ist vermutlich die Absage an Rot-Rot-Grün, vorwiegend durch die SPD. Während man stets betont, auf Rot-Grün hinzuarbeiten, wird aber eine Erweiterung dieses Duos um die Linkspartei – falls mehrheitstechnisch notwendig – ausgeschlossen, obwohl es eine große inhaltliche Schnittmenge zwischen Rot-Grün und Linkspartei gibt. Begründet wird dies meist mit der fehlenden Regierungsfähigkeit der Linkspartei. Bekannt wurde besonders der Fall Andrea Ypsilanti, der Spitzenkandidatin der SPD in Hessen 2008, die – nach öffentlichem Drängen – einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei vor der Wahl eine Absage erteilt hat, und nach der Wahl – mangels Mehrheit für Rot-Grün %ndash; eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung bilden wollte. Ihre Wahl zur Ministerpräsidentin scheiterte schließlich an vier Abweichlern in der SPD-Fraktion – bei der Neuwahl wurde die Schwarz-Gelbe Regierung unter Roland Koch dann wiedergewählt.

Im Gespräch ist oft auch eine Schwarz-Grüne Koalition. Weniger der CDU sondern eher den Grünen wird unterstellt, eine solche nach der Wahl eingehen zu wollen, wenn Rot-Grün scheitert. Diese Option wird tatsächlich nicht wirklich von den Grünen ausgeschlossen, allerdings auf fehlende politische Gemeinsamkeiten zwischen CDU und Grünen verwiesen.

Ins Gespräch kommt gelegentlich auch ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP, die sogenannte Ampelkoalition. Eine solche wird durch die FDP zur kommenden Bundestagswahl mit Verweis auf fehlende inhaltliche Schnittmengen ausgeschlossen. Damit hat die FDP durchaus nicht Unrecht; Allerdings sollte sich die Koalitionsfrage unter diesen Voraussetzungen doch nicht stellen – es sei denn, man unterstellt den Beteiligten, dass politische Macht und nicht politische Gestaltung ihr Ziel ist.

Neben den beiden Wunschkoalitionen der beiden Lager um CDU bzw. SPD bleibt noch die große Koalition, die meist Notlösung ist, wenn anderes nicht möglich ist. Nach der letztn großen Koalition, die für die SPD in einem Debakel geendet ist, wird ihr immer wieder unterstellt, auf eine solche hin zu arbeiten. Der SPD-Spitzenkandidat hat seinerseits mehrmals ausgeschlossen, unter Angela Merkel ein Ministeramt anzunehmen. Die SPD selbst hat nicht öffentlich erklärt, Schwarz-Rot auszuschließen.

Wesentlichr Anlass für die Ausschließeritis sind Journalistenfragen, die solche Fragen auf der Suche nach Themen für ihre Artikel natürlich stellen. Und es ist erkennbar, dass die Parteien verschieden reagieren: Die CDU wird tendenziell nicht gefragt, ob sie Koalitionen ausschließt. SPD, Grüne und FDP werden stets gefragt, und SPD und FDP haben auch Koalitionen ausgeschlossen. Rot-Rot-Grün und Rot-Gelb-Grün sind somit „ausgeschlossen“. Schwarz-Grün und Schwarz-Rot hingegen werden nicht vollumfänglich von einem der Koalitionspartner ausgeschlossen, trotz entsprechender Fragen.

Was aber bewirkt diese politische Taktik, Koalitionen auszuschließen? Wer eine Koalition ausschließt, beraubt sich vordergründig erstmal einer Möglichkeit, oder würde zumindest, falls er das Versprechen bricht, als Lügner dargestellt. Damit sinken de facto aus Wählersicht die Chancen, dass eine Parti in die Regierung kommt, was negative Auswirkungen auf die Motivation der Wähler hat. Hintergründig kommen aber weitere Effekte hinzu: Wer eine Koalition ausschließt, aber andere nicht, sendet implizit das Signal, eben doch auf eine solche zu spekulieren. Die SPD (Schwarz-Rot und Rot-Rot-Grün) ist in einer solchen Lage.

Unter den Begründungen für Ausschlüsse gibt es insgesamt drei, von denen zwei bereits genannt wurden. Es gibt erstens natürlich Koalitionen, die sich von selbst verbieten (solche unter NPD-Beteiligung, beispielsweise. Wer sehen will, wie sich deren Landtagsabgeordneten üblicherweise benehmen, findet auf Youtube Beispiele.), bei denen sich die Koalitionsfrage aus Vernunftgründen nicht stellt. Zweitens gibt es Koalitionen, für die es zu geringe Inhaltliche Übereinstimmungen der Koalitionspartner gibt, oder zumindest durch die Parteien angegeben werden. Das ist ein durchaus valides politisches Argument, dass einen Ausschluss rechtfertigen kann. Der Dritte Typ ist der eher unmotivierte Ausschluss, unter Argumenten wie fehlender Regierungsfähigkeit (Rot-Rot-Grün), die einer Partei pauschal unterstellt wird, trotz Gegenbeispielen (Rot-Rot in Brandenburg). Wer eine solche Koalition ausschließt, kann es mit gravierenden politischen Folgen zu tun bekommen, denn wer eine Koalition, die inhaltlich in hohem Maße denkbar scheint, ausschließt, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nach persönlichen Eitelkeiten statt sachlichen Maßstäben Politik zu betreiben. Das ist das Stöckchen, dass man der SPD in den letzten Jahren stets hingehalten hat, und über das sie zuverlässig dann auch gesprungen ist.

Dazu kommt, dass eine Partei, die Koalitionen ausschließt, die nicht ohnehin vollkommen undenkbar sind, damit ihre eigene Kompromissfähigkeit verneint. Das offenbart fehlendes Verständnis für eine parlamentarische Demokratie, die ohne Kompromisse nicht überlebensfähig ist. Die Weimarer Republik ist zwar nicht an Koalitionsaussagen zugrundegegangen, aber die fehlende politische Mehrheit im Parlament und der viel zu späte und unvollständige Schulterschluss der Gegner der Nazis hat entscheidend zu deren Aufstieg beigetragen. Was also bedeutet die Ausschließeritis für die kommende Wahl? Eine Koalitionsoption, die zuvor ausgeschlossen wurde, kann natürlich – durch Wortbruch – dennoch zustandekommen. Angesichts der wahrscheinlich monatelangen Debatte, zuzüglich der anscheinend ohnehin schwierigen persönlichen Basis für eine solche Koalition, wird die Stabilität einer solchen Koalition gering sein. Für eine tolerierte Minderheitsregierung gälte dies umso mehr. Sollte sich die politische Situation ergeben, dass eine ausgeschlossene Koalitionsoption als inhaltlich sinnvollste Möglichkeit scheint, so werden diejenigen, die jetzt vom Ausschluss geredet haben, der Demokratie – unabhängig vom Zustandekommen der Koalition – schweren Schaden zugefügt haben. Ob und welche Optionen jenseits der Ausschlussfrage denkbar sind, was sie für die politische Lage bedeuten und wie wahrscheinlich sie sind, darauf komme ich nächste Woche zu sprechen.

Nach langer Zeit der Funkstille tritt nun die Privatisierung der Bahn wieder auf den politischen Plan. Der Anlass sind – man möchte es kaum glauben – die katastrophenartigen Zustände im Stellwerk Mainz, die aktuell die Öffentlichkeit in Rage bringen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Es geht nicht darum, dass die Idee des Bahnbörsengangs ein Fehler war, sondern darum, es jetzt endlich doch durchzuziehen. Klingt nach „Augen zu und durch“.

Bevor ich auf den Börsengang weiter eingehe, möchte ich kurz die Mainzer Situation darstellen und in ein Verhältnis zur bundesweiten Lage setzen. Das Mainzer Stellwerk wird zur Zeit nicht rund um die Uhr besetzt, außerdem müssen zwischendurch Betriebspausen eingelegt werden. Ursache dafür ist akuter Personalmangel. Nach Aussage der Bahn sind 15 Fahrdienstleiter bzw. Assistenten für das Mainzer Stellwerk angestellt. Davon werden 12 benötigt, um den Schichtplan vollständig zu besetzen. Nun sind aktuell drei in Urlaub, womit die Fehlplanung ihren Anfang nimmt, weil bereits ein Krankheitsfall in einer Unterbesetzung resultieren würde. Tatsächlich beträgt der Krankenstand aber 5 Mitarbeiter. Hier wird deutlich, wie dünn diese Personaldecke ist, wo doch an einem derartig neuralgischen Punkt wie einem Stellwerk (dessen Ausfall weiträumige Konsequenzen hat, im Gegensatz beispielsweise zum Ausfall eines einzelnen Lokführers, es gelten muss, einen Ausfall unbedingt zu vermeiden.

Diese Situation ist, wenn man den öffentlichen Berichten trauen darf, kein Einzelfall. Bundesweit fehlen nicht nur hunderte Fahrdienstleiter, sondern auch Lokführer und Gleisbauarbeiter. Angeblich fielen durch den Lokführermangel bereits Fahrten aus – was aber nicht belegbar ist, sollte die Bahn weniger peinliche Gründe, wie ein technischer Defekt, vorschieben. In Mainz ließ das Ausmaß des Schadens eine Vertuschung nicht zu. Die Bahn hat – ihren Aussagen zufolge – nun umgeschwenkt von Personalabbau zu Personalaufbau. Dabei werden nun, durch die aufkommende Hektik, Arbeitskräfte im Schnellverfahren umgeschult. Ob dies der Sicherheit zuträglich ist, ist fraglich, aber auch die Frage, ob dieser Crash-Kurse ausreichen, um einen flüssigen Betriebsablauf zu gewährleisten, ist fraglich. Nicht umsonst war es in der Vergangenheit üblich, schon erfahrene Eisenbahner zu Fahrdienstleitern auszubilden. Nun wäre die öffentliche Aufregung gering, wenn das betroffene Unternehmen z. B. VW wäre. Personalmangel am Fließband, der zu Stillstand führt, wäre zwar ärgerlich, abr vor allem Sache von VW. Im Gegensatz zu VW ist die Bahn aber von öffentlichem Interesse. Und zwar nicht nur als Arbeit- und Auftragsgeber, sondern als Anbieter. Es ist unerheblich, ob es sich um ein Staatsunternehmen oder einen privaten Konzern handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass öffentlicher Nahverkehr eine öffentliche Aufgabe ist, deren Erfüllung im Raum Mainz derzeit nicht mehr gewährleistet ist.

Nun steht einmal mehr der Börsengang im Raum – ins Spiel gebracht von Rainer Brüderle (FDP). Eine paradoxe Forderung zu einem seltsamen Zeitpunkt, könnte man meinen. Tatsächlich ein geschickter Schachzug, die Unsinnigkeit des eigenen Konzepts zu verdecken. Ein Börsengang der Bahn wird die Lage nicht verbessern. Offenbar ist die gegenwärtige Personaldecke für die Bahn gewinnmaximierend. Dies war und ist das Ziel des Bahnmanagements; politisch durch die Regierung gedeckt. Eine Privatisierung würde daran nichts ändern, außer, dass der Staat weniger Anteile an dem Unternehmen hält, und sich damit aus seiner Verantwortung stiehlt. Die Komponente des politischen Drucks würde abgeschafft – das einzige, was die Bahn vom gewinnmaximierenden Prinzip der personellen Unterbesetzung abhalten könnte. Eine Privatisierung bewirkt also höchstens eine Verschlechterung der Situation. Hinzu kommt, dass eine Privatisierung des Betriebs, also Fern- und oder Nahverkehr, rein garnichts mit den Stellwerken zu tun hat. Diese gehören zum Geschäftsbereich „Netz“. Diesen zu privatisieren, gehört zu den wenigen Dingen, die ich unserer Regierung nicht wirklich zutraue – die Folgen kämen einer politischen Katastrophe gleich:

Eine privatisierte „DB Netz“ wäre Monopolist. Sie könnte die Preise für die Trassen frei festlegen und würde die höchstmöglichen Preise verlangen. Selbst politischer Druck könnte dies nicht vollständig unterbinden, weil die Bahn durch entsprechend manipulierte Berechnungen ihren Kostenaufwand künstlich hochrechnen kann. Bezahlen müsste diese Preise z.T. der Staat, der den Nahverkehr subventioniert (Subventionsabbau sieht übrigens anders aus). Strecken, die trotz der Monopol-Preispolitik nicht die vom Kapitalmarkt geforderte Rendite erwirtschaften, würden trotz öffentlichem Interesse würden (wenn das Eisenbahnbundesamt es erlaubt) stillgelegt oder zurückgebaut. Falls diese Erlaubnis zum Zurückbau unterbleibt, würde (wie bereits jetzt) durch Unterinvestition die Attraktivität der Strecke soweit reduziert, dass das Interesse am Erhalt schwindet und zugleich für die verbliebene Betriebszeit die Rendite der Strecke durch die verringerten Ausgaben erhöht. Die bereits bestehenden Personalprobleme würden – da sie bereits gewinnmaximierendem Kalkül entspringen – nicht weniger.

Der FDP-Vorschlag einer Bahnprivatisierung würde das Problem verschärfen, nicht lösen. Es ist trotzdem taktisch eine geschickte Idee, ihn jetzt ins Spiel zu bringen. In der aktuellen Situation wird ihn kaum jemand ernst nehmen, sodass kein ernsthafter Widerspruch zu befürchten ist. Die FDP kann so ihre Forderung widerspruchslos kundtun, wodurch die Öffentlichkeit darauf vorbereitet wird. Außerdem ist es quasi höchste Zeit für die Privatisierungsbefürworter. Die Vorbereitungen für den Börsengang sind schon längst abgeschlossen, und die Zeit drängt, um die Chance zu nutzen und nicht in Gefahr zu laufen, dass irgendeine Regierung diese Politik der letzen 20 Jahre revidiert, bevor man Fakten schaffen konnte. Wird weiter gewartet, werden sich immer mehr der Schäden zeigen, die die Rationalisierungen verursacht haben, was politischen Verdruss sowie den möglichen Absprung von potentiellen Käufern und damit das Ende des Projekts Börsengang bedeuten kann. Man bereitet jetzt den Nährboden um, wenn die Wogen sich geglättet haben, den Vorschlag in den Koalitionsvertrag nach der Wahl einfließen zu lassen, um die (zweifelhaften) Früchte der „Arbeit“ der letzten Jahre retten und bald ernten zu können.

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