PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Im gestrigen Heute-Journal ging es um Peer Steinbrücks Kanzlerkandidatur. Marietta Slomka interviewte Peer Steinbrück – was an Tendenziösität und Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Mit dem Satz „Viele Wähler werden sich denken, [...] hm, große Koalition, das ist die realistischere Machtperspektive – aber den Herrn Steinbrück kriegen wir dann nicht. Wieso steht der dann drauf wenn er am Ende nicht drin sitzt?“ begann ein verkehrte-Welt-Interview, in dem die Fragestellerin mehr Meinung zu Protokoll gab als der Interviewte. Steinbrück erwiderte darauf unter anderem, er möchte das Land gestalten und nicht verwalten, weswegen er den Anspruch habe, Bundeskanzler zu werden. Er möchte nicht der Steigbügelhalter Merkels sein. Soweit eine legitime Antwort auf eine legitime Frage, wenngleich sie bereits in ihrer Formulierung erahnen ließ, wie es weiter geht. Nachhaken bei soetwas kann nur peinlich für den Journalisten werden – denn der Journalist kann nur persönlich werden, um tiefer zu bohren, abgesehen davon, dass sich die Frage auf die meines Erachtens nach unwichtigere Personalebene bezieht. Der Journalist stellt damit klar, dass er das Interview auf dieser Ebene zu führen gedenkt.

„Das heißt dann, den Steigbügelhalter sollen dann anderen in der SPD für Sie machen; Für Sie ist das nicht gut genug, auch wenn sie damit Verantwortung für das Land übernähmen“ knallt Frau Slomka Steinbrück vor den Latz. Als Interviewter sollte man an dem Punkt, wo der Journalist einen persönlich angreift, persönliche Vorwürfe macht, ohne sich irgendwie davon zu distanzieren, ernsthaft überlegen, das Interview abzubrechen. Steinbrück macht weiter und versucht zu erklären, dass nur unter bestimmten Umständen große Koalitionen richtig sein, Marietta Slomka erwidert nicht zu unrecht, dass es die einzige nicht ausgeschlossene Machtperspektive der SPD sei. Darauf folgt der nächste persönliche Frontalangriff:

„Politik ist auch die Kunst des Machbaren und nicht persönliche Selbstverwirklichung.“ Steinbrück kontert freundlich, „damit bin ich einverstanden, [...]“. Slomka holt noch einmal aus. Diesmal: „Das ist das, worüber sich die Wähler gedanken machen.“ – Wenn das stimmen würde, hat Merkel gewonnen – völlige Entpolitisierung einer Wahl. Der nächste Satz: „Die fragen sich, Mensch, wenn ich jetzt den Steinbrück ankreuze, warum kriege ich den am Ende nicht? Viele fanden Sie ja als Finanzminister gut.“ Das mit dem Finanzminister wird noch zu einem Schlag nutzen, aber zum vorigen Satz: Er ist im Ansatz falsch, denn Steinbrück können nur die wenigsten ankreuzen, nämlich die, die zufälligerweise in seinem Wahlkreis wohnen. Es werden Parteien gewählt, zumindest mit der entscheidenden Zweitstimme. Und den Kanzler wählt der Bundestag, sonst niemand. Steinbrück scheint langsam genervt, listet sein Wahlprogramm auf (Mindestlohn, Betreuungsgeld abschaffen, Steueroasen trockenlegen, ...), weswegen ihmzufolge die Wähler SPD wählen müssten. „Hm, ja, aber vielleicht werden das nicht genug tun“ – ist die patzige Replik Slomkas. Zugegeben, nach dem Wahlprogramm hat sie Steinbrück nicht gefragt; Seine Antwort ist irgendwie zusammenhanglos. Slomka gibt diesen Punkt auf, sie wechselt das Thema:

„Eine andere Frage, die sich auch viele Wähler stellen, die ich Ihnen jetzt stelle: Welch Eigenschaften muss ein Staatsmann haben, der eine große Nation auf schwierigem internationalem Parkett vertritt?“ Steinbrück antwortet, es braucht Führungskraft, des Einsatzes der Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Er führt den Syrienkonflikt als Beispiel an, in dem er das vermisst habe. Diese Antwort passt Slomka offenbar nicht in den Kram – obschon es offenkundig eine legitime Antwort mit Bezug zur Frage war. Sie setzt nach: „[...] Das ist auch ein Beispiel für die Frage, welche Eigenschaften man da als Staatsmann haben muss.“ Dann macht sie selbst Vorschläge: „Was halten Sie von Besonnenheit, Selbstbeherrschung, diplomatisches Geschick?“. Vermutlich die bisher bösartigste Frage des Abends. Implizit unterstellt die Fragestellerin Steinbrück gegenteilige Eingeschaften. Steinbrück bleibt gelassen und erwidert, er sei im Augenblick Kandidat und nicht Kanzler und wolle sich auch nicht auf das Glatteis begeben. Er sagt weiter, ihm sei bewusst, welche Eigenschaften man auf internationalem Parkett brauche. Dies habe er, so Steinbrück, als Finanzminister bewiesen. Slomka freut sich sichtlich über die Antwort, führt sie doch zu einem neuen kampagnenfähigen Thema ... „Aber sie bewerben sich jetzt [...] nicht mehr nur darum, Finanzminister zu sein, Kavallerien in die Schweiz zu schicken, oder ähnliches, [...]“. Schön in den Nebensatz einen Vorwurf, eine alte Negativschlagzeile eingebettet, dem Steinbrück kaum entgegentreten kann, wenn er die eigentlich noch kommende Frage beantworten will. Die lautet: „Dieser Slogan 'Deutschlands Zukunft in guten Händen', passt das [...] auch zu einem Stinkefinger?“ Nachdem er erwidert, es handle sich um „Satire“, wirft sie ihm vor: „Diese Emotionen sind aber sehr unterschiedlich [...], manche finden das, viele finden das auch eher aggressiv, obszön und ungehörig [...]“. Das viele das überhaupt interessiert, setzt sie dabei voraus, und dass viele es so negativ empfinden, behauptet sie ohne jeden Beweis. Ob das eine gute Strategie sei, solche Bilder zuzulassen? Auf Steinbrücks Rechtfertigung erwidert sie: „Für einen guten Witz riskiere ich also auch schonmal eine Wahl.“

Alles in allem ist das Interview ein Tiefpunkt, und zwar nicht der Politik oder des Wahlkampfes der SPD, sondern des Journalismus. Ich habe es selten im ZDF in den Nachrichten gesehen, dass ein Politiker so hart angegangen wurde von einem Journalisten. Die Fragen dabei waren dabei durchweg unhöflich, meist persönlich und oft ehrabschneidend. Manches, was dabei von der Journalistin behauptet wurde war schlichtweg Unfug, anderes frei jeden Beweises. Es erinnert mich dabei schrecklich an einen Werbe-Trailer für die Talkshows, den einer der öffentlich-rechtlichen Sender jüngst ausstrahlte, in dem Anne Will oder Maybritt Illner stolz verkündete, man sei jetzt „noch persönlicher“ in den Interviews oder Talkrunden. Das ist eine qualitative Bankrotterklärung des Journalismus, wenn sich Journalisten nur noch dann investigativ fühlen, wenn sie die Gesprächspartner durch persönliche Fragen in Bedrängnis, unter Rechtfertigungsdruck, in Verlegenheit bringen. Wenn die Fragen bloß noch auf die persönliche, menschliche Ebene zielen und Sachfragen irrelevant werden, dann ist das Boulevard-Journalismus, mehr nicht. Natürlich sollen Journalisten kritische Interviews führen. „Persönlich“ ist aber etwas anderes als „kritisch“. An Menschen und Charakter rumzukritisieren ist kein „kritischer Journalismus“. Kritischer Journalismus versucht, auf sachlicher Ebene den Interviewten auf die Probe zu stellen. Dabei dürfen Journalisten natürlich versuchen, ihn in die Enge zu treiben. Aber nur auf sachlicher Ebene. Wer die Konfrontation auf persönlicher Ebene sucht, der stellt nur klar, das er keine sachliche Munition mehr hat.

Frau Slomka hat sich in diesem Interview als seriöse Journalistin sehr gründlich diskreditiert. Ihre Fragen waren weniger Fragen als Meinungsäußerungen, stellten Vorwürfe in den Raum und unterstellten Steinbrück mal mehr, mal weniger direkt unehrenhafte Motive („persönliche Selbstverwirklichung“). Sie belässt es dabei nicht bei einer Frage, sie bohrt nach, wiederholt und verstärkt die Vorwürfe. Auf derartig ausgerichtete Fragen eine „wahre“ Antwort zu erhalten, kann niemand erwarten. Die Frage dabei zu wiederholen, hoffend, dass er dann doch sagt, „ja, ich will mich nur selbst verwirklichen“, ist eine Methode der Inquisition und zugleich – wegen des abzusehenden Resultats – auch frei von Neuigkeiten für den Zuhörer. In diesem wird dabei bloß das Gefühl der Unlauterkeit Steinbrücks geweckt, wogegen er sich nicht wehren kann. Das Ergebnis dieses Interviews ist, dass alle Welt Frau Slomkas Meinung über Peer Steinbrück kennt (oder zumindest zu kennen glaubt) und eine schlechte Meinung von Peer Steinbrück untergejubelt kriegt. Es war an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Gegenwart