Der Weg des geringeren Widerstands
Warum sind Alexis Tsipras, Francois Hollande und Matteo Renzi so krachend gescheitert? Was hat sie dazu verleitet, so rasch und so nachhaltig sich in die Phalanx der herrschenden Politik der EU einzureihen, die so eklatant den Interessen ihres Landes und den von ihnen selbst verkündeten Absichten widerspricht? Angesichts der Parallelen mag man geneigt sein, an eine Verschwörung zu denken, an trojanische Pferde, die auf dem Ticket des versprochenen Wandels ins Amt gekommen sind und bei erster Gelegenheit dann sie Seiten gewechselt haben. Solche Fälle mag es gegeben haben, aber ich halte diese These hier nicht für zutreffend. Vielmehr hat das „Umfallen“ von Tsipras, Hollande und Renzi bei den ersten beideneine ausgeprägte psychologische Komponente: Es ist der Weg des geringsten Widerstandes, oder anders formuliert, ein Weg, der ihnen die Sicherheit bietet, mit einem blauen Auge aus ihrem Dilemma herauszukommen, anstelle des Risikos, eine Bruchlandung zu erleiden, das mit der Chance auf einen Erfolg einhergeht. Bei Renzi hingegen liegt der Enttäuschung ein Missverständnis zugrunde, da er nie einen ernsthaften Politikwechsel versprochen hat.
Hollande beispielsweise, der mit heeren Versprechungen antrat, hat zu Beginn seiner Amtszeit tatsächlich einige dieser Versprechen zunächst umgesetzt, etwa die Einführung eines hohen Spitzensteuersatzes. Erst als dann jedoch Protest über ihn hereinbrach, kippte er sofort um. Das widerspricht der These, dass die Kehrtwende geplant war. Hollande scheint hingegen der Mut zu fehlen, sich Konflikten zu stellen. Nun ist es keineswegs so, dass die Öffentlichkeit seinen Kursschwenk mit Wohlwollen aufgenommen hat; und das wird er auch nicht erwartet haben. Aber denjenigen, mit denen er es nun als Präsident persönlich regelmäßig zu tun hat, den Spitzen der Wirtschaft und seinen ausländischen Amtskollegen (u.a. Angela Merkel), brauchte er nun keinen Widerstand zu leisten. Einen Konflikt mit jemandem einzugehen, dem man Auge in Auge gegenübersteht, erfordert mehr Mut, als mehr oder weniger anonyme Wähler zu verprellen. Dazu mag kommen, dass Hollande inzwischen nicht mehr glaubt, eine zweite Amtszeit zu erhalten, sodass er sich mit seinen Wählern ohnehin nicht mehr auseinandersetzen muss – mit seinen Amtskollegen und den Wirtschaftsbossen jedoch schon.
Auch Alexis Tsipras hat seinen Widerstand gegen die Euro-Politik höchst energisch begonnen und ungefähr ein halbes Jahr durchgehalten; auch dies widerspricht einem planvollen Kurswechsel. Er hat das Finanzministerium mit Giannis Varoufakis besetzt, der sich mit großem Eifer der Aufgabe widmete, die Verhandlungen für Griechenland erfolgreich zu führen. Tsipras schien hingegen der naiven Vorstellung anzuhängen, man müsse den europäischen Verhandlungspartnern nur mitteilen, dass man jetzt in Griechenland eine andere Politik wolle, dann würden die mit Freude an der Seite Griechenlands stehen. Während Varoufakis die Bedeutung einer Drohkulisse für die widerspenstigen europäiscen Finanzminister (sowohl die eines Euro-Ausstiegs, wie auch die Drohung, Euros physisch zu drucken) verstanden hatte und damit der griechischen Position Gewicht verleihen wollte, scheute Tsipras schließlich die Konfrontation, nachdem er im Inland ein Referendum gewonnen hatte, dass die ursprüngliche Haltung der Regierung bestätigte. Auch hier fehlte es schließlich an Mut, mit letzter Konsequenz zu verhandeln und das Risiko eines katastrophalen Scheiterns zu tragen.
Und Matteo Renzi? Der hat sein hauptsächliches Versprechen, die alten Politiker zu „verschrotten“ und die Politik zu verjüngen, im Grunde erfüllt, zumal er selbst noch sehr jung ist. Nur leider hat man später gemerkt, dass das nichts nützt, weil es die wesentlichen Probleme Europas oder Italiens nicht löst. Renzi kann man nicht vorwerfen, den Mut verloren zu haben – er hat nie vorgegeben, ihn zu haben. Zudem ist Renzi nicht durch Neuwahlen, sondern einen Putsch gegen seinen Vorgänger Enrico Letta ins Amt gekommen, und hat in diesem Sinne der italienischen Öffentilchkeit auch keine Wahlversprechen gemacht, die er hätte brechen können. So macht auch er sich die Sache leicht und verweigert sich der dringend nötigen Konfrontation mit der von Deutschland geprägten Euro-Politik.