Seit 1986 Norbert Blüm begann, mit dem Spruch „die Rente ist sicher“ zu werben, fürchten sich die Deutschen um ihre Rente. Nicht ohne Grund: Kräftig wurde seither das Rentenniveau gesenkt. Lag es zu Blüms Zeiten noch über 50%, sind es heute noh 45%. Zudem wurde 2007 beschlossen, das Renteneintrittshalter um zwei Jahre zu erhöhen.
Die Rente, um die sich die Deutschen nun fürchten, wurde nicht, wie oft kolportiert, unter Otto von Bismarck eingeführt. Bismarck führte nur überhaupt erstmals eine gesetzliche Rentenversicherung ein, jedoch eine kapitalgedeckte. Das bedeutet, die arbeitende Generation legt Geld zurück, das ihr später für die Rente zurückgezahlt wird. In ihrer Bestehenszeit erlitt die Bismarcksche Rente mehrfache wirtschaftliche Totalschäden: Die Hyperinflation 1923 und das Ende des zweiten Weltkriegs 1945. Die umlagefinanzierte Rente, wie wir sie heute kennen, wurde 1957 unter Konrad Adenauer geschaffen. Hier zahlt die arbeitende Generation die Renten ihrer Elterngeneration, während sie selber später ihre Rente von der nächsten Generation bezahlt bekommen.
Die Deutschen glauben nun anscheinend, die umlagefinanzierte Rente sei nicht sicher. Was ein Quatsch: Eine kapitalgedeckte Altersversicherung ist nicht sicher, wie die Bismarcksche Rente zeigt, oder die Probleme der kapitalgedeckten System weltweit im Zuge der Finanzmarktkrise von 2007. Jeder ökonomische Schock, sowie Fehlspekulationen des Rentenfonds können sie in schwerwiegende Probleme bringen. Das Geld der Beitragszahler wird mitnicht beiseite gelegt, sondern es wird (konservativ) angelegt, und soll Zinsen erbringen, damit ein künftig gutes Rentenniveau mit akzeptablen Beitragszahlungen heute möglich ist. Diese Zinsen sind eine Risikoprämie; das Risiko tragen die Versicherten. Die umlagefinanzierte Rente ist hingegen absolut sicher, da das Geld nicht verloren gehen kann. Allerdings hängen die auszahlbaren Beträge, und damit die Höhe der Rente, von dem ab, was die arbeitende Bevölkerung einzahlt, d.h. ein festes Niveau kann sie nicht sicherstellen. „Ausfallen“ kann sie kann nur durch politisches Handeln, nämlich wenn sie abgeschafft würde. Blüm hatte also recht!
Mit zunehmender Lebenserwartung der Menschen – seit Adenauers Zeiten etwa 10 Jahre – und schrumpfender Erwerbsbevölkerung steht das Rentensystem vor einer Schwierigkeit: Mehr Rentner stehen weniger Beitragszahlern gegenüber. Die Deutschen glauben nun, sie könnten das Problem mit Umstellung auf Kapitaldeckung kurieren. Sie irren, und zwar fudamental. Eigentlich müssten sie das inzwischen gemerkt haben, nachdem man ihnen Riester- und Rürup-Renten verhökert hat, die sich nur für die Versicherer, aber nicht für die versicherten gelohnt haben. Auf den ersten Blick scheint das Prinzip Kapitaldeckung jedoch in der Tat robust gegenüber einem Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung, denn jede Generation wird aus dem Kapital finanziert, das sie selbst angespart hat. Eine große Kohorte spart für eine große Kohorte, eine kleine Kohorte für eine kleine. Doch denkt man gründlicher und gesamtwirtschaftlich darüber nach, kommt man zu der Einsicht: Nein, es bringt nichts. Der Denkfehler ist, dass die Menschen sich die kapitalgedeckte Rente nach dem Eichhörnchen-Prinzip denken.
Das Eichhörnchen vergräbt im Herbst die Nüsse, die es im Winter fressen will. Wir legen aber keine Nüsschen zurück, sondern Geld. Geld kann man nicht essen, sondern wir können uns von dem Geld etwas kaufen: Zum Essen, zum Anziehen oder zum Heizen. Das allerdings wird nicht von der Rentnergeneration produziert, sondern von der arbeitenden Bevölkerung. An dem Grundproblem, dass die arbeitende Generation das erwirtschaftet, wovon alle lebenden Menschen, Kinder bis Rentner, leben müssen, ändert es nichts – das ist die Rente „in a nutshell“. Wir sind eben keine Eichhörnchen, wir können quasi nichts von dem, was wir als Rentner konsumieren wollen, physisch zurücklegen. So viel Lagerraum haben wir nicht, so haltbar sind die meisten Produkte nicht, und den technischen Fortschritt verschlafen wir dann auch. Die heutigen Rentner hätten dann keine Smartphones, sondern bestenfalls klobige Antennentelefone mit kleinem Bildschirm und schwerem Akku. Deshalb sparen wir Geld statt Waren.
Wo bei der umlagefinanzierten Rente nicht sicher ist, wie viel später verteilt werden kann, ist beim Kapitaldeckungsverfahren nicht sicher, wie viel man sich von dem Geld dann noch wird kaufen können. Im Extremfall haben wir dann in 50 Jahren viele Rentner mit sehr viel Geld, und wenige Arbeitskräfte, die Waren produzieren und Dienstleistungen erbringen. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder, diese Rentner kaufen der arbeitenden Bevölkerung alles weg, und die lebt von Brot und Wasser. Also: Die Rentner haben das Geld, die Anderen das Problem. Oder – wahrscheinlicher – die Preise werden so steigen, dass die Rentner sich von ihren hohen Renten nicht viel werden leisten können; während die arbeitende Bevölkerung normal leben kann, weil deren Gehaltszahlungen ebenfalls gestiegen sind. Jetzt mag jemand einwenden: Wir können die Produkte ja aus dem Ausland kaufen, denn dort leben ja noch junge Menschen! Doch wie stellen Sie sich das vor, doch nicht als Almosen für die Seniorenresidenz „Deutschland“? Warum sollten die Ausländer uns Waren gegen Geld schicken, wenn sie von diesem Geld nichts in gleichem Wert kaufen können? Ganz einfach, was sich im Inland in Inflation entlädt, führt im Außenhandel dazu, dass der Euro abwerten wird, sodass die Importe hinreichend teuer werden.
Wer die Rente sichern will, also demographiefest machen will, muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft für die nächsten Jahrzehnte sichern, also dass wir mit weniger Arbeitskräften weiterhin so viel erwirtschaften, wie unser Lebensstandard erfordert. Die Deutschen haben allerdings in etwa den Denkhorizont eines Eichhörnchens. Also bauen sie sich jetzt eine Aktienrente auf, um die Rente zu sichern.
Ich verkneife es mir, hier die Frage zu erörtern, wer in Sachen Ukraine moralisch im Recht, oder wer in welcher Hinsicht Verteidiger bzw. Angreifer ist, denn man kann nicht offen diskutieren, wenn dabei mit einem Fuß im Gefängnis steht. Stattdessen wollen wir uns nur mit der logischen Konsistenz der deutschen Meinung zur Ukraine befassen.
Zuvor müssen wir jedoch ein wenig differenzieren: Dass die Bundesrepublik in diesem Krieg die Partei der Ukraine ergriffen hat, kann niemand ernstlich bestreiten. Diese Politik ist, wenn auch mit Intensitätsunterschieden, Konsens unter CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen. Grüne, FDP und CDU/CSU treten dabei mit besonders martialischen Forderungen hervor. Die Deutschen selbst sind inzwischen durchaus differenzierter unterwegs: Nach zweieinhalb Jahren Krieg wünscht sich eine Mehrheit mehr diplomatische Friedensbemühungen und die Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine sinkt. Eine deutliche Mehrheit scheint aber weiter der Auffassung zu sein, dass die Ukraine unsere Freiheit verteidige. Tut sie das?
Wenn die Ukraine angeblich unsere Freiheit verteidigt, müssen wir zunächst klären, was genau „unsere Freiheit“ meint. Gemeint sein könnte: Freiheit im Sinne von Souveränität der europäischen Staaten, der westliche Lebensstil im Sinne des hiesigen Wohlstands, oder die individuelle Freiheit der einzelnen Büger, also mithin die Freiheitsrechte, die etwa in Deutschland das Grundgesetz garantieren soll. Alles drei wollen wir uns näher ansehen.
Verteidigt die Ukraine die Souveränität der europäischen Staaten? Ich denke nein. Zum einen ist es der Ukrainekrieg selbst, der die Souveränität europäischer Länder untergräbt. Dass die USA zu Konferenzen in Deutschland einladen, um über die Ukraine zu beraten, ist ein interessanter Befund zu der Frage, wer hierzulande eigentlich der Herr im Hause ist, den wir ohne den fortgesetzten Ukrainekrieg nicht hätten. Geradezu komisch wirkt es, wie das Verteidigungsministerium schreibt, es fände „unter deutscher Beteiligung statt“. Auch das folgenlose unverschämte Auftreten des ehemaligen Botschafters Melnyk in Deutschland war kein Zeugnis der Souveränität Deutschlands. Ebenfalls hat sich gezeigt, dass etwa Serbien oder Ungarn in ihrer souveränen Entscheidung, weiterhin gewissen Austausch mit Russland zu betreiben, massiv unter Druck gesetzt werden, z.B. durch die EU-Komission oder die USA. In ganz Europa ist die Souveränität über die Energieversorgung, mithin also die Möglichkeit der Entscheidung, ob man Öl, Kohle oder Gas aus Russland beziehen möchte, nicht mehr gegeben. Die Entscheidung ist vielmehr politisch von der EU vorgegeben worden – und irgendwer (ich spekuliere nicht weiter, wer) hat sogar die deutsche Gasinfrastruktur in der Ostsee gesprengt. Der Ukrainekrieg ist also in keiner Weise souveränitätsfördernd.
Zum anderen wäre die Frage, ob die Souveränität der europäischen Staaten überhaupt gefährdet wäre, wenn man Russland in der Ukraine gewähren ließe. Das wäre sie, wenn die Russen danach das nächste Land angreifen würden. Das wird immer wieder unterstellt, ist allerdings vollkommen absurd. Alle anderen Länder in der Nähe – inzwischen ja auch Finnland – sind NATO-Mitglieder, die Ukraine nicht. Ein Angriff auf die Ukraine löst keinen Bündnisfall auf, ein Angriff etwa auf Estland oder Polen hingegen sofort. Die Kriegsführung in der Ukraine zeigt deutlich, dass die Russen keinen direkten Krieg mit der NATO wünschen, und die militärischen Ereignisse in der Ukraine zeigen ja auch durchaus, dass die Russen dafür auch eher keine Kapazitäten haben. Zudem stellt sich die Frage, was sich die Russen oder ihr Präsident davon versprechen könnten, selbst wenn sie sich militärisch überlegen fühlen? Schon eine Eroberung und Besetzung der Westukraine ist aufgrund der dort lebenden russenhassenden Bevölkerung kein sinnvolles Ziel, und die Russen haben diesbezüglich auch entsprechend keine Anstrengungen unternommen. Nicht anders sähe es in Estland oder Polen aus; an eine erfolgreiche Besatzung dieser Länder wäre nicht zu denken, und das wissen die Russen genau – in Afghanistan hat man zu Sowjetzeiten auch entsprechende leidvolle Erfahrungen mit einem Partisanenkrieg gemacht.
Verteidigt die Ukraine unseren Wohlstand? Die Vorstellung ist lachhaft. Die Ukraine war auch vor dem Krieg das Armenhaus Europas. Nun hängt sie umso mehr am Tropf des Westens. Wir werden über Jahrzehnte in der Verantwortung stehen, hohe Milliardenbeträge zwecks Wiederaufbau dorthin zu schicken. Schon gegenwärtig leisten Deutschland und die EU Milliardenbeträge zur Aufrechterhaltung der bloßen Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staates. Hinzu kommt der Ressourcenverbrauch der Kriegsführung selbst, und die energiepolitischen Verwerfungen durch den Krieg – einschließlich der erwähnten Pipelinesprengungen – die die europäische und vor allem deutsche Wirtschaft ruinieren. Eine rasche Einstellung des Krieges und die Fortführung unserer Handelsbeziehungen mit Russland wäre eine Verteidigung unseres Wohlstands gewesen.
Ebenso lachhaft ist die Vorstellung, dass die Ukraine unsere grundgesetzlich garantierten Freiheiten verteidige. Welche negativen Auswirkungen hätte eine russische Besetzung der Ukraine auf unsere Freiheitsrechte hier? Unmittelbar keine. Dass ein russischer Vormarsch nach Mitteleuropa bevorstünde, infolgedessen eine hypothetische russische Besatzungsmacht unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aufheben könnte, ist, wie dargestellt, schon im Ansatz absurd. Stattdessen ist es im Gegenteil die Fortsetzung des Krieges und die mehr oder minder verpflichtende Solidarität mit der Ukraine, die real Freiheitsrechte einschränkt. Freilich nicht die der Pro-Ukrainer, sondern die der Anderen, denen die „Billigung von Straftaten“ nach §140 StGB unterstellt wird.
Helmut Schmidt hat einmal, jedenfalls sinngemäß, gesagt, Verteidigung sei sinnlos, wenn sie das zerstört, was sie verteidigen soll. Das trifft auch auf den Ukrainekrieg zu. Die militärische und politische Unterstützung der Ukraine liegt – auch wenn die Politiker und viele Bürger das anders sehen – nicht im Interesse Deutschlands. Wir haben auch – es sei erinnert, dass die Ukraine nicht in der NATO ist – keine Bündnisverpflichtung gegenüber der Ukraine. Im Gegenteil, es entwertet ein Bündnis, wenn man ohne Mitgliedschaft mehr oder minder in den Genuss seines Schutzes kommt. Es kann auch keine moralische Verpflichtung geben, aus der heraus ein derart zerstörerisches Projekt unterstützt werden müsste. Aber so wenig die Deutschen zwanzig Jahre lang imstande waren, ihre Regierung davon abzuhalten, gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung Krieg in Afghanistan zu führen, so wenig sind sie nun imstande, in der Ukraine die Reißleine zu ziehen. Im Gegenteil, sie irrlichtern durch die Welt, faseln davon, dass die Ukraine unsere Freiheit verteidige.
Die Russen sind militärisch stark genug, auch eine westlich massiv unterstützte Ukraine langsam niederzuringen (wenn auch langsamer, als ich vor zwei Jahren dachte). Zu verhindern wäre ein russischer Sieg nur durch einen Kriegseintritt der NATO. Dann allerdings werden auch Raketen nach Deutschland fliegen, was erst recht nicht in unserem Interesse liegt, bzw. unseren Wohlstand, unsere Freiheit oder Souveränität fördert. So wird unsere Unterstützung letztlich nichts nützen, und wir hätten das gleiche Resultat mit weitaus weniger Toten und Verletzten haben können – bereits im April 2022 mit weitaus weniger Gebietsverlusten und unter Erhaltung des ukrainischen Staates. Die Folgen unserer Unfähigkeit, die Realitäten wahrzunehmen und zu handeln, werden wir auf Jahrzehnte noch bezahlen müssen.