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Noch habe ich mich nicht zum SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz geäußert, obwohl es eine sehr bemerkenswerte Entscheidung von Sigmar Gabriel war, seinen Platz als SPD-Vorsitzender zu räumen, Schulz diesen und die Kandidatur anzutragen und sich ins Außenministerium zurückzuziehen, wo Frank-Walter Steinmeier durch seine Wahl zum Bundespräsidenten eine Lücke hinterließ. Diese Entwicklung widersprach allen Erwartungen und löste einen beachtlichen medialen Hype aus um den neuen Star der SPD, Martin Schulz. Ich sehe die Entwicklung mit Befremden, denn es scheint, als lassen sich die Wähler überraschend leicht durch die SPD blenden, die einen politischen Neuanfang vorgaukelt.

Seit Schulz als Kandidat ausgerufen wurde, sind die Umfragewerte der SPD um circa zehn Prozentpunkte gestiegen, in manchen Umfragen hat sie die Union überholt. Im Gegenzug sind die Werte aller anderen Parteien leicht gesunken, auch und insbesondere die der Linkspartei um zwei bis drei Prozentpunkte. Das ist überraschend und kann zweierlei bedeuten: Entweder, Wähler der Linkspartei möchten nun aufgrund von Martin Schulz SPD wählen, oder eine größere Menge Nichtwähler hat sich nun entschlossen, stattdessen zur Wahl zu gehen und ihre Stimme der SPD zu geben. Erstere Vorstellung ist absurd: Schulz gehört zum rechten Flügel der SPD und gilt ansonsten als einer der zahlreichen EU-Bürokraten aus Brüssel. Das sollte die, die bislang Linkspartei wählen wollten, in ihrer Wahl eher bestärken. Auch die Ankündigungen Schulz', die Arbeitslosenverischerung zu verbessern, kamen erst nach dem Höhenflug, und stellt ohnehin eher eine kleine Korrektur als eine große Änderung dar. Also bleibt die Nichtwähler-Hypothese, die auch konsistent mit dem flächendeckenden Verlust aller Parteien wäre. Anscheinend haben einige mit Schulz die Hoffnung gewonnen, dass die SPD zu einer sozialdemokratischen Politik zurückkehren würde, oder einige glauben, dass es sich deshalb wieder lohnt auch zur Wahl zu gehen, weil sie glauben, dass die SPD bei der nächsten eine reale Chance habe, den Kanzler zu stellen.

Die Chancen der SPD haben sich jedenfalls temporär verbessert, politisch mehr als die Rolle des Juniorpartners zu spielen. Das setzt aber voraus, dass der Höhenflug sich bis zur Wahl im Herbst hält – und dazu kommt der Höhenflug möglicherweise zu früh, obwohl Gabriel seinen Coup so lange wie möglich hinausgezögert hat. Die Enttäuschung über Martin Schulz könnte schneller kommen als manche erwarten, wenn Schulz sich inhaltlich positioniert. Der heftige Gegenwind nach der Ankündigung, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu verlängern hat gezeigt, dass jede kleine Linksbewegung eines SPD-Spitzenkandidaten auf heftigen Widerstand stoßen wird. Ein Kandidat wie Schulz, der angesichts seiner bisherigen programmatischen Positionierung als rechts gilt, dürfte da früher einlenken als andere.

Die Entwicklung hat übrigens eine historische Parallele: Oskar Lafontaine verzichtete 1998 auf die Kanzlerkandidatur zugunsten von Gerhard Schröder. Ähnlich zu heute wurde die Entscheidung zugunsten des rechten SPDlers Schröder medial gefeiert; ja, damals sogar vorab in der Presse gefordert. Lafontaines Plan ging nach hinten los: Schröder gewann zwar die Wahl und Lafontaine wurde Finanzminister. Doch Schröders Politik brach mit dem Programm und den Versprechungen der SPD; seine Regierung beteiligte sich an Jugoslawien- und Afghanistankrieg und erschuf die Agenda 2010. Lafontaine verlor den Machtkampf und trat schließlich 1999 von allen Ämtern zurück.

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