PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Die Menschen neigen dazu, sich stets unmittelbar vor einem entscheidenden Moment der Geschichte zu wähnen. Mit dieser Einschätzung liegen sie rückblickend betrachtet meist falsch: Entweder war die Entscheidung zu der Zeit schon durch vorherige Weichenstellungen vorherbestimmt, oder es fiel keine endgültige Entscheidung in der Sache, oder etwas Unerwartetes trat ein, das den Entscheidungsgegenstand obsolet machte. Der Kabarettist Volker Pispers brachte das Phänomen hinsichtlich der Umwelt- und Klimadiskussion mit folgender Bemerkung sehr schön auf den Punkt: „Diese Uhr steht schon so lange auf fünf vor zwölf – da ist eine Uhr derart kaputt...“ Die Neigung zur Fehleinschätzung der aktuellen Lage hat zwei Ursachen: Erstens beschränktes Wissen; hinterher ist man immer schlauer. Zweitens menschlicher Hybris, das eigene Erleben, das eigene „Jetzt“ und den eigenen Einfluss zu wichtig zu nehmen.

Die Menschen, die in den letzten Wochen aus Anlass eines gewissen Medienberichts und eines Theaterschauspiels, in dessen Zusammenhang Reizwörter wie „Wannseekonferenz“, „Geheimtreffen“ und „Deportationen“ fielen, auf den Straßen demonstrieren, unterliegen meiner Ansicht nach demselben Fehlurteil: Sie glauben erstens, die Entscheidung, ob Deutschland sich in eine Diktatur verwandele, stehe bevor, und zweitens, sie könnten diese Diktatur durch ihren Protest verhindern. Ich halte beides nicht für zutreffend.

Die Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur ist bereits gefallen, und zwar in den Jahren 2021 und 2022. Die Ereignisse seither werden durch Pfadabhängigkeiten getrieben, die zu einer Diktatur oder einem Bürgerkrieg führen. Ich sage damit nicht, dass das Ergebnis sicher ist – denn äußere Schocks, etwa ein großer Krieg, können die Situation grundstürzend verändern. Aber mit dem, was wir heute wissen und sehen, sehe ich derzeit keinen erreichbaren Pfad, bei dem eine stabile und demokratisch verfasste Republik in Deutschland erhalten bleibt.

In Deutschland stehen sich zwei Lager gegenüber, die bereits seit längerem nicht mehr zu einem Diskurs miteiander fähig sind. Das habe ich 2017, 2018 und 2021 schon beschrieben. Wenn man sich gerade den Ältesten dieser Aufsätze durchliest, wird vieles deutlich: Bereits 2017 führten die zwei Lager einen erbitterten politischen Kampf. Auch wenn ich persönlich mein Urteil von 2017 über die AfD heute nicht mehr in dieser Schärfe fällen würde -- insgesamt haben sich die Gräben seither vertieft und die Positionen verfestigt. Wenn in den vergangenen sieben Jahren keinerlei Verständigung möglich war und keinerlei Normalisierung im parlamentarischen Alltag eingetreten ist (einen Vizepräsidenten stellt die AfD z.B. bis heute nicht), sehe ich nicht, wieso es ausgerechnet jetzt dazu kommen sollte. Im Gegenteil: Der Kampf, der bisher vor allem mit politischen und verbalen Mitteln geführt wurde, verlagert sich aktuell ins juristische, wenn Verbotsverfahren angestrebt werden. Da auch die öffentliche Stimmung stärker aufgeheizt ist, denn je seit Gründung der AfD, ist auch das Risiko von politischen Gewalttaten bis hin zu Morden gegeben – der Einstieg in einen Bürgerkrieg.

Falls die AfD an die Regierung kommt, glaube ich kaum, dass sie sich als Muster-Demokraten erweisen würden, die Bürgerrechte schützen und die Lager versöhnen werden. Erstens werden Rachegelüste einem Versuch entgegen stehen, auf die Gegner zuzugehen. Zweitens würde ein solcher Versuch ohnehin auf taube Ohren stoßen. Drittens würde eine AfD-Regierung bei dem Versuch, irgendetwas politisch zu verändern, sofort auf erbitterten Widerstand aller Institutionen im Land stoßen (so, wie die SPD-Regierungen der Weimarer Republik Machtstrukturen sabotiert wurden, die ihren Ursprung im SPD-feindlichen Kaiserreich hatten). Diesen müssen sie versuchen zu brechen, was mit zivilisierten Methoden aber nicht gelingen wird. Eine Regierungsübernahme der AfD führt also nicht zur Rettung unserer Demokratie.

Nun glaubt das Lager der AfD-Gegner, durch Massenmobilisierung gegen die AfD deren angeblich bevorstehende „Machtergreifung“ verhindern zu können. Für diese These fehlt jede Evidenz, obwohl stets 1933 als Historie bemüht wird, aus der man nun Lehren zu ziehen meint. Hören Sie sich dazu zwei Interviewaussagen (erst: Josef Felder, danach: Ludwig Gehm). Offenbar gab es durchaus große Kundgebungen der NSDAP-Gegner, nur geholfen hatte es nichts. Weitaus weniger schmeichelhaft ist der Vergleich zu 1990, wo die DDR auch nicht mehr durch Demonstrationen zu retten war. In beiden Fällen war zu dieser Zeit die Entscheidung schon gefallen.

Bedeutet das, dass die AfD demnächst die Regierung übernimmt? Nein, die Entscheidung, welches Lager künftig Deutschland regiert, ist noch nicht gefallen. Leider führt aber auch der Kampf gegen die AfD in einen Abgrund, selbst wenn er eine AfD-Regierung verhindern sollte. Was die Regierung derzeit treibt, ist, sofern man lautere Motive unterstellt, die Umkehr des Diktums von Böckenförde, dass ein freiheitlicher Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht gewährleisten kann: Sie schafft Freiheit und Demokratie ab, und behauptet, damit selbiges zu retten. Die Demonstranten, von denen gewiss viele die besten Absichten haben, helfen dabei kräftig mit. Orchestriert von Medien, die vom Staat finanziert werden, tun zehntausende Menschen kund, sie würden die AfD „hassen“, garniert mit dem einen oder anderen Gewaltaufrufsho – nachdem die Leute desselben Lagers sich sonst stets über „Hassrede“ oder „Hass und Hetze“ beklagen. Unter Hass und Hetze verstehen sie selbst freilich schon bereits die Artikulation abweichender Meinungen. Das Regierungslager kämpft gegen andere Meinungen, in dem diese zu „Desinformation“ erklärt werden. Mit diesem Grund werden dann Feindsender abgeschaltet und zensiert, wie z.B. zur Corona-Zeit, oder seit 2022, Russia Today. Regierungskritische Demonstrationen werden verboten, und Menschen, die aus dem Grundgesetz vorlesen, festgenommen. Innenministerin Faeser will mit geheimdienstlichen Mitteln politische Gegner verfolgen. Es werden Meldeportale eingerichtet, wo „Vergehen“ gemeldet werden sollen, die nicht gegen Gesetze verstoßen. Jetzt fordern „die Guten“, die größte Oppositionspartei, die laut Umfragen gut 20% der Bürger wählen würden, zu verbieten. All das ist weder demokratisch, noch rechtsstaatlich oder freiheitlich – sondern faschistisch.

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