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Mir fiel auf, dass die Renditen von US-Staatsanleihen aktuell mit 5% vergleichsweise hoch sind, und zwar höher als von Bundesanleihen. Darauf habe ich mir Daten (Quelle: US Department of the Treasury) besorgt, und Auffälliges festgestellt:

Die Zinsstruktur hat sich umgekehrt. Normalerweise sind die Zinsen höher, je länger eine Anleihe läuft. Seit 2021 ist das anders herum. Mit Ausahme einer kurzen Episode von 2006, wo zudem die Zinsdifferenz weitaus geringer war, ist das in der verfügbaren Historie seit 1990 einzigartig. Ebenso einzigartig ist der Anstieg der Zinsen in Ausmaß und Geschwindigkeit, wenngleich das Niveau bis 2007 üblich war.

In Deutschland (Quelle: Deutsche Bundesbank) ist das Bild recht ähnlich:

Auch hier, wenngleich schwächer, tauschen die drei Kurven ihre Reihenfolge. Hier zum Vergleich die Zinsstrukturkurven jeweils im April alle 5 Jahre:

Die Kurven sind zwar in Steigung und Niveau verschieden, aber alle monoton steigend – bis auf die von 2024. Vor fast 10 Jahren hatte ich hier erwähnt, dass sich in Deutschland eine inverse Zinsstrukturkurve gebildet hatte. Doch dieses Phänomen war so kurzzeitig (Sommer 2014) und zeigte sich nur so schwach (nur bei kurzlaufenden Anleihen), dass es in diesen Graphen nicht einmal sichtbar ist. Ob das alles nun nur ein weiteres Symptom des bestehenden weltwirtschaftlichen Ausnahmezustands ist, oder die Erwartung eines weiteren Wirtschaftseinbruchs – darüber lässt sich trefflich spekulieren. Gut sieht es jedenfalls nicht aus.

Wer – wie ich – von der Guttenbergschen Wehrpflichtaussetzung profitiert hat, den mag nun die Sorge beschleichen, eventuell doch noch beim „Bund“ zu landen. Immerhin hat der heutige Verteidigungsminister Pistorius verkündet, hinsichtlich einer neuen Wehrpflicht einen "klaren Plan vor Augen" zu haben. Gleichwohl könne man die alte Wehrpflicht nicht einfach wieder aktivieren, weil deren Strukturen zerschlagen worden seien. Na, was ein Glück. Trotzdem, die Spatzen pfeifen von den Dächern. Also: Muss ein heute dreißigjähriger Deutscher befürchten, demnächst eingezogen zu werden? Zumindest theoretisch: Ja.

Das Wehrpflichtgesetz (WPflG) ist nach wie vor gültiges Recht. Demnach sind alle deutschen Männer ab 18 wehrpflichtig; in der Regel bis 45 Jahre, wenn man diverse Sonderbestimmungen außen vor lässt. Zum Wehrdienst herangezogen werden allerdings nur die, die als tauglich gemustert wurden. Der klassische Grundwehrdienst, zu dem man bis 2011 ggf. eingezogen wurde, wäre jedoch nach §6 WPflG nur bis zum 23. Lebensjahr zu befürchten. Die Ausnahmen hiervon dürften auf die meisten Menschen nicht zutreffen. Allerdings können alle wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen im Spannungs- oder Verteidigungsfall unbefristet herangezogen werden.

Das Grundgesetz kennt einen Verteidigungsfall und – weniger bekannt – einen Spannungsfall. Letzterer wird nicht durch einen Angriff oder andere objektive Maßstäbe, sondern mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages ausgelöst (Art. 80a GG). SPD, CDU, Grüne und FDP haben zusammen 83% der Stimmen; selbst mit über 100 Abweichlern hätten sie noch ausreichend. Ich hielte es in der aktuellen Lage für nicht völlig ausgeschlossen, dass diese Parteien sich zusammenrotten könnten, um den Spannungsfall ausrufen. Das Konzept würde dem Versuch ähneln, eine allgemeine Corona-Impfpflicht einzuführen. Die argumentative Grundlage dafür haben sie bereits mit dem Gerede geschaffen, die Ukraine verteidige unsere Freiheit, und wenn die Ukraine fiele, würden die Russen die nächsten westlichen Länder (NATO-Länder!) angreifen. Wenn die Ukraine kapituliert, wäre der Spannungsfall eigentlich die logische Schlussfolgerung dieses Geredes. Glücklicherweise entspricht jenes wiederum keiner vernünftigen Logik, sodass nicht gesagt ist, dass logische Schlussfolgerungen überhaupt anwendbar wären. Trotzdem, den Ausbruch von Hysterie in dem Moment kann ich mir lebhaft vorstellen.

Wir setzen das Gedankenspiel deshalb fort, und nehmen an, der Spannungsfall wird erklärt: Wozu führt das? Dann sollte eigentlich ein komplexer bürokratischer Apparat anlaufen, der so viele Wehrpflichtige einzieht, wie die Bundeswehr in einem dann mobilgemachten Zustand nach Berücksichtigung der Reservisten benötigt – und zwar von denen, die Grundwehrdienst geleistet haben. Gleichzeitig sollten sinnvollerweise Weitere in eine Grundausbildung geschickt werden. Tatsächlich dürfte allerdings großes Chaos ausbrechen, weil ja die entsprechenden Strukturen – z.B. Kreiswehrersatzämter und Musterungsärzte in ausreichender Zahl - längst nicht mehr vorhanden sind.

Ich gehe daher nicht davon aus, dass unser Staat gegenwärtig in der Lage wäre, schnell eine substantielle Zahl von Menschen einzuziehen. Er hat zwar die Meldedaten seiner Bürger und wird diese dafür nutzen, aber nur wenig Informationen über deren Tauglichkeit oder Qualifikation – außer denen, die bis 2011 noch Grundwehrdienst geleistet haben, oder wenigstens gemustert wurden. Und bis bei den anderen überhaupt die Tauglichkeit festgestellt wird, sie also zur Musterung einzubestellen, wird dauern, geschweige denn, bis sie zu einer militärischen Grundausbildung einberufen werden. Damit könnte es zu der skurillen Situation kommen, dass ausgerechnet die älteren Wehrpflichtigen zuerst eingezogen werden, weil sie – vor vielen Jahren – Grundwehrdienst geleistet haben, und damit zumindest auf dem Papier eine militärische Grundausbildung haben. Das dürften aber nicht viele sein, weil zuletzt nur noch sehr wenige überhaupt zum Grundwehrdienst eingezogen wurden. Und dummerweise wird gerade in dieser Alterskohorte überdurchschnittlich oft eine Unabkömmlichkeit nach § 13 WPflG vorliegen, weil sie im besten Alter wären, beruflich irgendwelche Schlüsselfunktionen zu besetzen.

Hinzu kommt, dass es mit dem bloßen Einziehen nicht getan ist. Die Menschen müssen auch zu Soldaten gemacht werden: In die militärische Struktur eingeordnet werden und ausgebildet, bzw. vorhandene Kenntnisse aufgefrischt werden. Hierzu benötigt es Ausbilder, die die Bundeswehr vielleicht hat, solange man nur im Spannungsfall ist, und die Berufssoldaten nicht durch Einsätze gebunden sind. Die Eingezogenen müssen ausgerüstet werden mit Uniform und Waffen, womit die Bundeswehr schon für ihr reguläres Personal Schwierigkeiten hat. Und zuletzt müssen die Menschen untergebracht und verpflegt werden. Jedoch wurden viele Kasernen in den letzten Jahrzehnten geschlossen. Ein anwendungsreifes Konzept oder auch nur eine Ermittlung des Unterbringungsbedarfs im Ernstfall hat die Bundeswehr laut Bundesregierung nicht.

Gleichwohl sollten wir unseren Staat auch nicht unterschätzen. Nach einigen Monaten wird sich das Ganze einspielen – und im Spannungsfall herrscht auch noch kein Krieg, der die Bundeswehr und ihre Bürokratie mit dringenderen Dingen als der Mobilmachung beschäftigt. Die Gesundheitsämter haben die Faxgeräte-Krise schließlich auch überwunden.

Hülfe Kriegsdienstverweigerung, um der Bundeswehr im Spannungs- oder Verteidigungsfall zu entgehen? Vermutlich ja, doch mit einem großen „aber“. Die Gehässigkeit, die wir z.B. bei Corona erlebt haben, spräche zwar dafür, dass die Forderung kommen könnte, (gerade) auch Kriegdsdienstverweigerer zur Bundeswehr einzuziehen. Aber aus einer ganz praktischen Erwägung heraus wird man davon die Finger lassen, da diese Leute militärisch unbrauchbar sind, wenn sie bspw. gleich desertieren, Befehle verweigern oder sich als Saboteure betätigen. Kriegsdienstverweigerung ist übrigens trotz ausgesetzter Wehrpflicht bereits jetzt möglich, aber sie löst eine Musterung aus. Infolge der hierdurch geschlossenen Bekanntschaft mit der Wehrersatzbürokratie halte ich es für denkbar, dass sie schnell zum Zivildienst herangezogen werden, denn auch dort benötigt es Personal – und sei es im Spannungsfall nur, um diejenigen zu ersetzen, die zum Wehrdienst eingezogen wurden. Deshalb dürften Kriegdsdienstverweigerer zwar vor militärischer Verwendung einigermaßen sicher sein; Wem es aber nicht nur darum geht, dem Militärdienst zu entgehen, sondern den Kriegsanstrengungen unseres Staates insgesamt, könnte sich durch Kriegsdienstverweigerung einen Bärendienst erweisen.

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