PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Vor einem halben Jahr hatte ich es nicht für möglich gehalten, dass der Bundestag – und zwar wohlgemerkt, derselbe, der damals im Amt war – die Schuldenbremse abschaffen könnte. Nun hat er es getan, nicht ganz, aber riesige „Sondervermögen“ von fast einer Billion Euro und eine Anpassung der Schuldenbremse, die weit höhere Neuverschuldungen zulässt als bisher, sofern mehr als 1% des BIP in Verteidigung gesteckt wird. Faktisch ist die Schuldenbremse damit Geschichte. Ich hatte mir das Ende der Schuldenbremse immer als einen heroischen Festakt der Republik vorgestellt, bei dem sich in Deutschland ökonomische Vernunft Bahn bricht. Tatsächlich wurde es ein Vernichtungsschlag gegen Republik und Verfassungsordnung.

Spätestens seit dem Zusammenbruch der Ampelkoalition war klar, dass eine künftige Regierung vor einem Finanzproblem stehen würde: Gewaltige Investitionsbedarfe und hohe laufende Ausgaben bei schwacher Wirtschaftsentwicklung und einer strikten Schuldenbremse in der Verfassung. Das deutsche Volk hat am 23. Februar 2025 seinen Willen ausgedrückt, und da ist es unerheblich, ob für eine gute Sache oder für eine haarsträubende Dummheit. Und natürlich ist die Aushebelung der Schuldenbremse nicht alternativlos: Man kann auch in Tradition Heinrich Brünings versuchen, sich aus der Krise herauszusparen. Ob das Deutschland hülfe, sei hier mal dahingestellt. Es dauerte dann nur eine Woche, bis die Nachricht von den zwei „Sondervermögen“ die Runde machte.

Da wählt das deutsche Volk mit 83% Wahlbeteiligung und die Parteien, die sich wiederholt und vehement für die Einhaltung der Schuldenbremse ausgesprochen haben (Union, AfD, FDP) erhalten 53,65 % der Stimmen. Im künftigen Bundestag haben diese Parteien (ohne die FDP!) 57 % der Mandate erhalten. Doch eine Woche nach der Wahl erklärt die größte der Schuldenbremsen-Parteien, die Union, sie strebe eine Neuverschuldung in Höhe von 20 % des BIP an, um Rüstungs- und Infrastrukturausgaben zu finanzieren. Dabei handelt es sich nicht um einen Kompromiss, wie er in Koalitionen üblich und nötig sein kann, sondern das geschieht bereits während der Sondierungen, also bevor Koalitionsverhandlungen begonnen haben. Das ist reiner Wahlbetrug, begangen in Rekordzeit.

Der neue Kurs stellte die beteiligten Partien wiederum vor ein Problem: Wenn sie ihre Koalition bilden, haben CDU, CSU und SPD zusammen 52% der Sitze im deutschen Bundestag. Die einstige „Große Koalition“ hat nur noch eine hauchdünne Mehrheit, die für den beabsichtigten Beschluss nicht reicht. Dieselben Parteien hatten 2009 die Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben, sodass sie nun eine Zweidrittelmehrheit benötigen. Selbst unter Hinzuziehung der Grünen würde es knapp dafür nicht reichen, man bräuchte zusätzlich die Linkspartei. Die sind zwar Schuldenbremsen-Gegner, doch dürften die Linken kaum gewillt sein, die Schuldenbremse ausgerechnet für Rüstungsausgaben aufzuheben. Außerdem schließt die Union jedwede Zusammenarbeit mit der Linkspartei aus, daher ist man ohnehin nicht in der Lage, mit dieser über das Vorhaben überhaupt zu verhandeln.

Ohne die Neuverschuldung würde die Koalition mit der SPD spätestens bei der ersten Haushaltsverhandlung platzen. Was also tun? Man hätte, so wie in den Coronajahren, eine „außergewöhnliche Notsituation“ erklären können, um die Schuldenbremse temporär außer Kraft zu setzen. Hierfür wäre die Kanzlermehrheit ausreichend. Allerdings fordert das Grundgesetz für die hierbei entstehende Neuverschuldung einen Tilgungsplan. Die Aktion würde für die Folgejahre dramatische Einschnitte fordern und käme daher wie Boomerang zurück. Außerdem ist Skepsis angebracht, ob ein völlig herbeifantasierter Notstand vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat – falls nicht, hätte man dasselbe Problem wie die Ampelkoalition vor einem Jahr. Diese Lösung stellte man deshalb als Plan B zurück, und unternahm den Versuch, die Schulden als „Sondervermögen“ ins Grundgesetz zu schreiben.

Für dieses Vorhaben fiel den beteiligten Parteien ein, dass sie zwar im neugewählten 21. Bundestag keine Zweidrittelmehrheit haben, wohl aber im abgewählten 20. Bundestag, wenn man die Grünen überreden kann, mitzumachen. Als man den Plan ersann, war noch nicht einmal das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl festgestellt, geschweige denn das neue Parlament zusammengetreten. Was es brauchte, waren zwei Sondersitzung des alten Parlaments, solange der neue Bundestag nicht zusammengetreten ist. So setzten sie ein Verfahren ins Werk, das den Charakter einer Verschwörung gegen die Verfassungsordnung trägt.

Zunächst einmal verzögerten sie den Zusammentritt des neuen Bundestages. Hierzu setzt Art. 39 GG folgenden Rahmen:

(2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.

Bärbel Bas (SPD), die als noch amtierende Bundestagspräsidentin die erste Sitzung des 21. Bundestags einberuft, lud für den spätestmöglichen Termin ein. Das ist zunächst legal und auch im üblichen Rahmen, allerdings zeigt die Vergangenheit auch, dass es auch schon einmal in 18 Tagen ging. Und wenn es dringlich etwas zu Entscheiden gibt... In der Plenardebatte vom 01.07.1976, als diese Regelung des Grundgesetzes geändert wurde, begründete der CDU-Abgeordnete Dr. Lenz Art. 39 (2) GG wie folgt:

Wir meinen eben, daß mit der Wahl eines neuen Bundestages die Legimitation des alten zur Regelung von streitigen Sachverhalten entfällt. Das kann man sich leicht dadurch klarmachen, wenn man sich vorstellt, daß nach den Wahlen, falls diese eine neue Mehrheit ergeben sollten, die alte Mehrheit noch strittige Vorlagen verabschiedet. Das wäre, wenn es überhaupt rechtlich zulässig sein sollte, politisch jedenfalls völlig unerträglich.

Genau das haben die Parteien jetzt getan. Gegen dieses Vorgehen bestanden mehrere Abhilfemöglichkeiten; keine hat funktioniert. Erstens wurden Verfassungsbeschwerden erhoben, bzw. einstweilige Anordnungen beantragt. Dies hat das BVerfG jedoch umgehend als unbegründet zurückgewiesen. Das ist auffällig, weil eine der Begründungen darauf fußte, dass das überstürzte Vorgehen keine ausreichende Beratungszeit zulasse. Mit diesem Argument hatte das BVerfG zwei Jahre zuvor erst den Beschluss des Gebäudeenergiegesetzes in einem ähnlichen Tempo untersagt. Damals hatte sich ein CDU-Abgeordneter beklagt. Nun hält es vergleichbare Klagen von Abgeordneten u.a. der AfD für unbegründet. Es ist, wie bei den Corona-Verfahren, ziemlich offen ersichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht parteiisch geworden ist.

Doch selbst, wenn das BVerfG die Rechte der Abgeordneten nicht mehr schützt, gab es zweite Option. Wieder Art. 39 GG:

(3) Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.

Ein Drittel der Abgeordneten hätte von Bas verlangen müssen, dass sie den Bundestag sofort nach Feststellung des amtlichen Endergebnisses einberuft. Die AfD-Abgeordneten haben dies getan. Die Linkspartei hat sich mit dem Argument „Brandmauer“ geweigert, etwas zu tun, was auch die AfD tut, und stimmt lieber stattdessen erfolglos im alten Bundestag gegen Merz' Antrag, als dies erfolgreich im neuen Bundestag zu tun. So kam es dann zur Abstimmung im alten Bundestag.

Hier mussten nun die Grünen für das Vorhaben gewonnen werden, die schon aus Prinzip Merz nicht einfach geben konnten, was Merz ihnen in der vorigen Legislaturperiode verweigert hatte. Sie erhandelten, dass Merz 100 Mrd. für Klimaschutz-Maßnahmen zweckbindet, wodurch sie plötzlich ihr politisches Programm im Grundgesetz stehen haben. Damit waren die Grünen im Sack.

Nun gab es noch das Problem, dass etwa ein Drittel der Abgeordneten des alten Bundestages kein Mandat im neuen Bundestag haben. Es war also unklar, inwieweit sich diese von ihren Fraktionen disziplinieren lassen. Doch die Grünen-Abgeordneten hatten einen großen Sieg ihrer Partei einzufahren, und von SPD-Seite bestanden keine Bedenken, zumal man künftig mit Merz koalieren möchte. Es blieb die Frage, ob die Unionsabgeordneten parieren würden, die gegen ihre erklärten Übereugungen abstimmen mussten. Es waren schließlich drei Abgeordnete, je einer aus Grünen, SPD und CDU, die dagegen gestimmt haben. Was für erbärmliche, ehrlose Wichte haben CDU und CSU da eigentlich 2021 ins Parlament gesandt? Gestalten, die nicht einmal im Spätherbst ihrer politischen Karriere zu ihrem Wort oder ihren angeblichen Überzeugungen stehen. Den Sieg in der Kategorie Erbärmlichkeit erringt Klaus-Peter Willsch (CDU), der sich in einer larmoyanten Erklärung für sein Abstimmungsverhalten zu entschuldigen versucht.

Was bleibt? Verfassungsänderungen werden jetzt mit Verfahrenstricks von nicht mehr legitimierten Parlamenten verabschiedet. Das BVerfG findet das unproblematisch. Die Linkspartei stellt die Brandmauer über jede Sachfrage. CDU und CSU haben ihre politischen Überzeugungen verraten, oder darüber gelogen, dass sie überhaupt welche gehabt hätten. Tatsächlich kennen unsere Politiker seit 2020 nur noch ein Prinzip: Not kennt kein Gebot. Damit kann man in Deutschland schließlich alles rechtfertigen.

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