PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Die Welt teilt uns schonmal mit, was Deutschland blühen könnte. Und damit meine ich nicht die Horrorszenarien, wie sie im Text an den Haaren herbeigezogen werden um die 15 Punkte des Plans zu begründen, wie z. B. die Frage nach der Überlebensfähigkeit einzelner Länder. Aber dazu später mehr. Ich meine vielmehr, dass uns eine Realisierung dieser „Agenda 2020“ tatsächlich passieren könnte. Nachdem bereits eine sozialdemokratisch-grüne Regierung demonstriert hat, dass sie zu derartigen Reformen fähig ist, ist vergleichbares einer schwarz-gelben Koalition erst recht zuzutrauen. Wovon ist also die Rede?

Gleich im ersten der insgesamt fünfzehn Punkte wird bereits die Keule ausgepackt: „Altersgrenze“. Die Rede ist natürlich von einer Rentenreform: „Die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 bis 2029 könne dabei nur ein erster Schritt sein.“ Und als zweiter Schritt dann Clements jüngster Vorschlag, bis 80 zu arbeiten? Allerdings hat mir noch niemand einen guten Grund genannt, warum es so dringend notwendig ist, dass hier alle länger arbeiten. In Anbetracht der (trotz der gelegentlichen Jubelrufe der Regierung) hohen Arbeitslosigkeit kann so eine Maßnahme nur dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt, und durch den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt die Löhne dort sinken können. Wie genau damit Altersarmut bekämpft werden könne, liebe Welt, müsst ihr mir auch noch erklären. Denn wenn viele alte Leute statt in Rente arbeitslos sind, ist vom einer Reduktion des Problems der Altersarmut nicht auszugehen.

Der zweite Punkt schlägt vor, den Föderalismus zu reformieren. Das kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? Jedenfalls sollen kleine Länder aufgelöst und mit größeren zusammengelegt werden. Ich möchte an dieser Stelle bezweifeln, dass die Größe eines Landes maßgeblich mit dessen „Überlebensfähigkeit“ zusammenhängt. Jedenfalls geht es Luxemburg doch finanziell ganz gut, verglichen mit Deutschland ... Nicht grundfalsch ist die Idee, das Subsidiaritätsprinzip zu stärken. Allerdings widerspricht es dem Tenor, dass der Bund von den Ländern Kompetenzen übernehmen soll und erscheint in Zeiten der Kompetenzverlagerungen nach Brüssel nahezu unmöglich. Abstrus ist allerdings die Begründung dieser Forderung. „Wettbewerb zwischen den Kommunen“ würde das Land eher spalten, als es zu einen. Darüberhinaus ist zu befürchten, dass dieser Wettbewerb ruinös ausfällt und dann regionale Disparitäten aufgrund der Pleite der Verliererstädte das Land spalten. Nötig ist die Anwendung des Föderalismus (ohne Wettbewerb), um eben regionale Disparitäten zu verhindern, um die dezentralen Strukturen des Landes, die dafür sorgen, dass alle Regionen und nicht nur Berlin eine ausgebaute Infrastruktur haben, zu erhalten.

Erschreckend ähnlich erscheinen die Vorschläge zur Energiewende zur gestrigen Darstellung von Gertrud Höhler bei Günther Jauch, Jürgen Grossmann und RWE seien Kämpfer für Rechtssicherheit, indem sie gegen den neuen Atomausstieg klagten. Man sollte nicht vergessen, dass gerade RWE und andere Energieversorger die Laufzeitverlängerung und den Ausstieg aus dem Ausstieg erst herbeierpresst haben und mit Verschiebungen von Reststrommengen dabei die ursprüngliche Rechtslage torpediert haben. Der Welt-Artikel fordert jedenfalls, durch Wettbewerb und „regional differenzierten Ökostrom-Quoten, bei deren Erfüllung die Energieversorger frei wären“, das Energiewenden-Problem zu lösen. Das ist, als würde man einen Hund den Wurstvorat bewachen zu lassen. Die Energieversorger haben kein Interesse, Ökostrom zu fördern, also würde Wettbewerb statt Vorschriften nur zum völligen Stillstand führen.

Nach dem Punkt „Familie“, auf den ich nicht näher eingehe, widmet sich der Artikel der Regulierungen für Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte und Steuerberater. Warum der Beruf des Architekten so streng reguliert ist, ist mir nicht klar, und in diesem Fall erscheint eine Reform nicht prinzipiell falsch. Eine Regulierung des Berufsrechts für Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater würde aber wohl gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Apotheken in Unternehmenshand würden dazu führen, dass sie zu Vertriebspartnern bestimmter Pharmahersteller würden. Ihre Funktion als Beratung in Gesundheitsfragen könnten sie dann wohl nur noch unter Verkaufs-Aspekten durchführen. Rechtsanwälte als Angestellte großer Unternehmen könnten zu Mauscheleien in Prozessen führen, wenn sowohl Kläger und Angeklagter von einem Anwalt des gleichen Unternehmens vertreten werden. Nur um mal ein paar Beispiele zu nennen.

Interessanterweise kommt ein Lieblingsthema der Neoliberalen erst spät dran in dem Artikel: Steuervereinfachungen. Die Diagnose „Es gibt kein Politikfeld, auf dem sich Schwarz-Gelb so viel vorgenommen hat und so wenig geliefert hat“ ist zwar zutreffend. Allerdings muss man sagen, dass das eigentlich ein Grund zur Freude ist. Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers hin oder her – es hätte noch schlimmer kommen können, wenn mehr der geplanten Reformen umgesetzt hätte. Die Aussagen des Artikels widersprechen grundsätzlich dem eigenen Ziel der Haushaltssanierung. Die Vereinfachung von Steuern (grundsätzlich ein Euphemismus für Steuersenkung) und deren Abschaffung senkt die Staatseinnahmen und verschlechtert prinzipbedingt die Haushaltslage. Auch hält man bereits die Debatte um eine Finanztransaktionssteuer, eine Vermögenssteuer und die Anhebung des Spitzensteuersatzes für Wirtschaftsschädlich. Erstens sind diese drei Steuern nötig um das Problem der Spekulationen auf den Finanzmärkten (wenn Transaktionen Geld kosten, entsteht eine Hemmschwelle, sie überhaupt zu tätigen. d. h. man fördert langfristig orientierte Anlagestrategien) und die auseinanderdriftende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen (Umverteilung von oben nach unten). Zweitens kann mir niemand erklären, wie a) Spekulanten zu qualitativem Wirtschaftswachstum beitragen und b) die Besteuerung hoher Einkommen die Wirtschaftskraft dämpft. Die Umverteilung von oben nach unten stärkt den Konsum und fördert sogar die Wirtschaft.

Beim Punkt „Einwanderung“ will ich nur auf einen Satz eingehen: „Das ist Teil einer Willkommenskultur, die auch hierzulande nötig wäre, damit Deutschland im weltweiten Kampf um kluge Köpfe mithalten kann.“ Wieso haben wir eigentlich das (moralische) Recht, anderen Ländern die Leistungseliten abzuwerben? Entwicklungsländer und Schwellenländer brauchen diese, um zu den Industrieländern aufschließen zu können. Gleichzeitig haben sie viel weniger Kapazitäten, solche Leute auszubilden, als die Industrieländer. Das Abwerben der Eliten anderer Länder ist moralisch in keiner Weise zu rechtfertigen.

Was man den Griechen schon vorschlägt, wird man auch bei uns sicherlich weiterhin versuchen: Privatisierungen. Natürlich waren die alten Zustände der Bundespost („da dauerte es Monate, bis ein telefonanschluss gelegt war“) indiskutabel. Allerdings ist eine einseitige Verteufelung staatlicher Unternehmen unseriös. Die Frage nach den negativen Konsequenzen der Privatisierungen, wie sie bei der Post durchgeführt wurden und bei der Bahn geplant (und zum Glück auf Eis gelegt) sind, muss trotzdem gestellt werden. So hat die Privatisierung der Telekomunikation dazu geführt, dass eine Unmenge von Netzen parallel aufgebaut wurden. Parallelstrukturen sind jedoch ineffizient und wären bei einem gut geführten (!) Staatsunternehmen nicht entstanden. Im Falle der Bahn z.B. ist die Sache noch grotesker. Das Netz nimmt im Gegensatz zu ein paar Mobilfunkmasten viel Platz ein, und es ist undenkbar, dass jeder privater Anbieter ein eigenes aufbaut. Der Verkauf von Einzelstücken des Netzes führt allerdings nicht zu Wettbewerb, da im jeweiligen Gebiet dann der Privatanbieter Monopolist ist. Auch bei der Bedienung des Netzes (dessen Privatisierung ja bereits in vollem Gange ist), ist echter Wettbewerb kaum möglich. Der eigenwirtschaftliche Betrieb von Nahverkehr ist unwirtschaftlich (oder für die meisten Menschen unerschwinglich), zumindest wenn auch Randzeiten und Randstrecken bedient werden müssen. Also muss der Verkehr subventioniert werden. Sobald aber Subventionen ins Spiel kommen, ist echter Wettbewerb nicht mehr möglich, da der Staat festlegt, was er subventioniert und es genauso gut selbst anbieten könnte. Der Wettbewerb verkommt dadurch zu einer reinen Verteilung von Staatsgeldern an Unternehmen – Ausgaben, die man für ein Staatsunternehmen nicht hätte. Auch im Fernverkehr ist Wettbewerb schwer vorstellbar (wenngleich es möglich ist, ihn wirtschaftlich zu betreiben). Die Kapazitäten des Netzes schränken das mögliche Angebot ein. Konkurrenzangebote erhöhen aber die Auslastung des Netzes, ohne dass zwangsläufig mehr Passagiere befördert werden, da die Anzahl der Züge, und nicht etwa die der Waggongs, maßgeblich die Auslastung des Netzes festlegt. Für die gleiche Beförderungsleistung müssten also die Netzkapazitäten erhöht werden, was höchst ineffizient wäre. Auch auf das Stichwort „Beamtenbahn“ will ich auch kurz eingehen: Beamte stellt der Staat dort ein, wo wichtige Aufgaben zu erfüllen sind, die selbst in Notsituationen (Generalstreik, ...) aufrecht erhalten werden müssen. Wenn man sich an das Gejammere der Wirtschaft erinnert, welche Verluste der letzte Bahnstreik hervorgerufen habe, dürfte deutlich werden, dass der Wirtschaft doch eigentlich eine „Beamtenbahn“ ganz nützlich wäre.

Auch Harz IV würde man gerne überarbeiten. Die Welt meint, der Vorschlag, die Hartz-IV-Leistungen um 30 % zu senken und stattdessen den Empfängern einen Dazuverdienst zu erleichtern, verdiene es, aus der Versenkung hervorgeholt zu werden. Es scheint an dieser Stelle, als wüssten die Verfasser nicht, worum es beim Hartz-IV-Satz geht: Ein Existenzminimum. Mit 30 % weniger kann also niemand menschenwürdig Leben (Ob das mit 100 % des Satzes in der Praxis möglich ist, sei dahingestellt). Was also tun, wenn ein Dazuverdienst nicht möglich ist? Verhungern? Außerdem stellt sich die Frage, wenn für solche Tätigkeiten der Hartz-IV-Empfänger ein Markt besteht, warum diese nicht regulär beschäftigt werden können und ob eine solche Regelung vielleicht reguläre Beschäftigungsverhältnisse unattraktiv machen könnte.

Als letzten Vorschlag haben sich die Verfasser eine „Staatsbremse“ im Grundgesetz überlegt. Schwachsinnigere Vorschläge habe ich selten gelesen und der Begründungszusammenhang ist an den Haaren herbeigezogen: „Die Gefahr ist groß, dass die Politiker versuchen werden, die Einnahmen immer weiter zu erhöhen, weil man so unpopuläre Ausgabenkürzungen vermeiden kann.“ Kurzum: Nein. Selbst bei keynesianischer Politik sind die Politiker meist davor zurückgeschreckt, in Boomzeiten die Steuern zu erhöhen. Wenn die es nicht getan haben, werden es neoliberale erst recht nicht. Außerdem muss man sich fragen, ob nicht gerade eine Erhöhung der Einnahmen ein notwendiger Beitrag zur Senkung des Schuldenstands ist. Gerade dass wäre damit unmöglich. Und in dem man es in die Verfassung schreibt, versucht man die Gestaltungsspielräume der Politik zu verringern und antizyklische Wirtschaftspolitik auf Dauer unmöglich zu machen.

Zusammenfassend muss ich sagen, dass mir ganz anders wird, wenn ich solche Reformvorschläge lese. Jeder einzelne Punkt ist kontraproduktiv und würde verheerende soziale Konsequenzen haben. Viele Vorschläge sind – aus meinem Betrachtungswinkel – zugleich wirtschaftsschädlich. Es mag zwar gegenwärtig unrealistisch klingen, dass alles umgesetzt wird, da von einer Mehrheit dafür im Volk nicht auszugehen ist. Allerdings war das im Falle der Agenda 2010 nicht anders und politische Stimmungsmache der neoliberalen Kräfte haben dann ihren Teil dazu beigetragen, diese Reformen doch mehrheitsfähig zu machen.

Gegenwart