PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Glaubt man unseren Medien, scheint sich die deutsche Öffentlichkeit ja für nichts brennender zu interessieren, als für die neusten Entwicklungen auf den Finanzmärkten. Börsenfernsehen, ausgestrahlt zur besten Sendezeit vor und während der Nachrichten, mit Liveschaltung zu Börsenplätzen und Interviews mit den Finanzmarktkorrespondenten zu allen möglichen und unmöglichen politischen und realwirtschaftlichen Themen (stets mit der gleichen Frage eingeleitet, wie die Finanzmärkte diese oder jene Nachricht aufgenommen hätten). In vielen Tageszeitungen sind Börsenkurse abgedruckt, einige enthalten sogar einen eigenen Finanzmarktteil. Auch die politische Öffentlichkeit zeigt hin und wieder Interesse, wenn es – je nach Interessenlage – um den Aufbau kapitalgedeckter Altersvorsorgen, die „Enteignung der Sparer“, oder die Gefahr einer Hyperinflation infolge der „unverantwortlichen“, ja geradezu italienischen Politik des italienischen EZB-Präsidenten Draghi geht. Ja, auch letzteres, eigentlich ja Geldpolitik, hat viel mit den Finanzmärkten zu tun. Dieses Interesse am Finanzmarktgeschehen ist natürlich ein selbstverstärkender Effekt – von selbst würde kein Mensch fragen, wie denn die Börsen die Einführung eines Mindestlohns oder eine (derzeit fiktive) Hartz-IV-Regelsatzerhöhung aufnehmen, und ob man auf derlei Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen sollte. Erst die Publizität der Finanzwelt, prominent in allen Medien platziert, schafft das Interesse. Doch Interesse ist nicht gleichbedeutend mit Kenntnis und Wissen, und was einmal funktioniert, oder für einen gilt, funktioniert nicht immer und gilt nicht immer für alle gleichzeitig ...

Wir leben im Zeitalter der Finanzmärkte. Finanzinstitute verkaufen heutzutage „Produkte“ und „erwirtschaften“ damit hohe Gewinne. Finanzmarktakteure betreiben Hochfrequenzhandel, bei dem Finanzinstrumente gekauft und nach wenigen Sekunden wieder verkauft werden. Vorwiegend geht es dabei keineswegs um biedere Aktien und Anleihen, die zur Eigen- und Fremdfinanzierung von Unternehmen dienen, sondern um Derivate. Unter den Derivaten befinden sich sowohl klassische Optionsscheine (Puts und Calls), sowie Swaps und Futures, die zur Risikoabsicherung von realwirtschaftlichen Akteuren dienen, als auch komplexe Verbriefungen, Kreditausfallversicherungen und dergleichen (eine Auflistung würde, zumal die Entwicklung von neuen „Produkten“ ein von der Finanzwelt aktiv betriebenes Geschäft ist, jeden Rahmen sprengen). Produzieren tut die Finanzwelt dabei im engeren Sinne freilich nichts, das einen intrinsischen Wert hat. Einen Wert gewinnen die Papiere durch das Vertrauen, dass das enthaltene Zahlungsversprechen eingehalten wird. Das Zahlungsversprechen kann entweder absolut sein (dann handelt es sich um eine Anleihe), oder an die Entwicklung eines anderes real- oder finanzwirtschaftliches Objekt gekoppelt sein. Wo immer in der Finanzwelt ein Buchgewinn realisiert wird, liegt dem ein realwirtschaftlicher Gewinn zugrunde, oder eine Transaktion, in der der eine gewinnt, was der andere verliert.

Die Finanzmärkten sind derzeit, darin besteht soweit große Einigkeit, in einer Phase der „Renditesuche“, in der die Akteure händeringend nach gewinnbringenden Finanzpapieren suchen, in die sie ihr Geld stecken können. Nicht nur das allgemeine Zinsniveau ist niedrig, sondern auch die Risikospreads, d. h. die Aufschläge, die ein riskanter Schuldner zahlen muss. Wer sich als Unternehmen heutzutage verschulden will, kriegt den Kredit quasi umsonst. Nicht unbedingt von den Banken, die an ihre Gläubiger Solvenzanforderungen stellen, aber von den Finanzmärkten, wenn man eine Anleihe am Markt platziert. Eigentlich ist die ökonomische Diagnose eindeutig: Viel Angebot (an Kapital), wenig Nachfrage, also niedriger Preis (Zins). Dies kann, folgt man Richard Koos These einer „Bilanzrezession“, in der alle Akteure versuchen, sich zu entschulden, durch einen Zusammenbruch der Nachfrage entstanden sein, aber ebensogut durch einen Anstieg des Angebots. Beide Varianten sind durchaus plausibel: Nach Finanz- und Eurokrise versuchen zumindest unzählige Staaten, ihre Schulden abzubauen, was für Koos These spricht. Die Untersuchung von Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) hingegen, die eine Umverteilung der Einkommen zugunsten von Kapitaleinkünften feststellt, deuten hingegen auf einen Angebotsüberschuss hin.

Für den Sparer ist es natürlich ein schwacher Trost, zu wissen, warum seine Zinsen so niedrig sind, und für den Staat und seine Bürger ist es ein schwacher Trost, wenn er sich billig verschulden könnte – aber es überhaupt nicht will. Doch die Frage ist, was fundamental falsch läuft, dass eine Situation entstehen konnte, in der von den Finanzmärkten ein solches akutes Risiko für die wirtschaftliche Zukunft der Menschen ausgeht, eine Situation, in der über Niedrigzinsen bei gleichzeitig schlechter Konjunktur geklagt wird. Ich sehe im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste hängt eng mit der Medienaufmerksamkeit für die Finanzmärkte zusammen, und der zweite mit der Auszahlung der in der Realwirtschaft erzielten Gewinne.

Grob gesagt werden die von den Unternehmen nach Steuern erwirtschafteten Gewinne an die Arbeitnehmer (als Lohn) und an die Kapitalgeber/Eigentümer als Zinsen und Dividenden ausgeschüttet. Ungefähr 2/3 davon fließt in Lohneinkommen und 1/3 in Kapitaleinkommen. Diese Verteilung verändert sich in eher langen Phasen; Nach ihrem Höhepunkt in den 1970er Jahren bei über 70 % sank der Anteil der Lohneinkommen in Deutschland seitdem auf ca. 65 %. Dabei ist, wenn es um die Frage der Fairness geht, zu beachten, dass auch Arbeitnehmer Kapitaleinkommen beziehen können, wenn sie etwa Aktien ihres Arbeitgebers besitzen, oder ihr Geld anderweitig am Finanzmarkt angelegt haben (z. B. durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge). Insgesamt wird Kapitaleinkommen jedoch nur von denen bezogen, die Kapital besitzen, und zwar umso mehr, je mehr Kapital sie bereits haben. Tendenziell werden Kapitaleinkünfte daher auch wieder angelegt, während Lohneinkommen tendenziell für den Konsum eingesetzt werden. Nimmt man an, dass das stilisierte Faktum stimmt, dass die Sparneigung mit dem Einkommen steigt, kann sich eine Ungleichverteilung der Vermögen selbst verstärken. Die Ungleichverteilung ist jedoch hier nicht der Punkt, sondern dass in jedem Fall die Ersparnis, das Vermögen der Sparer steigt. Bei diesem Finanzvermögen handelt es sich um nichts anderes als das jetzt nach Anlagemöglichkeit suchende Kapitalangebot. Bieten sich für dieses Vermögen keine Investitionsmöglichkeiten an (d. h. fragt niemand dieses Kapital nach), kann sich der finanzielle Gewinn nicht in einen realwirtschaftlichen und damit „echten“ Gewinn umwandeln, der den Sparern als Zins ausgezahlt werden könnte. Das Dilemma ließe sich aufheben, wenn man Investitionsmöglichkeiten entweder für Privataktuere oder durch den Staat schafft. Privatakteure müssten diese Investitionen aus ihrer Ersparnis (also Abbau ihres Kapitalangebots) oder durch Verschuldung (d. h. Nachfrage von neuem Kapital) finanzieren. Der Staat könnte alternativ über die Besteuerung das Geld einnehmen, indem er Gewinne besteuert und dadurch die Kapitaleinkommen reduziert (bzw. sie damit letztlich in Investitionen umleitet).

Mit der erhöhten und vielleicht überhöhten Sparneigung der Akteure hat allerdings auch die Medienöffentlichkeit viel zu tun. Die Medien betreiben auf allen Kanälen seit Jahren Werbung dafür, mehr zu sparen und sich weniger zu verschulden. Dies geschieht z. B. im Hinblick auf die Eurokrise, in denen Staaten vorgeworfen wird, sich zu stark verschuldet zu haben, und Druck ausgeübt wird, diese Schulden abzubauen. Das diesen Schulden auch ein Gegenposten, ein Vermögen gegenübersteht, wird meist ignoriert. Außerdem sollen wir, so unsere Medien und Politiker, durch den demographischen Wandel begründet, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge aufbauen – also sparen. Dass dieses Geld auf den Finanzmärkten angelegt werden muss, um eine Rendite zu erwirtschaften (und übrigens damit auch wie jedes Finanzmarktprodukt unsicher ist), wird meist ignoriert. Die Medien befördern damit die Sparneigung, um im gleichen Atemzug über die niedrigen Zinsen zu jammern. Mit dieser Politik schafft man es, nicht nur, die Bevölkerung (die leider mehrheitlich darauf vertrauen muss, dass das, was man ihnen sagt, stimmt) dazu zu bringen, ihre Altersvorsorge auf dem Finanzmarkt aufs Spiel zu setzen (Finanzmärkte erzielen ihre Renditen durch Risiko), sondern auch, die Erträge der schon bestehenden Ersparnis zu vernichten. Gibt es für die Ersparnis keine Anlagemöglichkeit, kann sie nicht verzinst werden, und dann geht auch die Rechnung nicht auf, die eigene Rente durch die Renditen an den Finanzmärkten zu finanzieren. Die Herde, die ihre Ersparnis auf die Finanzmärkte trägt, zerstört unbewusst die eigene Rendite, wenn sich niemand mehr findet, der bereit ist, Schulden aufzunehmen. Und diese Herde stacheln die Medien durch ihre aktive und euphorische Finanzberichterstattung geradezu an.

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