PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Am 24.09.2017 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Im Endspurt vor der Wahl werde ich mich wöchentlich zu Wort melden, Bilanz der ablaufenden Legislaturperiode ziehen und einen Ausblick auf die Wahl und die Zeit danach geben. Nachdem ich letzte Woche die Arbeit der Bundesregierung kommentiert habe, verdient nun die politische Gesamtsituation in Deutschland einer Betrachtung.

Lange Zeit hat die Flüchtlingskrise die Politik dominiert, doch inzwischen ist der zeitliche Abstand zu deren Höhepunkten so groß, dass andere Themen in den Vordergrund treten konnten; vergessen ist das Thema jedoch nicht. Die Debatte wird gegenwärtig bestimmt von Dieselskandal, während die Diskussion um den G20-Gipfel in Hamburg bereits wieder abgeklungen ist und Terrorismus nur noch unterschwellig mitklingt. Die außenpolitische Debatte wird von Nordkorea und der Türkei dominiert; im Hintergrund schwingt mediale und politische Feindlichkeit gegen Russland und einer breiten Abscheu gegenüber dem neuen amerikanischen Präsidenten Trump und seiner Administration mit.

Unsere Zeit ist geprägt von einer innerhalb weniger Jahre entstandenen innenpolitischen Polarisierung. Nach vielen politisch langweiligen Jahren merkelscher Alternativlosigkeit stehen sich plötzlich – grob umrissen – drei Fraktionen gegenüber, zwischen denen kaum noch ein konstruktiver politischer Diskurs möglich ist. Es handelt sich um einen rechts-konservativen Block, eine große Zahl von Neoliberalen und eine versprengte Gruppe von Linken. Diese Konfliktlinien werden durch das Parteienspektrum und die Medienlandschaft nur schlecht abgebildet, auch wenn sich viele Parteien und Medien ein und demselben der Blöcke zurechnen lassen. Jede einzelne Gruppe fürchtet die beiden anderen wie der Teufel das Weihwasser, und jede Gruppe beansprucht für sich, für die breite Masse, gerne als „Mitte“ oder „schweigende Mehrheit“ bezeichnet, zu sprechen.

Der neu-rechte Block hat sich um AfD und Pegida herum gebildet, und hatte seine Initialzündung nicht in der Flüchtlingskrise, sondern bereits in der ersten Eskalation der Eurokrise 2012. Erst mit der Flüchtlingskrise haben sich jedoch die Konturen geschärft und die Bewegung eine wirkliche Dynamik entwickelt. Neben der Abkehr von Europa fordern sie, gegen Zuwanderung vorzugehen, schärfere sicherheitspolitische Maßnahmen und vor allem mehr Polizei. Während sie einen starken Sicherheitsstaat fordern, fürchten sie zugleich jegliche Aktivitäten des Staats in wirtschaftlichen Belangen. Besteuerung sehen sie als Bevormundung und als den Versuch der anderen politischen Lager, sich auf ihre Kosten zu bereichern. Insoweit bestehen Parallelen zur Tea-Party-Bewegung in den USA. Gewettert wird gegen eine vermeintliche Okkupation „ihres“ Deutschlands durch „Linke“, „Schwule“, „Gutmenschen“ und/oder „Ausländer“, und den Vertretern der anderen Gruppen wird unterstellt, allesamt Schmarotzer zu sein, die ihnen auf der Tasche lägen. Linke und Ausländer werden wahlweise auch pauschal als Terroristen beschimpft. Während sie für sich selber fordern, alle ihre Meinungen, Behauptungen und Überzeugung umfassend öffentlich kundtun zu können, sprechen sie den in ihren Augen „Linken“ die Bürgerrechte ab, oft verbunden mit der Idee, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder demokratische Partizipation an Steuerzahlung oder Arbeitsleistung zu koppeln.

Neben der AfD sind Teile der CSU und Einzelne aus der CDU den Neu-Rechten zuzuordnen. Medial finden sie überwiegend negative Resonanz, was die Reihen der Rechten gegenüber der „Lügenpresse“ geschlossen hat. Keines der großen Printmedien steht dieser Fraktion nahe, allenfalls bei der Online-Präsenz des Focus werden ihre Meinungen in Teilen vertreten. Dafür artikuliert sich diese Gruppe sher meinungsstark in den Diskussionsforen der sog. „Qualitätsmedien“ und zahlreichen alternativen Online-Publikationen und prägen das Diskussionsklima im Netz. Angesichts klar fehlender politischer Mehrheiten für ihre Interessen – die AfD ist bisher nichtmal im Bundestag – und einer Häufung von ihnen zuwider laufenden politischen Entscheidungen in Euro- und Flüchtlingskrise ist das Bewusstsein dieser Gruppe geprägt von Hass auf die anderen politischen Lager, insbesondere jedoch die gegenwärtige Regierung, was diesem Lager die Mobilisierung einfach macht.

Eine politische und mediale Vormachtstellung genießt die Gruppe der Neoliberalen, vertreten durch CDU, SPD, FDP und Grüne, repräsentiert durch alle Print- und Fernsehmedien. Das Meinungsspektrum dieser Gruppe ist vergleichsweise breit, es reicht beispielsweise im Hinblick auf die Flüchtlingskrise von „Refugees welcome“ über „Wir schaffen das“ bis hin zur Forderung nach Selektion der Flüchtlinge nach Qualifikation. Aber diese zur Schau getragenen Positionen sind bloß Meinungen, hinter denen wenig Überzeugung steckt. Die einzige Überzeugung, die diese Gruppe hat, ist, dass sich jeder selbst am nächsten ist – und vielleicht, dass man bloß niemandem auf die Füße treten darf (was politisch korrekt und damit gesellschaftlich legitim ist, definieren sie zusammen mit ihrer Medienmeute selbst). Nachdem sie ihre Vormachtstellung lange Zeit durch die Illusion abischern konnten, ihre Politik sei „alternativlos“, sind die Neoliberalen zuversichtlich, ihre Stellung sichern zu können, trotz des Erstarkens eines neuen Gegners von rechts. Eine Auseinandersetzung mit den Gegnern suchen sie angesichts ihrer Stärke nicht, sondern diffamieren ihre Gegner wahlweise als „linke Spinner“, „Ewiggestrige“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Nazis“.

Die Linken (man könnte sie auch als „Sozialisten“ bezeichnen) dürften die kleinste der drei Gruppen darstellen. Politisch vertreten werden sie durch große Teile der Linkspartei und den Resten des linken Flügels der SPD, während die derzeitigen Grünen sich von diesem Millieu vollständig gelöst haben. Medial finden sie wenig Plattform in den Printmedien, dafür sind sie durch einige Online-Publikationen und Blogs vertreten. Formiert hat sich diese Gruppe als Reaktion auf die Rot-Grüne Regierungspolitik ab 1999 und hat sich in der Eurokrise noch einmal erneuert. Als die Gruppe, die in Deutschland die Neolibralen bereits am längsten zu bekämpfen versucht, ist das Bewusstsein geprägt von Resignation und dem Gefühl, nichts erreicht zu haben. Man klammert sich oft an die Hoffnung, der eigene Einsatz habe „Schlimmeres“ verhindert, was weder als Motivation für sich selbst, noch zur Mobilisierung von Unterstützern taugt. Das Erstarken der Rechten um Pegida und AfD herum als dritter Kraft hat sie entsetzt, zumal die Neoliberalen ihnen nun öffentlich vorwerfen, sich den Rechten inhaltlich anzubiedern, wenn sie die Regierung kritisieren. In dem Zustand werden von dieser Gruppe absehbar keine politischen Impulse ausgehen.

Nun kann man aus dieser Gesamtlage Schlüsse auf die kommende Wahl ziehen: Unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Bevölkerung haben die Neoliberalen eine große politische Mehrheit und erhalten enormen Rückenwind aus der publizistischen Öffentlichkeit. Eine Regierung, die nicht aus diesem Millieu entspringt, egal ob links oder rechts, ist damit äußerst unwahrscheinlich und stünde gegenüber der medialen Öffentlichkeit von vornherein mit dem Rücken zur Wand. Darauf aufbauend möchte ich nächste Woche eine Prognose für den Ausgang der Wahl und die anschließende Regierungsbildung wagen.

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