PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Die Kanzlerin hat versprochen, dass nach dem Ende der der Pandemie alle Maßnahmen wieder aufgehoben werden. Für einen arglosen Bürger mag das wie eine Selbstverständlichkeit klingen – doch ist es das wirklich? Oder werden in Zukunft auch andere, vielleicht weit harmlosere Infektionskrankheiten mit radikalen gesellschaftlichen Maßnahmen bekämpft? Könnte die Bundesrepublik sich in einen totalitären Gesundheitsstaat verwandeln, wie etwa der Publizist Jakob Augstein warnt? Dieser Gedanke wirkt umso weniger abstrakt, je stärker man sich an die Phasen von Schweine- und Vogelgrippe zurückerinnert. Nimmt man die damaligen Umstände – alarmistische Medienberichte, hysterische Politiker und ein Staat, der wirkungslose Grippemittel hamsterte – und legt an sie die heutigen Maßstäbe aus Corona-Zeiten an, klingt die These nicht mehr absurd, dass man beim Auftreten der nächsten Grippe-Variation schonmal prophylaktisch erste Einschränkungen verhängen könnte, denn sicher ist sicher.

Spurlos geht diese Zeit sicher nicht an uns vorüber. Die Krise wird nicht abrupt enden, sodass eine Rückkehr in das Leben von vor der Krise nur langsam vonstattengehen könnte. Doch die strukturellen Brüche dieser Zeit sind vielfältig und tief; zwar anders als die Weltkriege des letzten Jahrhunderts oder der Zusammenbruch des Ostblocks, aber in ihrer Wirkung kaum schwächer.

Die Corona-Krise hat geschafft, was weder Euro- noch Flüchtlingskrise geschafft haben: Allen Unkenrufen zum Trotz, die davon sprachen, dass Nationalstaaten im 21. Jahrhundert keine handlungsfähigen Entitäten mehr sein könnten, sind es ebenjene und ihre Regierungen, die handeln, während die EU zuschaut und schweigt. Das zerstörerische Werk an der europäischen Idee, dass im Deutschland des 21. Jahrhunderts seinen Anang nahm, könnte nun zur Vollendung gelangen: Nachdem die Bundesrepublik die südlichen Euroländer mit seiner Dumpingpolitik in ein Schuldendesaster trieb, zwang sie dann zur vermeintlichen Lösung des Problems seine Nachbarn in einen Sparkurs. Unser Verhalten, als dann die Flüchtlinge kamen, werden uns die anderen europäischen Länder ebensowenig vergessen, wie die nun verweigerte Solidarität in der Coronakrise. Jetzt, wo sich die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten beweist, steht einem schleichenden Untergang der EU, deren Unzulänglichkeiten immer von einer breiten Unterstützung der „Europäischen Idee“ übertüncht wurden, nichts mehr entgegen.

Auf der einen Seite lernen wir nun zu schätzen, was ein funktionierendes Gesundheitswesen bedeutet. Wer könnte in der näheren Zukunft dort noch für Einsparungen plädieren, wo wir erleben, wie die (auf deutschen Druck hin) kaputtgesparten südeuropäischen Gesundheitssysteme kollabieren, oder was ein Fehlen eines funktionierenden solidarischen Krankenversicherungssystems in den USA bewirkt? Auf der anderen Seite fegen die Einschränkungen wesentliche Freiheitsrechte unserer Gesellschaft beiseite: Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), Freizügigeit (Art. 11 GG) und Freiheit der Berufswahl (Art. 12 GG) sind derzeit eingeschränkt – ein Zustand, der seit 1949 neu ist. Wir spüren jetzt zwar, was diese Grundrechte praktisch bedeuten, aber nehmen deren Einschränkung jedenfalls vorläufig hin. Der Protest dagegen ist bislang überschaubar, wenngleich der Unmut langsam wächst. Die bange Frage ist, ob wir aus dieser Erfahrung heraus in unserer Wachsamkeit zur Verteidigung unserer Freiheitsrechte gestärkt hervorgehen, oder die Einschränkung unserer Rechte zur akzeptierten Normalität wird.

Für fast alle Bürokräfte in Deutschland gilt seit Mitte März: „Home Office“. Auch ich arbeite seit mehr als fünf Wochen von zu Hause. Vermutlich freuen sich viele darauf, wieder ins Büro zu können — mir jedenfalls geht es so. Dennoch wird Heimarbeit auch nach dem Ende der Pandemie wohl häufiger stattfinden. Durch die Krise wurden binnen kürzester Zeit in vielen Unternehmen die dafür nötigen technischen Voraussetzungen geschaffen, die Arbeitsabläufe auf die neuen Erfordernisse angepasst, und Menschen, die sich nie vorstellen konnten, im Home Office zu arbeiten, erleben, dass es doch geht, und manche positive Seite hat. Obwohl manches im Büro, und von Angesicht zu Angesicht mit den Kollegen einfacher geht; Home Office wird bleiben. Der jetzt laufende Beweis, dass Heimarbeit funktioniert, verunmöglicht den Unternehmen, die sich dem bisher verweigert haben, ihre faulen Ausreden. Und deshalb wird sich unsere Arbeitswelt an dieser Stelle langfristig verändern – zum Besseren für diejenigen, die gerne auch mal von zu Hause arbeiten.

Das schulische Pendant zum „Home Office“ ist „Home Schooling“. Dort blüht jetzt eine wilde Mischung aus Eltern, die Lehrer spielen müssen, Lehrern, die Aufgaben, Lese- und Filmempfehlungen per Mail an die Kinder (oder deren Eltern) schicken oder gar den Unterricht als Videokonferenz abhalten. Das wird in der Form – zum Glück – nach der Pandemie sicherlich wieder verschwinden, auch wenn ich vermute, dass der eine oder andere übereifrige Lehrer sich diesen neu gewonnen Kommunikationskanal zu den Schülern weiter offen halten wird. Ich hoffe, dass die Krise nicht dazu führt, die Digitalisierung im physischen Klassenzimmer voranzutreiben – warum, habe ich vor inzwischen fast sieben Jahren schon aufgeschrieben.

Während die Schüler momentan mehr Freizeit haben denn je, fällt die Gestaltung jener Mußestunden derzeit umso schwerer; Langeweile greift um sich, und das nicht nur bei den Kindern, denn genausowenig können Erwachsene ihren Hobbys nachgehen. Langfristig dürfte das aber für alle wieder grundsätzlich möglich werden – selbst Verreisen. Mancher wird das Entgangene aus den Wochen der Isolation auch anschließend sogleich nachzuholen versuchen. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass sich das Freizeitverhalten auch nachhaltig verändert. Zum einen führt das derzeitige ununterbrochene Zusammensein im engen Familienkreis und der ständige Aufenthalt am Wohnort notgedrungen zum Entdecken der einen oder anderen dort vorhandenen Möglichkeit der Freizeitgestaltung, die leicht zur Gewohnheit werden und dann auch nach Corona-Zeiten fortbetrieben werden könnte. Zum anderen könnten fortdauernde Reisebeschränkungen und eine Verknappung des Angebots infolge zahlreicher Pleiten in der Tourismusbranche dafür sorgen, dass der Tourismus auch längerfristig auf niedrigerem Niveau verbleibt. Jedenfalls könnte ich mir einen Anflug von Schadenfreude, sowohl für die Tourismusindustrie als auch die ganzen kosmopolitschen Reise-Hipster der letzten Jahre nur schwer verkneifen, wenn es denn so käme.

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