PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Es heißt ja immer, die Zeit einer Fußballmeisterschaft nutze die Politik dazu, unbeobachtet ungeliebte Entscheidungen zu treffen. Das funktioniert natürlich umso besser, je größer die Begeisterung ist und je länger sie anhält. Dumm nur, dass die Liebe der Deutschen zu ihrer Nationalmannschaft seit 2014 merklich erkaltet ist – sicher nicht zuletzt angesichts der unattraktiven Spielweise und schlechten Ergebnisse: Deutschlandfähnchen konnte man in diesem Sommer lange suchen.

So kann es dann kommen, dass plötzlich ein politisches Thema von der Fußballbegeisterung Besitz ergreift: Der Zufall wollte es so, dass in der Vorrunde die ungarische und die deutsche Nationalmannschaft aufeinandertrafen, und das im Stadion in München, dessen Außenhaut in beliebigen Farben leuchten kann. Ungarn ist, ob der rechts-konservativen, reaktionären Politik der Regierung Orbán, ein Lieblingsgegner der deutschen Öffentlichkeit, und das ungarische Parlament hatte jüngst erneut Gesetze gegen den eigenen Angstgegner, Homosexualität, verabschiedet.

Nun glauben die reaktionären Rechten, die in Ungarn seit über 10 Jahren mit großer Mehrheit regieren, Kenntnis über Homosexualität würde die Menschen dazu erst machen – entsprechend wird entsprechendes Infomaterial zu „Propaganda“ erklärt und verboten. Dass das Quatsch ist, ändert nichts daran, dass die Menschen in Ungarn diese Politik insgesamt tragen und möglicherweise auch diese spezielle Theorie mehrheitlich glauben. Das ist übrigens legitim, Stichwort: Meinungsfreiheit.

In Deutschland wird, außerhalb der hiesigen reaktionären Kreise, die hier keine Mehrheit haben, diese Theorie nicht geglaubt. Im Gegenteil, hier stürzt sich die Öffentlichkeit geradezu obsessiv auf das Thema, was ebenso legitim ist, aber auch ziemlich anstrengend für alle, die das nicht interessiert oder anderer Meinung sind. Vielleicht haben die Ungarn auch einfach keine Lust, allerorten mit einer ihnen mehrheitlich fremden Sexualmoral konfrontiert zu werden. Das wäre zumindest menschlich verständlich, und führt in einen Konflikt zur Meinungsfreiheit, wenn man diese einschränkt, um einer empfundenen Belästigung abzuhelfen.

Jedenfalls hatte jetzt der Münchener Oberbürgermeister der UEFA vorgeschlagen, das Münchener Stadion zum Spiel gegen Ungarn regenbogenfarben zu beleuchten, was die UEFA unter Verweis auf ihre Statuten abgelehnt hat, die derartige politische Stellungnahmen untersagen. Diese Entscheidung war erwartbar, und sie ist völlig richtig, denn natürlich war das der Versuch, das Fußballspiel dafür zu instrumentalisieren, gegen politische Entscheidungen in Ungarn zu protestieren.

Vordergründig ist der Fall damit erledigt, und doch wirft diese Episode Fragen auf:

Was hierzulande passiert, geht über die Äußerung von Kritik oder Unverständnis weit hinaus; es ist der Versuch, öffentlichen Druck aufzubauen, um den ungarischen Gesetzgeber oder Wähler zu beeinflussen. Die Ungarn haben ihre Volksvertretung selbst gewählt, und es gibt auch wenig Zeichen, dass die Mehrheit dort seine Einstellung geändert hat. Auch wenn sich die Frage nach den Rechten von Homosexuellen in jedem Land stellt, betreffen die ungarischen Entscheidungen zu dem Frage jedenfalls nur die Ungarn. Was würden wir sagen, wenn ungarische Politiker uns vorschreiben wollten, welches Programm das ZDF sendet? Wir würden uns das verbitten, und zwar völlig zurecht. Allenfalls die EU hat, gewissermaßen als übergeordneter Gesetzgeber, ein Recht, in derartigen Fragen bei Bedarf mitzusprechen. Das tut sie auch, und es steht natürlich die Frage im Raum, ob Ungarn in der EU eigentlich richtig aufgehoben ist.

Die Stadt München war in dieser Situation in erster Linie Gastgeber für die beiden Mannschaften und ihre Anhänger und erst in zweiter Linie eine deutsche Stadt. Das politische Statement der Stadt war daher auch die politische Äußerung eines Gastgebers und nicht eines sportlichen Rivalen. Diese Äußerung hat sich klar und unmissverständlich gegen die ungarischen Gäste gerichtet und deshalb hat der Münchener Oberbürgermeister die Bundesrepublik Deutschland als Ausrichter internationaler Sportereignisse blamiert.

Etwas anderes ist es, wenn die deutsche Nationalmannschaft mit regenbogenfarbenen Armbinden aufläuft. Das mag als individuelle Meinungsäußerung der Spieler durchgehen. Trotzdem hat auch das einen schalen Geschmack: Der Sport kann die Grenzen von Klassen und Schichten überwinden. Durch die Spaltung in die Anhängerschaften der rivalisierenden Mannschaften bringt er gleichzeitig die Menschen zusammen, die nichts eint außer eben der Anhängerschaft zu einer Mannschaft. Man muss nicht politisch einig sein, um gemeinsam Fußball zu schauen, oder gemeinsam die Tore der eigenen Mannschaft zu feiern – wenn nicht der Sport mit politische Botschaften aufgeladen wird. Dann überbrückt er gesellschaftliche Gräben nicht, sondern vertieft sie noch.

Gegenwart