PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Vor fast zwei Jahren geisterte ein Artikel der Welt mit Vorschlägen zu einer „Agenda 2020“ durch das Netz. Damals schrieb ich: „Es mag zwar gegenwärtig unrealistisch klingen, dass alles umgesetzt wird, da von einer Mehrheit dafür im Volk nicht auszugehen ist.“ Zugleich warnte ich: „Allerdings war das im Falle der Agenda 2010 nicht anders und politische Stimmungsmache der neoliberalen Kräfte haben dann ihren Teil dazu beigetragen, diese Reformen doch mehrheitsfähig zu machen.“ Nun sprechen Mitglieder der heutigen Regierung öffentlich über ein Projekt „Agenda 2020“. Die neue Diskussion wurde angezettelt von jüngeren Unionspolitikern, die zuweilen gar als „Rebellen“ beschrieben werden. Diese Beschreibung ist freilich eine grobe Ãœbertreibung, haben diese Politiker doch stets am Ende doch mit der Regierung gestimmt. Deswegen ist die Initiative nicht notwendigerweise ernst zu nehmen. Ebensowenig muss zwangsläufig ernst genommen werden, dass Angela Merkel nun auf den Zug einspringt. Bekanntermaßen sind ihre Ankündigungen (Carsten Linnemann zum Beispiel. Aber auch der neue Generalsekretär Peter Tauber) inhaltlicher Art das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt werden – und trotzdem: Sollte Angela Merkel, von der bisher allgemein angenommen wird, dass sie 2017 nicht erneut antritt, ihre Amtszeit „krönen“ wollen, so rückt für ein Projekt „Agenda 2020“ das Jahr 2020 langsam in Sichtweite. Um über die politische Umsetzung eines solchen Projektes wachen zu können, wird die Zeit langsam knapp, nimmt man ein Ende der Ära Merkel im Jahr 2017 an. Zur Besorgnis besteht deshalb akuter Anlass.

Die Situation für ein solches Projekt ist ökonomisch allerdings fundamental von 2003 verschieden: 2003 sprach man von Deutschland als „kranker Mann Europas“. Die Medizin löste eine Art „Wettkampf der Nationen“ aus, der Europa die schwerste Rezession seit 1929 bescherte: Die allgemeine Senkung des Lohnniveaus, ausgelöst durch Kürzung von Sozialleistung und öffentlichen Druck auf die Arbeitnehmerseite, erhöhte Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Euro-Nachbarländern. Deutsche Produkte wurden so günstiger und wurden als Substitute für inländische Produkte importiert: Leistungsbilanzüberschüsse entstanden. Dieses dauerhafte Ungleichgewicht führt innerhalb eines Währungsraums, in dem eine Abwertung der Währung nicht möglich ist, dazu, dass zwangsläufig der Handelspartner mit Importüberschuss Verschuldung aufbaut. Deutschland löste damit, dass sie den Startschuss zum „Kampf der Nationen“ um Wettbewerbsfähigkeit gaben, genau dass aus, von dessen Symptomen wir nun stets als „Staatsschuldenkrise“ Über europäische Nachbarländer hören.

Heute gilt Deutschland als „Musterland“. Da fällt es natürlich schwerer als 2003, den nächsten neoliberalen Rundumschlag zu begründen. Im Bewusstsein der eigenen Vorbildlichkeit diktieren unsere Politiker jedenfalls den Nachbarn auch je eine Agenda 2010 in die Feder: Erst Griechenland, dann Portugal und Spanien. Nun verkündet auch Frankreich ein umfangreiches Sparprogramm. Die Wirkung davon ist abzusehen: Unter größten sozialen Schwierigkeiten werden die anderen Länder ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland erhöhen (und dabei mit Deutschland gleichziehen oder vorbeiziehen). Im Ergebnis hat keiner an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen, aber jedes Land unter Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhnen, Altersarmut, Jugendarmut, etc. gelitten.

Nun droht Deutschland die nächste Runde der Abwärtsspirale einzuläuten. Nachdem man den Nachbarländern aufgezwungen hat, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, stellt man fest (ohne zu begreifen, dass Wettbewerbsfähigkeit eine relative Größe ist), dass nun Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden müsse. Was wir damit wohl auslösen? Schaffen wir es, die Weltwirtschaftskrise 1929 doch zu toppen? Lösen wir unkontrollierbare politische Experimente (nationalistischer Art) aus? Oder schaffen wir es am Ende nur, als der ökonomischen Geisterfahrer entlarvt zu werden, der wir sind?

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