PKEuS' Blog

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Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. In diesem Beitrag soll nun der zweite Problemkomplex, die zunehmende Benutzung von Individualverkehrsmitteln, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Nach dem mit der Eisenbahn ab 1835 zunächst ein Massenverkehrsmittel seinen Siegeszug in Deutschland angetreten hat, ist in der Nachkriegszeit eine vollständige Umkehr der Verhältnisse festzustellen: Die einst 35 % der Eisenbahn am Verkehrsaufkommen (1950, alle öffentlichen Verkehrsmittel: > 60 %) sind dem heutigen Anteil von ca. 80 % des Autoverkehrs gewichen. Dabei ist zwar die absolute Zahl der Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel recht konstant geblieben, während die Ausweitung des Verkehrs ansich nahezu ausschließlich dem Individualverkehr zuzurechnen ist. Für den Einzelnen mögen Massenverkehrsmittel zuweilen unbequemer sein; zwar muss man sich als Fahrgast nicht um die Steuerung des Verkehrsmittels kümmern, muss aber Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Fahrgäste nehmen, indem man den verfügbaren Platz mit ihnen teilt, umsteigen und bis zur Abfahrtszeit warten muss. In vielen Fällen hat dies auch höhere Fahrtzeiten zur Folge. Gesellschaftlich sind Massenverkehrsmittel allerdings deutlich platzsparender, leiser und umweltschonender. Deswegen ist die dargestellte Entwicklung aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht positiv zu bewerten. Neben den dargestellten grundsätzlichen Nachteilen öffentlicher Verkehrsmittel haben jedoch auch verkehrspolitische Entscheidungen zu dieser Entwicklung beigetragen. Dem in Ballungszentrum gestiegenen Transportvolumens öffentlicher Verkehrsmittel lief die Stillegung unzähliger Nebenbahnen entgegen. Die Anstrengungen der Politik, diese zu retten (die es gab, beispielsweise durch die Entwicklung des „Schienenbus“ oder des Citybahn-Konzepts), haben sich letztlich nicht als ausreichend erwiesen. Zugleich litt die Attraktivität des Schienenverkehrs vor allem im zeitlichen Umfeld der Bahnprivatisierung an einem Investitionsstau beim Fahrzeugmaterial. Die schon seit Ende der 1970er unklare künftige Firmenpolitik verzögerte manche Neuentwicklungen (bei der Entwicklung des Nebenbahntriebwagen der Baureihe 628 vergingen deswegen zwischen Prototypen- und Serienfertigung 11 Jahre) und die neue Konzernführung konnte durch „Fahren auf Verschleiß“ zunächst die nunmehr wichtigen Bilanzergebnisse verbessern. Veraltetes und heruntergekommenes Rollmaterial senkte die Attraktivität des Angebots zusätzlich und führte rasch dazu, dass die frühere Werbung der Bahn mit ihrer Zuverlässigkeit („Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“) zu einem schlechten Scherz verkam.

Diese Entwicklung gilt ebenso für den Güterverkehr. Dieser verlagerte sich in erheblichem Maße von der Schiene auf die Straße, auf der die Beförderung in kleineren Fuhren erfolgt. Insbesondere der Stückgutverkehr auf der Schiene wurde 1998 eingestellt, nachdem das Aufkommen über Jahre hinweg drastisch weggebrochen ist (obwohl durch das Aufkommen standardisierter Container dessen Attraktivität grundsätzlich deutlich gestiegen ist). Die Einstellung des Stückgutverkehrs durch die DB AG war Folge und nicht Ursache des Rückgangs. Allerdings trug die DB AG 2003 mit ihrem Programm „MORA C“ trotzdem einen Großteil zu der Entwicklung bei, als die Preise für die Bedienung zahlreicher Gleisanschlüsse kleinerer Unternehmen fast über Nacht drastisch stiegen und damit unbezahlbar wurden. Damit brachen dem Schienengüterverkehr, zusammen mit der Stillegung der oftmals bis zum Schluss noch im Güterverkehr betriebenen Nebenbahnen, elementare Teile der Infrastruktur weg. Auch die Deutsche Post AG, eines der größten Logistikunternehmen Deutschlands, vormals wie die Deutsche Bahn ein staatliches Unternehmen, entschied sich 1997, den Posttransport von der Schiene auf die Straße zu verlegen (diese Entscheidung wurde drei Jahre später allerdings teilweise revidiert). Als Anlass gilt hier, dass die DB außerstande gewesen sei, hinreichend attraktive Fahrtzeiten anzubieten. Ein weiteres Indiz für infrastrukturelle Probleme, allerdings ist hier insbesondere die zeitliche Koinzidenz zwischen dieser unternehmerischen Entscheidung und der Privatisierung auffallend, da zwei unabhängige privatisierte Unternehmen weniger Interesse an Zusammenarbeit haben als zwei Staatliche (auf Details wird in einem späteren Beitrag zur Reihe noch eingegangen). Neben der allgemeinen Entwicklung, dem Trend, Waren auf der Straße zu transportieren, ergab sich insgesamt ein unheilvolles Zusammenspiel zwischen dem Wegbrechen der Infrastruktur (mit entsprechenden Wechselwirkungen zum Personenverkehr) und der Privatisierung diverser Staatsunternehmen, insbesondere der DB AG, dass wesentlich zu diesem Wandel beigetragen haben dürfte.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich die Betrachtung bisher und im Folgenden auf den Vergleich zwischen individuellem Straßenverkehr und den Massenbeförderungsmitteln im Schienenverkehr konzentriert, da die Entwicklung hier am markantesten verlief. Schienenvekehr ist stets ein Massenbeförderungsmittel; im Straßenverkehr sind individueller und öffentlicher Verkehr gemischt. Dabei gilt der Schienenverkehr unter den Massenbeförderungsmitteln in punkto Leistungsfähigkeit, Umweltverträglichkeit und Komfort als vorteilhaft. Deswegen muss noch auf folgende verkehrspolitische Entwicklungen hingewiesen werden: In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche Straßenbahnlinien entweder zu U-Bahnen weiterentwickelt oder zu Buslinien zurückentwickelt. Mit den jüngsten Entwicklungen in Mülheim hat der Trend zur Rückentwicklng, den man zuvor eigentlich als „abgehakt“ betrachten konnte, einen neuen Schub erhalten. Außerdem wurde 2013 im Fernverkehr durch eine Gesetzesnovellierung der Rahmen für einen privatwirtschaftlichen Fernbusmarkt geschaffen. Dieser hat sich inzwischen stark entwickelt, allerdings bislang in ruinöser Konkurrenz. Die Fahrgastgewinne der Fernbusanbieter dürften dabei – angesichts deutlich günstigerer Fahrpreise (bei längeren Fahrtzeiten) – zu großen Teilen auf Kosten der Bahn gegangen sein. Die parallel entstandene Konkurrenz zur DB Fernverkehr auf der Schiene (z. B. der HKX) scheint bisher unwirtschaftlich zu sein, trotz der erheblich geringeren Zahl an Konkurrenten und des recht teuren Monopolanbieters DB Fernverkehr. Es existiert daher, neben dem Wechsel von Massen- zu Individualverkehrsmitteln auch ein Trend zur Wahl der als ungünstiger anzusehenden Straßenverkehrsmittel.

Diese Entwicklungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Öffentliche Verkehrsmittel – vorwiegend auf der Schiene – haben gegenüber dem Individualverkehr auf der Straße deutlich an Bedeutung verloren. Neben der technologischen Entwicklung und gesellschaftlicher Trends zum Individualverkehr sind zahlreiche politische Einflussfaktoren festzuhalten, die diese Entwicklung nicht gebremst, sondern gefördert haben: Politische Entscheidungen über Investitionen zugunsten von Straßenverkehrsmitteln, die Privatisierung des Schienenverkehrs und die Liberalisierung der Verkehrsmärkte.

Aus diesen politischen Fehlern ergeben sich auch die Ansätze zur Lösung: Die Attraktivität des Angebots muss gegenüber dem Individualverkehr steigen. Abermals heißt dies, dass das Angebot der Bahn in der Fläche verbessert werden muss. Dabei sind Ansätze zur Vernetzung von Indidividualverkehr und öffentlichem Verkehr, beispielsweise durch Park&Ride-Angebote gerade in ländlichen Umgebungen, wo der Abstand zu Haltestellen von Bus und Bahn oft groß ist, von großer Bedeutung. Hierdurch können die „von Tür zu Tür“-Fahrtzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich verbessert werden und dadurch zumindest ein Großteil der Wegstrecke auf den öffentlichen Verkehr umgeleitet werden. Es ist weiterhin dringend geraten, die Privatisierung der Bahn zurückzunehmen, da ein erhebliches öffentliches Interesse an Nah- und Fernverkehr, Personen- und Güterverkehr auf der Schiene besteht. Da externe Effekte, die in der privatwirtschaftlichen Rechnung keine Rolle spielen, große Bedeutung für dieses Interesse haben, kann privatwirtschaftlich ohne hohen Subventions- und Lenkungsaufwand keine effiziente Allokation erzielt werden. Insbesondere sei auch angeraten, die Trennung von Nah- und Fernverkehr aufzuheben, um eine kapazitative Entlastung entlang der Hauptstrecken zu erzielen und die Fahrtzeiten der Kunden zu verkürzen. Dieser Schritt ist gegenwärtig nicht denkbar, da der Fernverkehr (auf Straße und Schiene) privatwirtschaftlich erfolgt, während der Nahverkehr in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ist. Auf die Wirkung eines solchen Schritts möchte ich in einem späteren Beitrag zur Reihe noch genauer eingehen. Die Politik, insbesondere auf kommunaler Ebene, muss den Fokus darauf legen, dass bei der Erschließung von Flächen eine Schienenverkehrsanbindung hergestellt wird – auch bei Gewerbegebieten, da ohne diese Infrastruktur LKW-Transport alternativlos ist. Es ist zu erwägen, ob hier, insbesondere bei Bestandsflächen, kombinierter Verkehr (d. h. Transport auf der Straße bis zur nächsten Verladestelle), gegebenenfalls in Form einer Wiederaufnahme des Stückgutverkehrs, eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Entscheidung sein kann. Schließlich sollte auch die Verteilung der vorhandenen Gelder zwischen Individual- und Massenverkehrsmitteln neu überdacht werden. Der Staat sollte sich im Sinne einer effizienten Steuerung des Marktgeschehens darauf konzentrieren, diejenigen Verkehrsmittel zu fördern, die gegenüber anderen positive(re) externe Effekte aufweisen – d. h. Massenverkehrsmittel.

Im nächsten Abschnitt soll dann die aktuell im Mittelpunkt der Diskussion stehende Infrastrukturmisere als Symptom der dritten großen Fehlsteuerung untersucht werden.

Gegenwart