PKEuS' Blog

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Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. In diesem Beitrag soll nun der dritte Problemkomplex, die seit kurzem im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Infrastrukturprobleme und die zugrundeliegenden Defizite in der Finanzierung des Verkehrs erörtert werden.

Seit Jahren bereits geraten hin und wieder größere und kleinere Probleme mit unserer Infrastruktur in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. Schlaglöcher im Winter, die von klammen Kommunen nicht oder nur notdürftig geflickt werden, Langsamfahrstellen auf Bahnstrecken, die über Jahre hinweg bestehen sind aber, verglichen mit dem, was inzwischen die Gemüter erregt, Petitessen: Störend zwar, aber nichts, was zu ernsthaften Beeinträchtigungen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens geführt hat. Mittlerweile sind die diskutierten Probleme aber in ihren Folgen weitaus gravierender: ca. 5000 Eisenbahnbrücken gelten als so marode, dass sie ersetzt werden müssen. Geschieht dies nicht kurzfristig, drohen Streckensperrungen. In Leverkusen ist – als Sinnbild für den Zustand zahlreicher Autobahnrücken ihres Alters – eine 6-spurige Autobahnbrücke über den Rhein für LKWs gesperrt und die Höchstgeschwindigkeit für PKWs reduziert worden. Rheinbrücken sind jedoch rar, vor allem solche mit der Kapazität einer Autobahn, sodass die Brücke bundesweite Aufmerksamkeit erfuhr. Und im Ruhrgebiet, insbesondere im Raum Duisburg, ist die Stellwerkstechnik des U- und Straßenbahnnetzes am Ende ihrer Lebenszeit angekommen. Ein Ersatz ist nicht in Reichweite, und bereits ohne derartigen Finanzaufwand sind die Stadtwerke Mülheim so klamm, dass bereits der Verkehr auf einem Teilstück einer Straßenbahnlinie aufgegeben werden musste. Das, was jedem aufmerksamen Beobachter schwante, scheint nun Wirklichkeit zu werden: Die chronische Unterfinanzierung scheint nun, mit der bei langfristigen Investitionen üblichen Zeitverzögerung, sichtbare Folgen für die Lebensqualität zu haben.

Diese Entwicklung ist mittelbar Folge der Sparpolitik, die mit dem Regierungswechsel von 1982 eingeleitet wurde. Es klingt zwar weit hergeholt, dass Entscheidungen, die mittlerweile 32 Jahre zurückliegen, erst jetzt Konsequenzen zeigen; bedenkt man jedoch den langen Zeithorizont, der bei Infrastrukturprojekten zu betrachten ist, ist es doch erklärlich: Die Regierungen vor 1982 haben, auch als Nebenwirkung ihrer Konjunkturpolitik, gigantische Infrastrukturinvestitionen vorgenommen. Zahlreiche Verkehrsbauwerke, insbesondere die erwähnten Autobahnbrücken und die Stellwerkstechnik, stammen aus den 60er und 70er Jahren. Will man vermeiden, plötzlich unvorstellbare Summen und unvorstellbaren Aufwand treiben zu müssen, so sollte über die Zeit hinweg stetig Geld in neue Investitionen fließen, sodass rechnerisch die Abschreibungen auf die Altinvestitionen kompensiert werden. Nun sind jene Bauwerke aus den 60ern und 70ern am Ende ihrer Lebenszeit angelangt. Da jedoch über mehr als 30 Jahre die Investitionstätigkeit des Staats massiv eingeschränkt war, steht nun für die veraltete Infrastruktur kein Ersatz bereit, wie er entstanden wäre, wenn die damalige Investitionspolitik fortgeführt worden wäre. Die glücklicherweise hohe Lebensdauer der besthenden Infrastruktur hat zur Folge, dass der Verschleiß zur tickenden Zeitbombe wurde. Ohne sichtbare Nebenwirkungen konnten sich über 30 Jahre hinweg Regierungen so höchst fragwürdige Einsparungen erzielen, um ihrem selbstauferlegten Ziel von Haushaltsdisziplin zu folgen. Diese als gerecht gegenüber kommenden Generationen proklamierte Politik fällt der inzwischen gekommenen Generation auf die Füße, die das Problem bislang an die nun kommende Generation weiterzureichen versucht. Opfert man die Infrastruktur, um die Schulden für die kommende Generation zu reduzieren, ist das jedoch keine Verbesserung – wie man jetzt sieht: Den (möglicherweise) geringeren Schulden steht auch (definitiv) weniger Vermögen in Form von Infrastruktur gegenüber.

Wie bereits eingangs geschildert, sind erste Symptome der sich anbahnenden Infrastrukturkrise schon seit Jahren sichtbar (und seit 32 Jahren absehbar). Um die Staatshaushalte zu verschlanken, verschrieb sich die Politik der Privatisierung diverser staatlicher Monopole, vor allem Bundespost und Bundesbahn. Die Deutsche Bundesbahn wurde im Zuge der Fusion mit der Deutschen Reichsbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die seitdem nur noch insoweit staatlich ist, als das letzterer alleiniger Besitzer ihrer Aktien ist. Die Veräußerung der Aktien, der Börsengang der DB AG, wurde bislang nicht vollzogen, doch die meisten Monopole, die die DB zuvor besaß, wurden aufgehoben: Das Netz ist als natürliches Monopol noch immer weitgehend in Besitz der DB AG. Der Betrieb wird allerdings in vielen Fällen von „privaten“ Betreibern durchgeführt: Im Güterverkehr konkurriert die DB mit unzähligen anderen Unternehmen. Im Fernverkehr existiert in geringem Umfang mittlerweile private Konkurrenz. Und im Nahverkehr wird der Betrieb nun über Ausschreibungen vergeben, bei denen das bestbewertete/günstigste Angebot gewinnt. Zugleich wurde, wie erwähnt, der Fernbusmarkt geöffnet, sodass die Bahn im Fernverkehr nun auch mit einem anderen Verkehrsmittel konkurriert. Der in allen Bereichen erfolgte Einstieg privater Betreiber – trotz der oft der DB unterstellten unlauteren Wettbewerbsmethoden – zeigt: Es sind in nennenswertem Umfang Gewinne zu erwirtschaften. Diese Gewinnaussichten hat der Staat nicht verkauft, sondern verschenkt. Diese Mittel werden damit allerdings der Verkehrsinfrastruktur entzogen (auf die Vor- und Nachteile und den Aspekt ökonomischer Effizienz wird an späterer Stelle noch eingegangen).

Neben dem Geld gibt der Staat auch seine Entscheidungshoheit auf. Allerdings hat die Gewinnmaximierung des Gesamtkonzerns bereits zu einem systematischen Infrastrukturrückbau geführt, der schon im Vorfeld der Privatisierung begonnen und nach 1994 noch 10 Jahre mit großem Elan fortgeführt wurde. Bleibt die DB Netz AG in staatlicher Hand, könnte die Politik, mit mehr oder weniger Aufwand und dem Umweg über den Aufsichtsrat einen Politikwechsel erzwingen. Veräußert man jedoch die Anteile an diesem Unternehmen, würde diese Einflussmöglichkeit entfallen.

Vorwiegend im Straßenverkehrsbereich wurden und werden hingegen beim Betrieb der Infrastruktur öffentlich private Partnerschaften (ÖPP) eingegangen. In diesem Konzept vergibt der Staat den Betrieb einer Einrichtung, beispielsweise einer Autobahn, an ein privates Unternehmen. Dieses erhält dafür Geld oder darf Gewinne abschöpfen. Grundidee ist, dass der Staat das Geld für die Anfangsinvestition nicht aufbringen muss (und damit keinen Kredit aufnehmen muss), dafür allerdings dann über einen längeren Zeitraum auf Einnahmen verzichten muss. Es handelt sich damit insgesamt um ein Substitut für einen Kredit. Allerdings sind die Zinsen für private Unternehmen deutlich höher als für den Staatshaushalt, sodass der Staat bei ÖPP mittelbar diese höhere Zinslast tragen muss. Deswegen sind ÖPP-Projekte schon in der Theorie teurer als rein staatliche Finanzierung. Praktisch kommt dazu, dass zahlreiche ÖPP-Projekte zu veritablen Katastrophen ausgeartet sind. Die Vergabe des Betriebs des LKW-Maut-Systems an die Firma Toll Collect ist nur ein Beispiel, wo erhebliche Verzögerungen bei der Betriebsaufnahme und entsprechende Einnahmeverluste auftraten. Das Risiko ist bislang beim Staat verblieben, die zwar enorm umfangreichen aber anscheinend mangelhaften Verträge ließen es bislang offenbar nicht zu, Regress zu verlangen, stattdessen werden seit 2005 Rechtsstreitigkeiten zwischen Bund und Toll Collect ausgetragen. Vielfach argumentieren die Politiker, die vorgeben, die Nachteile von ÖPP zu verstehen, dass man zwar höhere Kosten zu tragen habe, der Staat aber andernfalls auf die Investition vollständig verzichten muss, da keine Gelder im Staatshaushalt vorgesehen seien, d. h. keine Schuldenaufnahme möglich sei. Das mag stimmen, aber diese Schuldenbremse hat sich die Politik ohne gute Argumente selbst auferlegt. Wer Vermögen aufbauen will, muss investieren und dazu Schulden aufnehmen, das ist die grundlegende Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems.

Politisch gewollt wurden der Verkehrsinfrastruktur damit über 30 Jahre hinweg systematisch Gelder entzogen, was inzwischen Konsequenzen für das öffentliche Leben hat. Die politische Mehrheit hat es jedoch bislang nicht geschafft, die richtigen Schlüsse zu ziehen oder wenigstens eine zutreffende Ursachenanalyse zu erstellen, obwohl nicht einmal das vorgeschobene Ziel, die Staatsverschuldung zu reduzieren, über die letzten Jahrzehnte auch nur in Reichweite geraten ist. Tatsächlich sind die bisherigen politischen Entscheidungen nicht geeignet, auch nur einem Problem, sei es der Staatsverschuldung oder der Infrastrukturmisere Rechnung zu tragen. Doch als natürliches Monopol mit hohen externen Effekten kann die Verkehrsinfrastruktur letztlich nur vom Staat getragen werden, sodass die Lösung für die Infrastrukturkrise auf der Hand liegt: Mehr staatliche Investitionen. Allerdings liegt auf der Hand, dass es Jahrzehnte dauern wird, 30 Jahre Unterinvestition zu kompensieren.

Gegenwart