PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. Das Thema „Bahnprivatisierung“ soll in diesem Beitrag untersucht werden.

Als nach der Wiedervereinigung auch die beiden staatlichen Eisenbahngesellschaften wiedervereinigt wurden, packte man die Gelegenheit beim Schopf: Die neuentstehende Gesellschaft sollte privatrechtlich organisiert sein, der Schienenverkehrsmarkt liberalisiert werden und – so der Plan – die staatlichen Anteile der neuen DB AG schließlich am Kapitalmarkt verkauft werden. Aus den zwei staatlichen „Beamtenbahnen“ sollte ein effizienter privater Konzern werden, der nicht länger Verluste erwirtschaftete, die von der Staatskasse zu tragen wären. Und die Gründe für diese Entscheidung waren manigfaltig:

Schon die Deutsche Bundesbahn stand im Ruf der Ineffizienz, galt als träge, unflexibel und aus der Zeit gefallen. Schon seit Jahrzehnten klagte die Politik über die hohen Verluste, die vom staatlichen Eigentümer getragen werden mussten. Doch mit der DR, dem ostdeutschen Pendant zur Bundesbahn, gesellte sich ein Unternehmen dazu, dass an Muff, Trägheit und Ineffizienz die Bundesbahn weit in den Schatten stellte. Der technologische Rückstand der DDR und die dort betriebene Beschäftigungspolitik – in westdeutschen Augen Misswirtschaft – hatten die bizarre Situation ergeben, dass die DR, zuständig für das deutlich kleinere Ostdeutschland, mit deutlich weniger Einwohnern und trotz der Stillegungswellen in Westdeutschland kleineren Streckennetz es fertig gebracht hat, mehr Personal als die DB vorzuhalten. Auf beide Bahnen traf gleichermaßen zu, dass sie in Punkto Qualität und Komfort nicht mehr den Ansprüchen der Zeit genügten. U.a. dies führte dazu, dass in Ballungsräumen die Züge hoffnungslos überlastet und auf Nebenstrecken meist leer waren. Die träge Struktur der Behörde schaffte es nicht, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, die zentrale Verwaltung in Nürnberg war weit weg von allen Problemen vor Ort.

Diese Gründe führten zusammen mit einer generellen Privatisierungseuphorie, die vom wissenschaftlichen und politischen Mainstream getragen wurde, zur Bahnprivatisierung. Davon versprach man sich eine durch die Marktkräfte erzwungene Verschlankung, mehr Kundenzugewandtheit und ein Ende der Verluste, die die Staatsbahnen seit Jahrzehnten erwirtschafteten. So wurde nach der Wiedervereinigung der beiden Staaten 1990 im Jahr 1996 die Zusammenführung von DB und DR vollzogen. Ein sinnvolles Projekt, eine Erfolgsgeschichte?

Es ist zunächst grundsätzlich zutreffend, dass ein freier Markt, auf dem zahlreiche Kunden und zahlreiche Anbieter existieren, auf dem vollständige oder zumindest symmetrische Informationen herrschen, keine Externalitäten existieren und der Staat nicht eingreift, zu einem effizienten Ergebnis führt, weil ineffiziente oder überteuerte Anbieter sofort durch günstigere Konkurrenz unterboten würden und deswegen kein Erpressungspotential und keine Monopolstellung existiert. Dies gilt allerdings nur unter den genannten Voraussetzungen, die fast ausnahmslos im Schienenverkehr verletzt sind:

Die Infrastruktur, d. h. das Schienennetz, ist ein natürliches Monopol, da es hochgradig ineffizient (und aus Platzgründen oft auch unmöglich) wäre, dass mehrere Unternehmen parallele Strecken errichten. Auf einem bestimmten Netzabschnitt sollte und wird es daher stets nur einen Anbieter der Infrastruktur geben, was zweifellos das zentrale Argument ist, dass von einem privatisierten Netz keine Effizienzsteigerung zu erwarten ist. Darüber hinaus ist aber auch die Kapazität des Netztes beschränkt, sodass auch die Nutzung einer Trasse zu einem bestimmten Zeitpunkt exklusiv ist. Dies deutet auf eine monopolartige Struktur beim Fahrbetrieb hin, wobei einzuwenden ist, dass durch die Wahl einer anderen Fahrtzeit eine gewisse Substituierbarkeit besteht, sodass Wettbewerb in diesen Grenzen denkbar ist.

Bekannt ist, dass der Schienenverkehr gegenüber dem Straßenverkehr positive Externalitäten hat, da er emissionsärmer, platzsparender und kostengünstiger ist. Während im Fern- und Güterverkehr bei der privatisierten Bahn keine Staatseingriffe vorgesehen sind, ist dennoch Konsens, dass der Nahverkehr umfassende Subventionen benötigt, um trotz externer Effekte eine effiziente Allokation zu erreichen (auf die Unsinnigkeit der Theorie, wonach diese Externalitäten im Güter- und Fernverkehr keine Rolle spielten, sei nur am Rande hingewiesen). Greift der Staat ein, so muss er, um eine effiziente Allokation zu erreichen, die Subvention so wählen, dass die Externalität exakt kompensiert wird. Es ist allgemein bekannt, dass die Wahl der Höhe der Subvention mangels Informationen (oder Berechenbarkeit) im Grunde nicht möglich ist, denn es ist nicht möglich, die externen Effekte des Schienenverkehrs präzise in Geld zu beziffern, auch wenn vielfach Ansätze existieren, eine Annäherung zu erreichen.

Der folglich nötige Eingriff in den Nahverkehr wird vom Staat in der Realität nun so durchgeführt, dass nicht die Ticketpreise subventioniert werden, sondern dass der Staat in Person der Verkehrsverbünde (planwirtschaftlich) festlegt, welche Strecken mit welchen Voraussetzungen betrieben werden sollen. Vielfach übernimmt der Staat dabei auch die Beschaffung und Wartung der Fahrzeuge. Der Fahrbetrieb wird dann ausgeschrieben und an den besten Anbieter vergeben, der dann über einen längeren Zeitraum zur Erbringung der vorher festgelegten Leistung verpflichtet ist. Da Verträge unvollständig sind, d. h. nicht alle möglichen Eventualitäten abdecken können, ergeben sich durch die langfristige Bindung ein Erpressungspotential und fehlende Flexibilität. Der Staat trägt das Risiko der Insolvenz des Betreibers, der Staat kann nicht oder nur schwer Änderungen am Angebot während der Vertragslaufzeit herbeiführen und ist je nach den Lücken der Verträge auch anfällig für deren Ausnutzung. In diesem Markt ergibt sich die Allokation außerdem nicht im Zusammenspiel zwischen Kundennachfrage und Angebot durch die Bahnunternehmen, sondern im Zusammenspiel von Nachfrage durch den Verkehrsverbund (letztich die Politik) und den Bahnunternehmen. Für eine effiziente Allokation sorgt dieser Markt nur zwischen Verbund und Unternehmen, nicht hinsichtlich der tatsächlichen Nachfrage durch die Kunden. Ob auch die Kunden profitieren hängt vom guten Willen der beteiligten Politiker ab.

Angesichts dieser gravierenden Verletzungen der Voraussetzungen für die Effizienz eines freien Marktes ist nicht davon auszugehen, dass eine optimale Allokation durch einen (teil-)privatisierten Schienenverkehr erreicht wird. Trotzdem könnte es sein, dass das Ergebnis noch immer besser als durch eine Staatsbahn ist. Die monopolartige Struktur des Marktes hat zur Folge, dass der Anbieter zusätliche Gewinne auf Kosten der Nachfrager einstreichen kann. Dies gilt für ein privatisiertes Netz, aber auch im Hinblick auf den monopolartigen Besitz von Fahrplantrassen oder den Gewinn einer Ausschreibung über längere Zeit (der Anbieter ist dann, wenn auch im engen Rahmen des Verkehrsvertrags, Monopolist). Zugute käme dies den Kapitalanlegern, nicht jedoch der Allgemeinheit, die im Saldo Einbußen hinnehmen muss. Wäre der Staat der Monopolanbieter, gäbe es, da dieser nicht unter wirtschaftlichen Aspekten handeln muss, drei potentielle Extremfälle und Mischungen zwischen diesen: Der Staat könnte wie ein privater Monopolist Gewinne einstreichen, er könnte damit (wie frührere deutsche Staatsbahnen) einen bürokratischen Wasserkopf durchfüttern oder er könnte im Interesse des Gemeinwohls eine effiziente Allokation umsetzen. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind das sicherlich herausragendste Beispiel dafür, dass Letzteres nicht utopisch sonder möglich ist. Es setzt allerdings voraus, dass die politische und behördliche Führung der Staatsbahn nicht korrupt, unfähig oder faul ist, womit das Ergebnis, ebenso wie im derzeit umgesetzten Ausschreibungsmarkt für Nahverkehrsleistungen, eine Frage von „good governance“, guter politischer/behördlicher Führung, ist. Im Nahverkehr ist dies aber, wie beschrieben, auch in der umgesetzten Form eines Marktes der Fall.

Heute, in 2014, ist der Bund nach wie vor Mehrheitsaktionär des Gesamtkonzerns DB AG, doch der Plan ist nach wie vor ein Börsengang (des Fahrbetriebs). Dass eine Privatisierung des Netzes, die, wie beschrieben, die fragwürdigste der Privatisierungsoptionen ist, tatsächlich durchgeführt wird, ist eigentlich nicht mehr wirklich zu befürchten, ebensowenig wie wirklich gravierende und unmittelbare Folgen eines Börsengangs: Der besonders wichtige Regionalverkehr wird ohnehin staatlich von den Ländern und Verkehrsverbünden geplant. Im Fernverkehr ist jedoch mit der Einstellung einiger Linien zu rechnen. Doch die bereits umgesetzten Schritte der Privatisierung hatten umfassende Maßnahmen zur Folge. Die zahlreichen Stillegungen und Rückbauten im Vorfeld und nach der Privatisierung haben der Qualität der Infrastruktur fraglos geschadet; ob es sich dabei um eine effizienzsteigernde Maßnahme oder um Bilanzverbesserugsmaßnahmen handelte ist dabei umstritten. Fraglos hat das Effizienzstreben einige Schäden hinterlassen und andererseits auch notwendige Erneuerungen angestoßen, bislang allerdings ohne ein als optimal zu bezeichnendes Ergebnis zu erzielen. Erneuerung und ein zufriedenstellendes Gesamtergebnis wären allerdings – die SBB sind das beste Beispiel – auch bei richtiger Administration einer Staatsbahn durchführbar gewesen. Insgesamt jedenfalls machen die Einschränkungen der Kräfte des freien Marktes durch die gegebenen Verhältnisse wenig Hoffnung, dass einst wirklich effizienter Eisenbahnbetrieb stattfinden wird. Die Möglichkeit, Fehlsteuerungen politisch entgegen zu wirken, gibt der Staat jedoch zunehmend auf. Dabei wäre der (demokratische) Staat der Akteur, dem noch am ehesten zuzutrauen ist, dass er auf eine positive Entwicklung hinwirken wollen könnte.

Gegenwart