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Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. In diesem Beitrag soll die Frage untersucht werden, ob eine tarifliche Trennung von Nah- und Fernverkehr, wie sie derzeit umgesetzt ist, sinnvoll ist.

In Deutschland herrscht spätestens seit die Länder zu den Aufgabenträgern des Nahverkehrs geworden sind ein Tarifflickenteppich. Gab es zuvor im Prinzip nur zwei Tarife – den der Deutschen Bundesbahn und den der kommunalen Bus- und Straßenbahnanbieter, existieren jetzt in jedem Bundesland mindestens ein Nahverkehrstarif (oft sogar mehrere parallel) und bundesweit ein Fernverkehrstarif. Innerhalb dieser Tarife gibt es i.d.R. eine Unterteilung in zwei Wagenklassen, sowie im Fernverkehrstarif eine unterschiedliche Preissetzung für IC- und ICE-Züge. Dem Problem der Nahtstellen zwischen den räumlichen Geltungsbereichen wird mit Sonderregelungen für angrenzende Waben entgegengewirkt. Nah- und Fernverkehr sind tariflich getrennt; Es existiert einerseits die Fernverkehrstarife der privaten Unternehmen, d. h. DB Fernverkehr AG und kleinere Konkurrenten, und andererseits die subventionierten Nahverkehrspreise des Staates. Im Verspätungsfall darf zwar ein Nahverkehrskunde den Fernverkehr nutzen, im Regelfall ist dies jedoch nicht erlaubt.

Für einen erheblichen Teil von Fahrten, nämlich vornehmlich solcher über mittlere Distanzen, ist das gegenwärtige Tarifsystem ineffizient: Wahlweise besteht die Möglichkeit, die Distanz für viel Geld in hohem Komfort und geringer Reisezeit, oder für geringes Geld in geringem Komfort und langer Fahrtzeit zu bewältigen. Zwar ist dem, der bereit ist, viel zu zahlen, ohne Frage bereits geholfen; Diejenigen, die weniger zu zahlen bereit sind (oder denen, wie beispielsweise Studenten, ein Ticket des Nahverkehrs kostenlos bereitsteht, das allerdings keine Aufwertungsmöglichkeit bietet und damit quasi verfiele, würde man den vollen Preis des Fernverkehrsticket bezahlen), müssen dafür allerdings zusätzlich zu geringerem Komfort in Kauf nehmen, dass zwar schnellere Verbindungen bestehen, die sie aber nicht nutzen dürfen. Die Ineffizienz dahinter liegt vielleicht nicht auf der Hand, besteht aber in vier Punkten:

Erstens ist es gesamtwirtschaftlich mitnichten effizient oder wünschenswert, wenn durch die hohe Verweildauer, bedingt durch die erhöhte Reisezeit, die nutzbare Kapazität des vorhandenen Wagenmaterials sinkt. Zweitens führt das erzwungen langsame Reisen zum Ausweichen auf Individualverkehrsmittel, was, gerade unter Umweltschutz- oder Überlastungsaspekten, kaum gewünscht sein kann. Drittens ist dem Reisenden, der mehr zu zahlen bereit ist, nichts genommen, wenn weitere Reisende mit dem schnellen Zug mitgenommen werden, sofern es nicht zu Enge im Zug führt, was den Komfort aller beeinträchtigt. Dem kann durch weitere Verbindungen, für die dann offenbar Bedarf besteht, oder durch längere Züge Abhilfe geschaffen werden. Insbesondere profitiert aber sogar die zahlungskräftigere Gruppe derjenigen, die ohnehin Fernverkehr fahren, wenn durch die höhere Auslastung zusätzliche Verbindungen bzw. dichtere Taktungen geschaffen werden können. Viertens gibt es keinen guten Grund, dass der Staat die langsame Nahverkehrsverbindung subventioniert, aber die schnelle Fernverkehrsverbindung nicht. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es vielmehr paradox, dass die schnelle Verbindung teurer ist als die Langsame. Die höhere Leistung ist unter geringeren (gesamtwirtschaftlichen) Kosten zu erzielen, womit deutlich wird, dass das gegenwärtige System seine Exitenz lediglich Preisdiskriminierung (zweiten Grades) verdankt. Das mag für ein Privatunternehmen ökonomisch sinnvoll sein, nicht jedoch für den Staat bei der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes.

Mein Vorschlag ist die Einführung eines einheitlichen, bundesweiten Tarifs (das setzt natürlich eine verstaatlichung des Fernverkehrs voraus). Dieser sollte wie bisher Wagenklassen unterscheiden, um Differenzierung der Komfortansprüche zu ermöglichen, allerdings keine Beschränkungen in der Nutzung von Zügen aufweisen. Allenfalls könnte über eine dritte Wagenklasse nachgedacht werden, wobei die zweite Klasse des Fernverkehrs dann der ersten Klasse des Nahverkehrs entspräche, sodass Fahrgäste mit Fahrkarten der dritten Klasse keine Fernverkehrszüge nutzen könnten. In diesem Fall muss aber die Preissetzung so erfolgen, dass die neue zweite Klasse für jedermann erschwinglich ist und die dritte Klasse dabei nicht wirklich als „Sparmodell“ für Langstrecken taugt (um die beschriebenen Ineffizienzen nicht erneut zuzulassen). Dies ließe sich erreichen, indem der Preis für eine Fahrkarte dritter Klasse stärker mit der Distanz steigt als in den oberen Klassen. Für Kurzstrecken wäre diese dritte Klasse dann ideal, für längere wäre es die erste oder zweite.

Gravierend verändern würde ein solches Tarifsystem das Liniennetz. Als Ersatz für die 2006 eingestellten InterRegio-Züge (die Fernverkehr darstellten) haben sich einige länger laufende Linien mit recht geringer Haltefrequenz etabliert. Die InterRegio-Express-Linien (IRE) sind dabei das naheliegendste Beispiel, aber auch zahlreiche Regional-Express-Linien erfüllen eher die Charakteristika von Fernverkehrszügen, kombiniert mit dem „Charme“ einer S-Bahn. Derartige Verbindungen würden überflüssig, da die Kunden die regulären Fernverkehrslinien nutzen können und werden. Entsprechend müsste das RE/IRE-Liniennetz erheblich ausgedünnt werden, zugunsten einer Verstärkung von IC-Linien, gegebenenfalls auch durch neue IR-Linien. Für zahlreiche Fahrgäste verbessert sich ingesamt die Lage: Für Kunden „echten“ Nahverkehrs, d. h. auf Kurzstrecken, würde sich zumeist nichts ändern, lediglich wenige kleine Durchgangsbahnhöfe, die derzeit von RE-Linien angefahren werden, aber keine adäquaten Fernverkehrshalte sind, könnten eine Verschlechterung der Anbindung erfahren. Bestehende Fernverkehrskunden müssen zwar u.U. höhere Zugauslastungen in Kauf nehmen, das verdichtete Fernverkehrsnetz kann dies jedoch kompensieren, kombiniert mit den Vorteilen besserer Anschlussverbindungen durch dichtere Takte. Zahlreiche Nahverkehrskunden könnten erhebliche Zeitvorteile auf mittleren Distanzen erzielen. Als sekundärer positiver Effekt würde eine Vereinheitlichung des Tarifsystems dessen Verständlichkeit erhöhen und den Verwaltungsaufwand reduzieren.

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