PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. Das Thema „Bahnprivatisierung“ soll in diesem Beitrag untersucht werden.

Als nach der Wiedervereinigung auch die beiden staatlichen Eisenbahngesellschaften wiedervereinigt wurden, packte man die Gelegenheit beim Schopf: Die neuentstehende Gesellschaft sollte privatrechtlich organisiert sein, der Schienenverkehrsmarkt liberalisiert werden und – so der Plan – die staatlichen Anteile der neuen DB AG schließlich am Kapitalmarkt verkauft werden. Aus den zwei staatlichen „Beamtenbahnen“ sollte ein effizienter privater Konzern werden, der nicht länger Verluste erwirtschaftete, die von der Staatskasse zu tragen wären. Und die Gründe für diese Entscheidung waren manigfaltig:

Schon die Deutsche Bundesbahn stand im Ruf der Ineffizienz, galt als träge, unflexibel und aus der Zeit gefallen. Schon seit Jahrzehnten klagte die Politik über die hohen Verluste, die vom staatlichen Eigentümer getragen werden mussten. Doch mit der DR, dem ostdeutschen Pendant zur Bundesbahn, gesellte sich ein Unternehmen dazu, dass an Muff, Trägheit und Ineffizienz die Bundesbahn weit in den Schatten stellte. Der technologische Rückstand der DDR und die dort betriebene Beschäftigungspolitik – in westdeutschen Augen Misswirtschaft – hatten die bizarre Situation ergeben, dass die DR, zuständig für das deutlich kleinere Ostdeutschland, mit deutlich weniger Einwohnern und trotz der Stillegungswellen in Westdeutschland kleineren Streckennetz es fertig gebracht hat, mehr Personal als die DB vorzuhalten. Auf beide Bahnen traf gleichermaßen zu, dass sie in Punkto Qualität und Komfort nicht mehr den Ansprüchen der Zeit genügten. U.a. dies führte dazu, dass in Ballungsräumen die Züge hoffnungslos überlastet und auf Nebenstrecken meist leer waren. Die träge Struktur der Behörde schaffte es nicht, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, die zentrale Verwaltung in Nürnberg war weit weg von allen Problemen vor Ort.

Diese Gründe führten zusammen mit einer generellen Privatisierungseuphorie, die vom wissenschaftlichen und politischen Mainstream getragen wurde, zur Bahnprivatisierung. Davon versprach man sich eine durch die Marktkräfte erzwungene Verschlankung, mehr Kundenzugewandtheit und ein Ende der Verluste, die die Staatsbahnen seit Jahrzehnten erwirtschafteten. So wurde nach der Wiedervereinigung der beiden Staaten 1990 im Jahr 1996 die Zusammenführung von DB und DR vollzogen. Ein sinnvolles Projekt, eine Erfolgsgeschichte?

Es ist zunächst grundsätzlich zutreffend, dass ein freier Markt, auf dem zahlreiche Kunden und zahlreiche Anbieter existieren, auf dem vollständige oder zumindest symmetrische Informationen herrschen, keine Externalitäten existieren und der Staat nicht eingreift, zu einem effizienten Ergebnis führt, weil ineffiziente oder überteuerte Anbieter sofort durch günstigere Konkurrenz unterboten würden und deswegen kein Erpressungspotential und keine Monopolstellung existiert. Dies gilt allerdings nur unter den genannten Voraussetzungen, die fast ausnahmslos im Schienenverkehr verletzt sind:

Die Infrastruktur, d. h. das Schienennetz, ist ein natürliches Monopol, da es hochgradig ineffizient (und aus Platzgründen oft auch unmöglich) wäre, dass mehrere Unternehmen parallele Strecken errichten. Auf einem bestimmten Netzabschnitt sollte und wird es daher stets nur einen Anbieter der Infrastruktur geben, was zweifellos das zentrale Argument ist, dass von einem privatisierten Netz keine Effizienzsteigerung zu erwarten ist. Darüber hinaus ist aber auch die Kapazität des Netztes beschränkt, sodass auch die Nutzung einer Trasse zu einem bestimmten Zeitpunkt exklusiv ist. Dies deutet auf eine monopolartige Struktur beim Fahrbetrieb hin, wobei einzuwenden ist, dass durch die Wahl einer anderen Fahrtzeit eine gewisse Substituierbarkeit besteht, sodass Wettbewerb in diesen Grenzen denkbar ist.

Bekannt ist, dass der Schienenverkehr gegenüber dem Straßenverkehr positive Externalitäten hat, da er emissionsärmer, platzsparender und kostengünstiger ist. Während im Fern- und Güterverkehr bei der privatisierten Bahn keine Staatseingriffe vorgesehen sind, ist dennoch Konsens, dass der Nahverkehr umfassende Subventionen benötigt, um trotz externer Effekte eine effiziente Allokation zu erreichen (auf die Unsinnigkeit der Theorie, wonach diese Externalitäten im Güter- und Fernverkehr keine Rolle spielten, sei nur am Rande hingewiesen). Greift der Staat ein, so muss er, um eine effiziente Allokation zu erreichen, die Subvention so wählen, dass die Externalität exakt kompensiert wird. Es ist allgemein bekannt, dass die Wahl der Höhe der Subvention mangels Informationen (oder Berechenbarkeit) im Grunde nicht möglich ist, denn es ist nicht möglich, die externen Effekte des Schienenverkehrs präzise in Geld zu beziffern, auch wenn vielfach Ansätze existieren, eine Annäherung zu erreichen.

Der folglich nötige Eingriff in den Nahverkehr wird vom Staat in der Realität nun so durchgeführt, dass nicht die Ticketpreise subventioniert werden, sondern dass der Staat in Person der Verkehrsverbünde (planwirtschaftlich) festlegt, welche Strecken mit welchen Voraussetzungen betrieben werden sollen. Vielfach übernimmt der Staat dabei auch die Beschaffung und Wartung der Fahrzeuge. Der Fahrbetrieb wird dann ausgeschrieben und an den besten Anbieter vergeben, der dann über einen längeren Zeitraum zur Erbringung der vorher festgelegten Leistung verpflichtet ist. Da Verträge unvollständig sind, d. h. nicht alle möglichen Eventualitäten abdecken können, ergeben sich durch die langfristige Bindung ein Erpressungspotential und fehlende Flexibilität. Der Staat trägt das Risiko der Insolvenz des Betreibers, der Staat kann nicht oder nur schwer Änderungen am Angebot während der Vertragslaufzeit herbeiführen und ist je nach den Lücken der Verträge auch anfällig für deren Ausnutzung. In diesem Markt ergibt sich die Allokation außerdem nicht im Zusammenspiel zwischen Kundennachfrage und Angebot durch die Bahnunternehmen, sondern im Zusammenspiel von Nachfrage durch den Verkehrsverbund (letztich die Politik) und den Bahnunternehmen. Für eine effiziente Allokation sorgt dieser Markt nur zwischen Verbund und Unternehmen, nicht hinsichtlich der tatsächlichen Nachfrage durch die Kunden. Ob auch die Kunden profitieren hängt vom guten Willen der beteiligten Politiker ab.

Angesichts dieser gravierenden Verletzungen der Voraussetzungen für die Effizienz eines freien Marktes ist nicht davon auszugehen, dass eine optimale Allokation durch einen (teil-)privatisierten Schienenverkehr erreicht wird. Trotzdem könnte es sein, dass das Ergebnis noch immer besser als durch eine Staatsbahn ist. Die monopolartige Struktur des Marktes hat zur Folge, dass der Anbieter zusätliche Gewinne auf Kosten der Nachfrager einstreichen kann. Dies gilt für ein privatisiertes Netz, aber auch im Hinblick auf den monopolartigen Besitz von Fahrplantrassen oder den Gewinn einer Ausschreibung über längere Zeit (der Anbieter ist dann, wenn auch im engen Rahmen des Verkehrsvertrags, Monopolist). Zugute käme dies den Kapitalanlegern, nicht jedoch der Allgemeinheit, die im Saldo Einbußen hinnehmen muss. Wäre der Staat der Monopolanbieter, gäbe es, da dieser nicht unter wirtschaftlichen Aspekten handeln muss, drei potentielle Extremfälle und Mischungen zwischen diesen: Der Staat könnte wie ein privater Monopolist Gewinne einstreichen, er könnte damit (wie frührere deutsche Staatsbahnen) einen bürokratischen Wasserkopf durchfüttern oder er könnte im Interesse des Gemeinwohls eine effiziente Allokation umsetzen. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind das sicherlich herausragendste Beispiel dafür, dass Letzteres nicht utopisch sonder möglich ist. Es setzt allerdings voraus, dass die politische und behördliche Führung der Staatsbahn nicht korrupt, unfähig oder faul ist, womit das Ergebnis, ebenso wie im derzeit umgesetzten Ausschreibungsmarkt für Nahverkehrsleistungen, eine Frage von „good governance“, guter politischer/behördlicher Führung, ist. Im Nahverkehr ist dies aber, wie beschrieben, auch in der umgesetzten Form eines Marktes der Fall.

Heute, in 2014, ist der Bund nach wie vor Mehrheitsaktionär des Gesamtkonzerns DB AG, doch der Plan ist nach wie vor ein Börsengang (des Fahrbetriebs). Dass eine Privatisierung des Netzes, die, wie beschrieben, die fragwürdigste der Privatisierungsoptionen ist, tatsächlich durchgeführt wird, ist eigentlich nicht mehr wirklich zu befürchten, ebensowenig wie wirklich gravierende und unmittelbare Folgen eines Börsengangs: Der besonders wichtige Regionalverkehr wird ohnehin staatlich von den Ländern und Verkehrsverbünden geplant. Im Fernverkehr ist jedoch mit der Einstellung einiger Linien zu rechnen. Doch die bereits umgesetzten Schritte der Privatisierung hatten umfassende Maßnahmen zur Folge. Die zahlreichen Stillegungen und Rückbauten im Vorfeld und nach der Privatisierung haben der Qualität der Infrastruktur fraglos geschadet; ob es sich dabei um eine effizienzsteigernde Maßnahme oder um Bilanzverbesserugsmaßnahmen handelte ist dabei umstritten. Fraglos hat das Effizienzstreben einige Schäden hinterlassen und andererseits auch notwendige Erneuerungen angestoßen, bislang allerdings ohne ein als optimal zu bezeichnendes Ergebnis zu erzielen. Erneuerung und ein zufriedenstellendes Gesamtergebnis wären allerdings – die SBB sind das beste Beispiel – auch bei richtiger Administration einer Staatsbahn durchführbar gewesen. Insgesamt jedenfalls machen die Einschränkungen der Kräfte des freien Marktes durch die gegebenen Verhältnisse wenig Hoffnung, dass einst wirklich effizienter Eisenbahnbetrieb stattfinden wird. Die Möglichkeit, Fehlsteuerungen politisch entgegen zu wirken, gibt der Staat jedoch zunehmend auf. Dabei wäre der (demokratische) Staat der Akteur, dem noch am ehesten zuzutrauen ist, dass er auf eine positive Entwicklung hinwirken wollen könnte.

Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. In diesem Beitrag soll nun der dritte Problemkomplex, die seit kurzem im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Infrastrukturprobleme und die zugrundeliegenden Defizite in der Finanzierung des Verkehrs erörtert werden.

Seit Jahren bereits geraten hin und wieder größere und kleinere Probleme mit unserer Infrastruktur in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. Schlaglöcher im Winter, die von klammen Kommunen nicht oder nur notdürftig geflickt werden, Langsamfahrstellen auf Bahnstrecken, die über Jahre hinweg bestehen sind aber, verglichen mit dem, was inzwischen die Gemüter erregt, Petitessen: Störend zwar, aber nichts, was zu ernsthaften Beeinträchtigungen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens geführt hat. Mittlerweile sind die diskutierten Probleme aber in ihren Folgen weitaus gravierender: ca. 5000 Eisenbahnbrücken gelten als so marode, dass sie ersetzt werden müssen. Geschieht dies nicht kurzfristig, drohen Streckensperrungen. In Leverkusen ist – als Sinnbild für den Zustand zahlreicher Autobahnrücken ihres Alters – eine 6-spurige Autobahnbrücke über den Rhein für LKWs gesperrt und die Höchstgeschwindigkeit für PKWs reduziert worden. Rheinbrücken sind jedoch rar, vor allem solche mit der Kapazität einer Autobahn, sodass die Brücke bundesweite Aufmerksamkeit erfuhr. Und im Ruhrgebiet, insbesondere im Raum Duisburg, ist die Stellwerkstechnik des U- und Straßenbahnnetzes am Ende ihrer Lebenszeit angekommen. Ein Ersatz ist nicht in Reichweite, und bereits ohne derartigen Finanzaufwand sind die Stadtwerke Mülheim so klamm, dass bereits der Verkehr auf einem Teilstück einer Straßenbahnlinie aufgegeben werden musste. Das, was jedem aufmerksamen Beobachter schwante, scheint nun Wirklichkeit zu werden: Die chronische Unterfinanzierung scheint nun, mit der bei langfristigen Investitionen üblichen Zeitverzögerung, sichtbare Folgen für die Lebensqualität zu haben.

Diese Entwicklung ist mittelbar Folge der Sparpolitik, die mit dem Regierungswechsel von 1982 eingeleitet wurde. Es klingt zwar weit hergeholt, dass Entscheidungen, die mittlerweile 32 Jahre zurückliegen, erst jetzt Konsequenzen zeigen; bedenkt man jedoch den langen Zeithorizont, der bei Infrastrukturprojekten zu betrachten ist, ist es doch erklärlich: Die Regierungen vor 1982 haben, auch als Nebenwirkung ihrer Konjunkturpolitik, gigantische Infrastrukturinvestitionen vorgenommen. Zahlreiche Verkehrsbauwerke, insbesondere die erwähnten Autobahnbrücken und die Stellwerkstechnik, stammen aus den 60er und 70er Jahren. Will man vermeiden, plötzlich unvorstellbare Summen und unvorstellbaren Aufwand treiben zu müssen, so sollte über die Zeit hinweg stetig Geld in neue Investitionen fließen, sodass rechnerisch die Abschreibungen auf die Altinvestitionen kompensiert werden. Nun sind jene Bauwerke aus den 60ern und 70ern am Ende ihrer Lebenszeit angelangt. Da jedoch über mehr als 30 Jahre die Investitionstätigkeit des Staats massiv eingeschränkt war, steht nun für die veraltete Infrastruktur kein Ersatz bereit, wie er entstanden wäre, wenn die damalige Investitionspolitik fortgeführt worden wäre. Die glücklicherweise hohe Lebensdauer der besthenden Infrastruktur hat zur Folge, dass der Verschleiß zur tickenden Zeitbombe wurde. Ohne sichtbare Nebenwirkungen konnten sich über 30 Jahre hinweg Regierungen so höchst fragwürdige Einsparungen erzielen, um ihrem selbstauferlegten Ziel von Haushaltsdisziplin zu folgen. Diese als gerecht gegenüber kommenden Generationen proklamierte Politik fällt der inzwischen gekommenen Generation auf die Füße, die das Problem bislang an die nun kommende Generation weiterzureichen versucht. Opfert man die Infrastruktur, um die Schulden für die kommende Generation zu reduzieren, ist das jedoch keine Verbesserung – wie man jetzt sieht: Den (möglicherweise) geringeren Schulden steht auch (definitiv) weniger Vermögen in Form von Infrastruktur gegenüber.

Wie bereits eingangs geschildert, sind erste Symptome der sich anbahnenden Infrastrukturkrise schon seit Jahren sichtbar (und seit 32 Jahren absehbar). Um die Staatshaushalte zu verschlanken, verschrieb sich die Politik der Privatisierung diverser staatlicher Monopole, vor allem Bundespost und Bundesbahn. Die Deutsche Bundesbahn wurde im Zuge der Fusion mit der Deutschen Reichsbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die seitdem nur noch insoweit staatlich ist, als das letzterer alleiniger Besitzer ihrer Aktien ist. Die Veräußerung der Aktien, der Börsengang der DB AG, wurde bislang nicht vollzogen, doch die meisten Monopole, die die DB zuvor besaß, wurden aufgehoben: Das Netz ist als natürliches Monopol noch immer weitgehend in Besitz der DB AG. Der Betrieb wird allerdings in vielen Fällen von „privaten“ Betreibern durchgeführt: Im Güterverkehr konkurriert die DB mit unzähligen anderen Unternehmen. Im Fernverkehr existiert in geringem Umfang mittlerweile private Konkurrenz. Und im Nahverkehr wird der Betrieb nun über Ausschreibungen vergeben, bei denen das bestbewertete/günstigste Angebot gewinnt. Zugleich wurde, wie erwähnt, der Fernbusmarkt geöffnet, sodass die Bahn im Fernverkehr nun auch mit einem anderen Verkehrsmittel konkurriert. Der in allen Bereichen erfolgte Einstieg privater Betreiber – trotz der oft der DB unterstellten unlauteren Wettbewerbsmethoden – zeigt: Es sind in nennenswertem Umfang Gewinne zu erwirtschaften. Diese Gewinnaussichten hat der Staat nicht verkauft, sondern verschenkt. Diese Mittel werden damit allerdings der Verkehrsinfrastruktur entzogen (auf die Vor- und Nachteile und den Aspekt ökonomischer Effizienz wird an späterer Stelle noch eingegangen).

Neben dem Geld gibt der Staat auch seine Entscheidungshoheit auf. Allerdings hat die Gewinnmaximierung des Gesamtkonzerns bereits zu einem systematischen Infrastrukturrückbau geführt, der schon im Vorfeld der Privatisierung begonnen und nach 1994 noch 10 Jahre mit großem Elan fortgeführt wurde. Bleibt die DB Netz AG in staatlicher Hand, könnte die Politik, mit mehr oder weniger Aufwand und dem Umweg über den Aufsichtsrat einen Politikwechsel erzwingen. Veräußert man jedoch die Anteile an diesem Unternehmen, würde diese Einflussmöglichkeit entfallen.

Vorwiegend im Straßenverkehrsbereich wurden und werden hingegen beim Betrieb der Infrastruktur öffentlich private Partnerschaften (ÖPP) eingegangen. In diesem Konzept vergibt der Staat den Betrieb einer Einrichtung, beispielsweise einer Autobahn, an ein privates Unternehmen. Dieses erhält dafür Geld oder darf Gewinne abschöpfen. Grundidee ist, dass der Staat das Geld für die Anfangsinvestition nicht aufbringen muss (und damit keinen Kredit aufnehmen muss), dafür allerdings dann über einen längeren Zeitraum auf Einnahmen verzichten muss. Es handelt sich damit insgesamt um ein Substitut für einen Kredit. Allerdings sind die Zinsen für private Unternehmen deutlich höher als für den Staatshaushalt, sodass der Staat bei ÖPP mittelbar diese höhere Zinslast tragen muss. Deswegen sind ÖPP-Projekte schon in der Theorie teurer als rein staatliche Finanzierung. Praktisch kommt dazu, dass zahlreiche ÖPP-Projekte zu veritablen Katastrophen ausgeartet sind. Die Vergabe des Betriebs des LKW-Maut-Systems an die Firma Toll Collect ist nur ein Beispiel, wo erhebliche Verzögerungen bei der Betriebsaufnahme und entsprechende Einnahmeverluste auftraten. Das Risiko ist bislang beim Staat verblieben, die zwar enorm umfangreichen aber anscheinend mangelhaften Verträge ließen es bislang offenbar nicht zu, Regress zu verlangen, stattdessen werden seit 2005 Rechtsstreitigkeiten zwischen Bund und Toll Collect ausgetragen. Vielfach argumentieren die Politiker, die vorgeben, die Nachteile von ÖPP zu verstehen, dass man zwar höhere Kosten zu tragen habe, der Staat aber andernfalls auf die Investition vollständig verzichten muss, da keine Gelder im Staatshaushalt vorgesehen seien, d. h. keine Schuldenaufnahme möglich sei. Das mag stimmen, aber diese Schuldenbremse hat sich die Politik ohne gute Argumente selbst auferlegt. Wer Vermögen aufbauen will, muss investieren und dazu Schulden aufnehmen, das ist die grundlegende Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems.

Politisch gewollt wurden der Verkehrsinfrastruktur damit über 30 Jahre hinweg systematisch Gelder entzogen, was inzwischen Konsequenzen für das öffentliche Leben hat. Die politische Mehrheit hat es jedoch bislang nicht geschafft, die richtigen Schlüsse zu ziehen oder wenigstens eine zutreffende Ursachenanalyse zu erstellen, obwohl nicht einmal das vorgeschobene Ziel, die Staatsverschuldung zu reduzieren, über die letzten Jahrzehnte auch nur in Reichweite geraten ist. Tatsächlich sind die bisherigen politischen Entscheidungen nicht geeignet, auch nur einem Problem, sei es der Staatsverschuldung oder der Infrastrukturmisere Rechnung zu tragen. Doch als natürliches Monopol mit hohen externen Effekten kann die Verkehrsinfrastruktur letztlich nur vom Staat getragen werden, sodass die Lösung für die Infrastrukturkrise auf der Hand liegt: Mehr staatliche Investitionen. Allerdings liegt auf der Hand, dass es Jahrzehnte dauern wird, 30 Jahre Unterinvestition zu kompensieren.

Der öffentliche Verkehr leidet unter Staus, Lärm, Überfüllung, fehlender regionaler Anbindung, Unzuverlässigkeit und diversen weiteren Problemen. In der Serie „Verkehrspolitik“ möchte ich diese näher untersuchen und Vorschläge machen, wie sie in den Griff zu kriegen sind. In diesem Beitrag soll nun der zweite Problemkomplex, die zunehmende Benutzung von Individualverkehrsmitteln, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Nach dem mit der Eisenbahn ab 1835 zunächst ein Massenverkehrsmittel seinen Siegeszug in Deutschland angetreten hat, ist in der Nachkriegszeit eine vollständige Umkehr der Verhältnisse festzustellen: Die einst 35 % der Eisenbahn am Verkehrsaufkommen (1950, alle öffentlichen Verkehrsmittel: > 60 %) sind dem heutigen Anteil von ca. 80 % des Autoverkehrs gewichen. Dabei ist zwar die absolute Zahl der Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel recht konstant geblieben, während die Ausweitung des Verkehrs ansich nahezu ausschließlich dem Individualverkehr zuzurechnen ist. Für den Einzelnen mögen Massenverkehrsmittel zuweilen unbequemer sein; zwar muss man sich als Fahrgast nicht um die Steuerung des Verkehrsmittels kümmern, muss aber Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Fahrgäste nehmen, indem man den verfügbaren Platz mit ihnen teilt, umsteigen und bis zur Abfahrtszeit warten muss. In vielen Fällen hat dies auch höhere Fahrtzeiten zur Folge. Gesellschaftlich sind Massenverkehrsmittel allerdings deutlich platzsparender, leiser und umweltschonender. Deswegen ist die dargestellte Entwicklung aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht positiv zu bewerten. Neben den dargestellten grundsätzlichen Nachteilen öffentlicher Verkehrsmittel haben jedoch auch verkehrspolitische Entscheidungen zu dieser Entwicklung beigetragen. Dem in Ballungszentrum gestiegenen Transportvolumens öffentlicher Verkehrsmittel lief die Stillegung unzähliger Nebenbahnen entgegen. Die Anstrengungen der Politik, diese zu retten (die es gab, beispielsweise durch die Entwicklung des „Schienenbus“ oder des Citybahn-Konzepts), haben sich letztlich nicht als ausreichend erwiesen. Zugleich litt die Attraktivität des Schienenverkehrs vor allem im zeitlichen Umfeld der Bahnprivatisierung an einem Investitionsstau beim Fahrzeugmaterial. Die schon seit Ende der 1970er unklare künftige Firmenpolitik verzögerte manche Neuentwicklungen (bei der Entwicklung des Nebenbahntriebwagen der Baureihe 628 vergingen deswegen zwischen Prototypen- und Serienfertigung 11 Jahre) und die neue Konzernführung konnte durch „Fahren auf Verschleiß“ zunächst die nunmehr wichtigen Bilanzergebnisse verbessern. Veraltetes und heruntergekommenes Rollmaterial senkte die Attraktivität des Angebots zusätzlich und führte rasch dazu, dass die frühere Werbung der Bahn mit ihrer Zuverlässigkeit („Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“) zu einem schlechten Scherz verkam.

Diese Entwicklung gilt ebenso für den Güterverkehr. Dieser verlagerte sich in erheblichem Maße von der Schiene auf die Straße, auf der die Beförderung in kleineren Fuhren erfolgt. Insbesondere der Stückgutverkehr auf der Schiene wurde 1998 eingestellt, nachdem das Aufkommen über Jahre hinweg drastisch weggebrochen ist (obwohl durch das Aufkommen standardisierter Container dessen Attraktivität grundsätzlich deutlich gestiegen ist). Die Einstellung des Stückgutverkehrs durch die DB AG war Folge und nicht Ursache des Rückgangs. Allerdings trug die DB AG 2003 mit ihrem Programm „MORA C“ trotzdem einen Großteil zu der Entwicklung bei, als die Preise für die Bedienung zahlreicher Gleisanschlüsse kleinerer Unternehmen fast über Nacht drastisch stiegen und damit unbezahlbar wurden. Damit brachen dem Schienengüterverkehr, zusammen mit der Stillegung der oftmals bis zum Schluss noch im Güterverkehr betriebenen Nebenbahnen, elementare Teile der Infrastruktur weg. Auch die Deutsche Post AG, eines der größten Logistikunternehmen Deutschlands, vormals wie die Deutsche Bahn ein staatliches Unternehmen, entschied sich 1997, den Posttransport von der Schiene auf die Straße zu verlegen (diese Entscheidung wurde drei Jahre später allerdings teilweise revidiert). Als Anlass gilt hier, dass die DB außerstande gewesen sei, hinreichend attraktive Fahrtzeiten anzubieten. Ein weiteres Indiz für infrastrukturelle Probleme, allerdings ist hier insbesondere die zeitliche Koinzidenz zwischen dieser unternehmerischen Entscheidung und der Privatisierung auffallend, da zwei unabhängige privatisierte Unternehmen weniger Interesse an Zusammenarbeit haben als zwei Staatliche (auf Details wird in einem späteren Beitrag zur Reihe noch eingegangen). Neben der allgemeinen Entwicklung, dem Trend, Waren auf der Straße zu transportieren, ergab sich insgesamt ein unheilvolles Zusammenspiel zwischen dem Wegbrechen der Infrastruktur (mit entsprechenden Wechselwirkungen zum Personenverkehr) und der Privatisierung diverser Staatsunternehmen, insbesondere der DB AG, dass wesentlich zu diesem Wandel beigetragen haben dürfte.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich die Betrachtung bisher und im Folgenden auf den Vergleich zwischen individuellem Straßenverkehr und den Massenbeförderungsmitteln im Schienenverkehr konzentriert, da die Entwicklung hier am markantesten verlief. Schienenvekehr ist stets ein Massenbeförderungsmittel; im Straßenverkehr sind individueller und öffentlicher Verkehr gemischt. Dabei gilt der Schienenverkehr unter den Massenbeförderungsmitteln in punkto Leistungsfähigkeit, Umweltverträglichkeit und Komfort als vorteilhaft. Deswegen muss noch auf folgende verkehrspolitische Entwicklungen hingewiesen werden: In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche Straßenbahnlinien entweder zu U-Bahnen weiterentwickelt oder zu Buslinien zurückentwickelt. Mit den jüngsten Entwicklungen in Mülheim hat der Trend zur Rückentwicklng, den man zuvor eigentlich als „abgehakt“ betrachten konnte, einen neuen Schub erhalten. Außerdem wurde 2013 im Fernverkehr durch eine Gesetzesnovellierung der Rahmen für einen privatwirtschaftlichen Fernbusmarkt geschaffen. Dieser hat sich inzwischen stark entwickelt, allerdings bislang in ruinöser Konkurrenz. Die Fahrgastgewinne der Fernbusanbieter dürften dabei – angesichts deutlich günstigerer Fahrpreise (bei längeren Fahrtzeiten) – zu großen Teilen auf Kosten der Bahn gegangen sein. Die parallel entstandene Konkurrenz zur DB Fernverkehr auf der Schiene (z. B. der HKX) scheint bisher unwirtschaftlich zu sein, trotz der erheblich geringeren Zahl an Konkurrenten und des recht teuren Monopolanbieters DB Fernverkehr. Es existiert daher, neben dem Wechsel von Massen- zu Individualverkehrsmitteln auch ein Trend zur Wahl der als ungünstiger anzusehenden Straßenverkehrsmittel.

Diese Entwicklungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Öffentliche Verkehrsmittel – vorwiegend auf der Schiene – haben gegenüber dem Individualverkehr auf der Straße deutlich an Bedeutung verloren. Neben der technologischen Entwicklung und gesellschaftlicher Trends zum Individualverkehr sind zahlreiche politische Einflussfaktoren festzuhalten, die diese Entwicklung nicht gebremst, sondern gefördert haben: Politische Entscheidungen über Investitionen zugunsten von Straßenverkehrsmitteln, die Privatisierung des Schienenverkehrs und die Liberalisierung der Verkehrsmärkte.

Aus diesen politischen Fehlern ergeben sich auch die Ansätze zur Lösung: Die Attraktivität des Angebots muss gegenüber dem Individualverkehr steigen. Abermals heißt dies, dass das Angebot der Bahn in der Fläche verbessert werden muss. Dabei sind Ansätze zur Vernetzung von Indidividualverkehr und öffentlichem Verkehr, beispielsweise durch Park&Ride-Angebote gerade in ländlichen Umgebungen, wo der Abstand zu Haltestellen von Bus und Bahn oft groß ist, von großer Bedeutung. Hierdurch können die „von Tür zu Tür“-Fahrtzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich verbessert werden und dadurch zumindest ein Großteil der Wegstrecke auf den öffentlichen Verkehr umgeleitet werden. Es ist weiterhin dringend geraten, die Privatisierung der Bahn zurückzunehmen, da ein erhebliches öffentliches Interesse an Nah- und Fernverkehr, Personen- und Güterverkehr auf der Schiene besteht. Da externe Effekte, die in der privatwirtschaftlichen Rechnung keine Rolle spielen, große Bedeutung für dieses Interesse haben, kann privatwirtschaftlich ohne hohen Subventions- und Lenkungsaufwand keine effiziente Allokation erzielt werden. Insbesondere sei auch angeraten, die Trennung von Nah- und Fernverkehr aufzuheben, um eine kapazitative Entlastung entlang der Hauptstrecken zu erzielen und die Fahrtzeiten der Kunden zu verkürzen. Dieser Schritt ist gegenwärtig nicht denkbar, da der Fernverkehr (auf Straße und Schiene) privatwirtschaftlich erfolgt, während der Nahverkehr in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ist. Auf die Wirkung eines solchen Schritts möchte ich in einem späteren Beitrag zur Reihe noch genauer eingehen. Die Politik, insbesondere auf kommunaler Ebene, muss den Fokus darauf legen, dass bei der Erschließung von Flächen eine Schienenverkehrsanbindung hergestellt wird – auch bei Gewerbegebieten, da ohne diese Infrastruktur LKW-Transport alternativlos ist. Es ist zu erwägen, ob hier, insbesondere bei Bestandsflächen, kombinierter Verkehr (d. h. Transport auf der Straße bis zur nächsten Verladestelle), gegebenenfalls in Form einer Wiederaufnahme des Stückgutverkehrs, eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Entscheidung sein kann. Schließlich sollte auch die Verteilung der vorhandenen Gelder zwischen Individual- und Massenverkehrsmitteln neu überdacht werden. Der Staat sollte sich im Sinne einer effizienten Steuerung des Marktgeschehens darauf konzentrieren, diejenigen Verkehrsmittel zu fördern, die gegenüber anderen positive(re) externe Effekte aufweisen – d. h. Massenverkehrsmittel.

Im nächsten Abschnitt soll dann die aktuell im Mittelpunkt der Diskussion stehende Infrastrukturmisere als Symptom der dritten großen Fehlsteuerung untersucht werden.

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