PKEuS' Blog

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In den letzter Zeit hören wir viel von Entlastungspaketen. Wir sind mittlerweile so entlastet, dass wir eigentlich schweben können müssten. Aber wie teuer ist das ganze eigentlich? Der Tankrabatt für die drei Monate kostet 3,15 Mrd. €. Für das 9-Euro-Ticket werden die Kosten auf 2,5 Mrd. € veranschlagt. Beides sind nur Schätzungen, genauere Angaben gibt es m.W. bisher nicht, und entspricht 1,9 Mrd. € pro Monat, oder, auf ein Jahr gerechnet, 4,6 % des Bundeshaushalts. Die Abschaffung der EEG-Umlage soll 6,6 Mrd. € kosten, damit dürften die Kosten für das zweite Halbjahr 2022 gemeint sein. Das sind, auf ein Jahr gerechnet nochmal 2,7 % des Bundeshaushalts. Und das waren nur die Maßnahmen, die im vorherigen Artikel zur Inflation angesprochen wurden; die Liste ist viel länger, und wird bei der Schlagzahl der Regierung auch noch länger werden.

Droht also der Staatsbankrott? Eher nicht. Zwar ist die Bundesregierung selbst nicht in der Lage, sich Euros zu drucken, die EZB aber schon, und die tut es bereits, wenn sie Staatsanleihen diverser Euroländer aufkauft. Die Bundesregierung kann also in Euro denominierte Staatsanleihen ausgeben und wird, wenn sonst keiner mehr möchte, noch immer in der EZB einen Abnehmer finden. Nur in Verbindung mit einer Hyperinflation ist eine tatsächliche Staatspleite denkbar und dann auch weniger im Sinne eines Zahlungsausfalls auf Staatsanleihen, da ich bezweifle, dass die Euroländer nennenswerte Verbindlichkeiten in bspw. US-Dollar haben, sondern einem Zahlungsausfall beim Bezahlen von Importen in Fremdwährungen – diese werden aber üblicherweise nicht durch den Staat bezahlt.

Wie steht es denn mit einer Hyperinflation? Für Inflation an sich ist doch schon gesorgt. Allerdings sind die bisher erreichten Raten zwar für deutsche Verhältnisse hoch, im internationalen und historischen Vergleich aber eher nicht. Italien beispielsweise hatte in den 70er- und 80er-Jahren 10 Jahre lang durchgehend zweistellige Inflationsraten, ohne dass es zu einer Hyperinflation kam. Zweistellige Inflationsraten sind, um es deutlich zu sagen, kein Grund, zu hyperventilieren. Und sie alleine können auch kein Massenelend auslösen.

Vielfach wird angenommen – der Grundidee des Monetarismus folgend – eine extreme Erhöhung der Geldmenge sei die Ursache für extreme Inflation. Bildlich gesprochen: Viel mehr Geldscheine stehen einer gleich gebliebenen Menge an Kartoffelsäcken gegenüber, damit ist das Geld ggü. den Kartoffeln weniger wert, sodass die Preise steigen – und zwar genau in dem Verhältnis, wie die Geldmenge gestiegen ist. Die Theorie ist aber empirisch nicht stichhaltig, denn die Geldmenge ist bspw. in den USA ab 2007 extrem und sprunghaft gestiegen, ohne dass starke Inflation entstanden wäre. Geld ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Der wesentliche Fehler des Monetarismus ist, dass Geld, wenn es bloß irgendwo abgelegt, aber nicht ausgegeben wird, keine Inflation bewirken kann. Dafür kann Inflation auch ohne Veränderung der Geldmenge geschehen, z.B. wenn die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erhöht wird (also derselbe Geldschein häufiger im Jahr seinen Besitzer wechselt), oder bislang ungenutzte Guthaben in Umlauf gebracht werden. Und es geht noch weiter: Inflation kann auch ohne monetäre Ursache entstehen, wenn z.B. die die Güterproduktion sinkt, weil Energie knapp wird. Dann stellen sich an allen Märkten höhere Preise bei geringeren Mengen ein, und dann ist die allgemeine Preiserhöhung nur die technische Seite eines wirklichen Problems: Geringere Mengen bedeuten weniger Wohlstand.

Der Schlüssel zum Geheimnis der Hyperinflation ist also keine technische Anpassung der Geldmenge, sondern das Verhalten der Menschen; mithin ein Thema, das von ökonomischen Zwängen und psychologischen Effekten abhängt. Der zuletzt beschriebene Mechanismus ist der der sich primär aktuell vollzieht: Energie (und Corona-Lieferketten-bedingt noch einiges andere) ist knapp und damit teuer geworden. Die Produktion sinkt, außerdem werden die höheren Erzeugerpreise langsam durchgereicht. Je nach Elastizit der Nachfrage sinkt diese und es stellt sich ein neues Marktgleichgewicht ein, oder es entstehen Ungleichgewichte (was hartgesottene neoklassische Ökonomen eisern leugnen würden), und die Preise pendeln sich auf höherem Niveau ein. Da Energie Input von fast allem ist, passiert das auf fast allen Gütermärkten, sodass auch das allgemeine Preisniveau steigt. Aber: Egal wie hoch der Anstieg ist, es ist keine Hyperinflation, sondern ein einmaliger Sprung; die Inflationsrate würde anschließend wieder Richtung Null fallen. Der von mir geschätzte Prof. Heiner Flassbeck vertritt diese These.

Ich halte die These allerdings für gewagt. An den Märkten für lebensnotwendige Güter – Nahrungsmittel und Energie – sind Angebot und Nachfrage so unelastisch, dass die Marktmechanismen nicht wie gewohnt funktionieren. Da zunächst mindestens am Energiemarkt das Angebot unterhalb der Nachfrage liegt (infolge von Düngemittelknappheiten vielleicht später auch bei Nahrungsmitteln), ist ein Markt außerhalb eines Gleichgewichts. Die unelastische Nachfrage bedeutet, dass die Leute ihre finanziellen Ersparnisse locker machen, um Strom und Gas zu kaufen. Solange sie es irgendwie können, werden sie jeden Preis zahlen. Ähnliches gilt auch für jene Industrien, deren Anlagen bei Stilllegung zerstört würden. Damit kann das Preisniveau am Energiemarkt nicht nur im gewohnten Maße steigen, sondern bis genug Abnehmer finanziell ausgeblutet sind – naheliegenderweise die Schwächsten zuerst. Die Regierung stützt diese aber aus gutem Grund (damit wären wir wieder bei den Entlastungspaketen); solange sie das tut (Geld druckt), liefert sie aber dem Preisanstieg im Energiebereich weitere Munition.

Eine Hyperinflation beschreibt jedoch einen schnellen, selbstverstärkenden Prozess; der Begriff „galoppierende Inflation“ ist etwas sprechender. Der Prozess kommt dadurch in Gang, dass die Menschen erwarten, dass das Geld bereits in der Zeitspanne, die sie sich üblicherweise nehmen, um es auszugeben, signifikant an Wert verlieren wird. Da Gehaltszahlungen üblicherweise monatlich erfolgen, und dieses Geld dann zu großen Teilen innerhalb eines Monats ausgegeben wird, reden wir hier also eher von monatlich statt jährlich zweistelligen gefühlten bzw. erwarteten Inflationsraten. Die Menschen versuchen dann, ihr Geld schnellstmöglich loszuwerden, damit steigt die Nachfrage. Sie versuchen auch, ihr Geld in Devisen, Gold oder begehrte Tauschobjekte umzutauschen. Während normalerweise eine Bezahlung in Geld statt in Naturalien attraktiv ist, weil Geld universell einsetzbar ist, wird nun Bezahlung in Geld ausgesprochen unattraktiv. Wenn sie doch in Geld bezahlt werden, verlangen sie viel davon, um absehbare Kaufkraftverluste zu kompensieren; Preise und Löhne steigen rasch. Der Staat, der nicht in Naturalien zahlen kann, ist gezwungen, das erforderliche Geld zu drucken, weil ihm die Möglichkeit der Kreditaufnahme am Markt versperrt ist: Anleihen in Inlandswährung will keiner haben, weil die Rückzahlungen als wertlos gesehen wird, und Anleihen in Auslandswährungen sind unverkäuflich, da niemand glaubt, dass er in der Lage sein wird, diese in Auslandswährung zu begleichen. Seine Inlandswährung kann er zwar drucken, aber nicht mehr in Auslandswährung umtauschen, da sie als wertlos erachtet wird. Da Leistungsbilanzüberschüsse einen Aufwertungsdruck auf die eigene Währung ausüben, bieten sie einen gewissen Schutz gegen diesen Effekt. Der (kritikwürdige) deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist im ersten Halbjahr jedoch recht abrupt implodiert.

Sind die Voraussetzungen für eine Hyperinflation erfüllt? Noch nicht. Geldmenwachstum haben wir zwar, tatsächlich wächst aber in Euroland bisher nur die Geldbasis (M0) in außerordentlichem Maße (anders als übrigens in den USA). Das ist die Folge der Staatsanleihenkäufe der EZB und offenbar haben die Geschäftsbanken das dabei erworbene Guthaben bisher kaum in Umlauf gebracht. Das mag man als Quelle für künftiges Wachstum der Geldmenge (M1 bis M3) sehen, ist aber faktisch nicht so bedeutend, da Geschäftsbanken selber Geld schöpfen können. Die Bedingung „Geldmenge“ mag man also jedenfalls als erfüllt ansehen. Die Lohn-Preis-Spirale hingegen hat sich bisher nicht gebildet, tatsächlich kommen die Lohnerhöhungen erst sehr langsam jetzt in Bewegung; der Lufthansa-Tarifabschluss neulich war der erste relativ hohe Abschluss (oberhalb der Wahrnehmungsschwelle). Von einem Aufschaukeln kann angesichts der bisherigen Zahlen keine Rede sein.

Einzig zwei Umstände bergen ein akutes Risiko extremer Inflation: Erstens, wenn wir eine massive Energiemangellage im kommenden Winter bekommen und Industrien geschlossen werden, bricht unsere Produktion zusammen. Enorme Ausgaben zur Finanzierung der multiplen Krisen kennt unser Staat zwar schon, dessen Refinanzierung bislang stabil geblieben ist. Dass sie einen zweiten, diesmal zulasten Europas asymmetrischen Schock überstehen würde, bezweifle ich jedoch: Ohne Produktion fehlt der Eurozone ihre Devisenquelle, die zur Finanzierung der Importe insbesondere von Energieträgern notwendig ist. Während die Preise durch die Knappheiten explodieren und das Zahlungssystem zusammenbricht, lassen sich mit den vorhandenen Devisen- und Goldreserven die ansteigenden Importe noch für eine Zeit überbrücken, bis sich eine Zahlungsunfähigkeit einstellt. Zweitens, durch unsere Inflationsangst wäre bei uns Deutschen risikoverstärkend zu vermuten, dass wir schon bei vergleichsweise niedrigen Inflationsraten das Vertrauen in unsere Währung verlieren könnten.

Gegenwart