PKEuS' Blog

über Welt-, Politik- und Wirtschaftsgeschehen

Am 26.09.2021 wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Doch diese Bundestagswahl ist gewissermaßen die Längste aller Zeiten: Angesichts von Corona werden mehr Briefwahlstimmen denn je erwartet, die bereits seit Wochen abgegeben werden können. Damit ist unklar, welchen Zeitstempel das durch die Wahl eingeholte Stimmungsbild hat, bzw. welchen Einfluss der Wahlkampfendspurt überhaupt auf das Ergebnis haben kann. Die Umfrageinstitute sind daher wirklich nicht zu beneiden. Im letzten Artikel vor der Wahl soll trotzdem eine Prognose gewagt werden: Wie setzt sich der neue Bundestag zusammen? Wer wird Bundeskanzler? Welche Entwicklung nimmt das von seinen Politikern zerstörte Deutschland?

Für die Unionsparteien erwarte ich ein desaströses Ergebnis von 24 % – das schlechteste Wahlergebnis von CDU/CSU aller Zeiten, und dennoch deutlich oberhalb der Umfragen. Der Abgang der Kanzlerin, das mediale Sperrfeuer gegen Armin Laschet und die schlechte Politik der CDU der letzten Jahrzehnte werden zwar Wirkung zeigen, dennoch ist das Beharrungsvermögen der CDU-Wähler groß. Die CSU wird – trotz des vermeintlich besseren Kandidaten Markus Söder – ebenfalls ein Debakel in Bayern einfahren. Davon haben wir dann alle was, nämlich voraussichtlich ca. 900 Abgeordneten im Bundestag. Diese entstehen, wenn die CSU ein schlechtes CSU-Zweitstimmenergebnis einfährt, aber dennoch alle oder fast alle Direktmandate gewinnt.

Die SPD feiert eine kleine Wiederauferstehung mit 23 %, nachdem man bis vor einem halben Jahr eher von dem halben Ergebnis ausgehen musste. Sie wird zweitstärkste Kraft, weil sie es geschafft hat, den Amtsbonus der Kanzlerin auf den Vizekanzler Scholz zu übertragen, und stattdessen die Partei-Co-Vorsitzende Esken zu verstecken. Für SPD-Verhältnisse wäre ein solches Ergebnis ein großer Sprung nach vorne, der großen Jubel in der Partei auslösen wird. Gleichwohl ist das nur ein Strohfeuer: Inhaltliche Gründe tragen die Wahlentscheidung hier nicht: Die Wähler sind zum einen Teil aussterbende SPD-Dauerwähler, und zum anderen Teil Menschen, die von dem Hype um Scholz als geringstes Übel irgendwie dazu gebracht wurden, die SPD zu wählen.

Für die Grünen wird es nur für Platz 3 reichen: 16 %. Die Partei der Klimaschützer, Identitätspolitiker und Gender-Wahnsinnigen fährt damit eine klare Niederlage ein, obwohl sie ihr Ergebnis von 2017 fast verdoppelt. Das Potential aus der aktuellen Situation heraus war jedoch weitaus größer und wurde großteils durch Annalena Baerbocks Kanzlerkandidatur zunichte gemacht. Die Partei muss sich fragen, warum niemand rechtzeitig erkannt hat, wie ungeeignet Frau Baerbock für die Spitzenkandidatur war.

Die Linkspartei kommt noch auf 5 %, knapp über der 5-Prozent-Hürde. Das Ergebnis bedeutet möglicherweise das Ende der Partei, die ihre prominentesten Zugpferde härter bekämpft als den politischen Gegner und sich ansonsten bis zur Unkenntlichkeit an die Grünen angebiedert hat. In der Coronakrise blieb sie unsichtbar, was für die Partei, ein geheimer Quell der „No-Covid“-Idioten, fast noch ein Glück war. Gleichwohl – die Partei, die immer am Erbe von DDR und SED zu tragen hat, hat die große Gelegenheit, ihren Wandel zu einer Bürgerrechts- und Demokratiepartei zu untermauern, nicht versäumt, sondern regelrecht ausgeschlagen. Ein schlechtes Ergebnis könnte die Partei entlang des tiefen Grabens zwischen den Sozialisten alter Tradition und den Identitätslinken zerbrechen lassen, wenn etwa in Sarah Wagenknecht die Erkenntnis reifen sollte, dass mit dieser Partei „kein Staat zu machen ist“.

Die FDP wird viertstärkste Kraft mit 13 % und die AfD knapp dahinter mit 12 %. Während die FDP ihr Wählerpotential durch eine Mischung aus Wirtschaftsliberalismus und der von Wolfgang Kubicki vertretenen Kritik an den Grundrechtseinschränkungen damit ausschöpft, bleibt die AfD trotz der Steilvorlage „Coronakrise“ erstaunlich blass. Die Freien Wähler schöpfen auch aus dem Potential der Corona-Kritiker, werden aber mit 4 % und ohne Direktmandate den Bundestag verfehlen. Für die Sonstigen bleiben dann rechnerisch 3 %, das meiste davon entfällt vermutlich auf „Die Basis“ als genuine Anti-Coronamaßnahmen-Partei.

Damit wäre entweder eine Dreierkoalition notwendig – Schwarz-Grün-Gelb, Rot-Rot-Grün oder Rot-Grün-Gelb – oder wieder eine Große Koalition. Eine Minderheitsregierung halte ich für nahezu ausgeschlossen, eine Zusammenarbeit zwischen SPD und FDP zumindest unwahrscheinlich, Rot-Rot-Grün, so es dafür reicht, unrealistisch, sodass die Jamaika-Variante unter Kanzler Laschet die wahrscheinlichste Option ist, sogar, wenn die CDU hinter der SPD landen sollte. Markus Söder würde sich dabei für den von ihm insgeheim erhofften Sturz Laschets im Hintergrund bereit halten. Friedrich Merz wird Wirtschaftsminister, Christian Lindner Finanzminister und Annalena Baerbock könnte Außenministerin werden. Das Verkehrsministerium geht an die Grünen, z.B. Robert Habeck, dafür behält die geschrumpfte CSU das Innenministerium.

Alle angesprochenen Koalitionen würden den autoritären Corona-Kurs fortführen. Mit dem Wegfall Merkels als Scharfmacherin dürfte die Jamaika-Koalition dabei aber tendenziell moderater vorgehen als die bisherige Regierung oder andere denkbare Koalitionen. Sie ist damit das kleinere Übel, jedenfalls solange Laschet Kanzler ist. Wesentliche Impulse in anderen Politikfeldern sind dagegen nicht zu erwarten – wie auch, wo sich die für Koalitionen in Frage kommenden Parteien – am wenigsten noch die Linke – in diversen wesentlichen Fragen einig waren: Außen- und Militärpolitik (Afghanistan, Ukraine, Russland), Finanzpolitik („Schwarze Null“), Migrationspolitik. Sicherlich, in Fragen der Umwelt- und Verkehrspolitik haben vor allem die Grünen immer eine andere Politik gefordert. Aber diese zusammen mit FDP und CDU ernsthaft umzusetzen, ist nicht zu erwarten.

Die Agonie der Bundesrepublik kann sich noch über Jahre hinziehen. Derzeit herrscht im Land zwar eine Wechselstimmung, diese wird zu einem Kanzlerwechsel und vlt. auch zu einem Koalitionswechsel führen, doch der Regierungswechsel wird keinen Politikwechsel mit sich bringen. Es herrscht zwar Unbehagen über die allgemeinen Zustände, weil die allgegenwärtigen Krisen von niemandem zu übersehen sind, doch bisher ist hieraus nur in wenigen Bevölkerungsgruppen ein irgendwie zielgerichteter Zorn auf die Verantwortlichen erwachsen. Diese Gruppen stehen mit dem Rücken zur Wand, denn die große Mehrheit ist offensichtlich einverstanden mit der Politik der Merkel-Ära, bzw. versucht sich mit Scheindebatten z.B. über Rassismus, Willkommenskultur oder „inklusive Sprache“ abzulenken. Daher muss es wohl schlimmer werden, bevor es überhaupt besser werden kann.

Und es wird schlimmer werden: Ohne Politikwechsel ist mit einer Verschärfung der multiplen Krisen für die Zukunft zu rechnen. Der Grundrechtsentzug in der Coronakrise wird zum kommenden Frühjahr vielleicht verebben, doch neue Wellen werden kommen, z.B. in Form neuer vermeintlich gefährlicher Grippe-Epedemien oder Corona-Mutanten. Sowohl das Muster der Lockdowns als auch der Nötigung, wie aktuell zum „freiwilligen“ Impfen, oder Gesundheitszertifikate werden dann wiederkehren. Ebenso ist zu befürchten, dass diese nun erprobten Maßnahmen auch zur Umsetzung anderer politischer Ziele, etwa Klimaschutz, missbraucht werden: Wer nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Als Folge der Coronapolitik, ebenso aber auch als Spätfolge der vielen Sünden der Merkelzeit kommen darüber hinaus schwere wirtschaftliche Zeiten auf Deutschland zu. Zu einer Verbesserung der inneren Sicherheitslage wird dies kaum beitragen, und auf eine Stabilisierung der internationalen Sicherheit braucht keine Regierung zu hoffen. Die diffuse Unzufriedenheit im Land wird daher weiter wachsen, die Regierung wird im Schulterschluss mit den Medien diese mit dem bisher erfolgreich genutzten „Social Engineering“, Propaganda und durch Ausgrenzung Andersdenkender bekämpfen. Das wird eine Weile noch funktionieren, auch weil viele Menschen geradezu zwanghaft die Augen verschließen, bis, vielleicht an irgendeiner Petitesse, sich die Unzufriedenheit einer dann überraschend großen Masse kristallisiert und in mehr oder weniger unangenehmer Form Bahn bricht. Nur ob das nächstes Jahr passiert, oder wir noch 10 Jahre leiden müssen, kann keiner vorhersehen.

Am 26.09.2021 wählt Deutschland den zwanzigsten Bundestag. Im Endspurt vor der Wahl melde ich mich wöchentlich zu Wort. Nach zwei (1, 2) sehr grundsätzlichen Aufsätzen soll nun eine Bilanz der Regierungsarbeit der ablaufenden Legislatur gezogen werden. Das fällt nach den alles überschattenden Corona-Ereignissen schwer, daher ein eher schlaglichtartiger Blick auf die Regierung – trotzdem soll auch die Phase des Regierens unter „gewöhnlichen“ Umständen nicht völlig vergessen werden.

Die Regierungsbildung 2017 verlief so holprig, dass sie sich bis März 2018 verzögerte, denn die SPD stand zunächst zu ihrem Versprechen, nicht für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen. So begann die Kanzlerin eher widerwillig, mit Grünen und FDP über „Jamaika“ zu verhandeln. Nach mehreren Wochen verließ schließlich die FDP unter dem Motto „besser nicht regieren, als falsch regieren“ die Verhandlungen. Wolfgang Kubicki (FDP) meint übrigens, die Kanzlerin habe darauf hin taktiert, dass die Verhandlungen scheitern, um einen Grund zu gewinnen, dass die SPD doch an einer Koalition teilnehmen müsse. Ob er recht hat, oder nicht: So kam es dann, und natürlich hat die SPD ihr Wort gebrochen, und die nächste „GroKo“ nahm ihre Arbeit auf. Die bis dahin amtierende geschäftsführende Regierung Merkel III hat übrigens die Geschäfte nicht geführt, denn sie hinterließ ein Land ohne verabschiedeten Haushalt.

Die Legislaturperiode wurde von drei wesentlichen Themen bestimmt: Der Konfrontation zwischen CSU und CDU im Streit um die Asylpolitik 2018, der Klimadebatte, die sich am Streit um den Hambacher Forst in Deutschland neu entzündete, und interational durch die Auftritte Greta Thunbergs und „Fridays for Future“ weltweite Aufmerksamkeit erhielt, und ab März 2020 der seither alles verdrängenden Coronakrise. Während der Asylstreit ein hausgemachtes Thema war, fiel mit der Klimadebatte der Regierung die eigenejahrelange Ignoranz und Untätigkeit auf die Füße. Und mit Corona gab es dann eine waschechte externe Krise zu managen.

Kanzlerin Merkel bekam zwar ihren vermeintlichen Willen nach einer Koalition mit der SPD, aber gleichzeitig war zunächst ein fortschreitender Kontrollverlust der Kanzlerin feststellbar. Den Anlass für die Regierungskrise von 2018 hat Merkel durch ihre verheerende Asylpolitik selbst geschaffen. Das anschließende Debakel bei der hessischen Landtagswahl zwang sie dann zum Verzicht auf den Parteivorsitz und der Ankündigung, nicht für eine fünfte Amtszeit als Kanzlerin zur Verfügung zu stehen. Das Flüchtlingsthema beruhigte sich zwar wieder, doch mit dem Hambacher Forst, Greta Thunberg und „Fridays for Future“, einer Welle von Demonstrationen von Schülern und Studenten gegen die verfehlte weltweite Klimapolitik, stand die nächste Großkrise vor der Tür, bei der die Regierung mehr als alt aussah. Die ex-Umweltministerin Merkel, die „Klimakanzlerin“ von 2007, führte jahrelang Regierungen, denen Umweltpolitik offensichtlich völlig egal waren, und wurde nun von den Folgen der eigenen Untätigkeit eingeholt wurde. Besondere Verdienste um die Merkelsche Klimapolitik hat sich Peter Altmaier (CDU) erworben; zuvor Umweltminister, dieses Mal dann Wirtschaftsminister.

Zur Corona-Krise wurde vielfach auf das Versagen der Regierung hingewiesen, z.B. auf die drei Maskenaffären. Die erste davon wurde von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verschuldet, nämlich die unlimitierte Beschaffungsausschreibung für Masken, bei der die Regierung dann nichtmal für die „Zeche“ zahlen wollte. Die zweite betraf das Parlament, nicht die Regierung. Und die dritte war albernes Gekreische der Opposition. Gerne genannt wird auch die Impfstoffbeschaffung Anfang 2021, oder die schon mehrfach unterbliebene Beschaffung von Luftfiltern für Schulen genannt. Das ist aber alles Kleinkram, verglichen mit den monatelangen Lockdowns, die unter falschen Versprechungen verhängt wurden. Im November 2020 ein „Lockdown Light“, damit wir ein schönes Weihnachtsfest feiern können. Ab Dezember 2020 dann richtiger Lockdown, „bis die Risikogruppen geimpft sind“. Als dann im Frühjahr die Risikogruppen geimpft wurden, kam mit der „Bundesnotbremse“ noch eine Verschärfung. Erst im Mai 2021 endete der Lockdown dann. Obwohl wir nun ziemlich viele geimpft haben – weitgehend alle, die geimpft werden wollten – ist ein Ende der Schikanen nicht in Sicht, eher im Gegenteil. Die Corona-Maßnahmen sind ein Gesamtkunstwerk aller Landesregierungen und der Bundesregierung, aber über allem schwebt das Kanzleramt mit Helge Braun und Angela Merkel, die ohne Sinn und Verstand Maßnahme um Maßnahme fordern, anstatt den Pandemiezustand zu beenden, wie es z.B. Dänemark und Großbritannien getan haben.

Immer einen Absatz wert ist das Verkehrsministerium – standesgemäß mit bestem CSU-Personal besetzt. Diese Legislatur war das Andreas Scheuer. Eines von dessen Großprojekten war die Gründung der Autobahn GmbH. Versprochen wurden Einsparungen, erbracht wurde eine Verdreifachung der Kosten. Aber wengistens sind wieder ein paar Berater von der Straße geholt worden. Ansonsten hat er die tollen E-Scooter zugelassen, mit denen jetzt die Innenstädte vollstehen. Freilich hat der Minister seinen Job getan: Er hat Gelder nach Bayern umgelenkt. Wie lautete noch gleich der Amtseid eines Bundesministers? Irgendwas mit „Kraft dem Wohle des bayerischen Volkes widmen“, oder?

Am Schluss der Legislaturperiode hat dann noch eine weiteres Feld des Versagens Früchte getragen: Afghanistan. Fast zwanzig Jahre hat Deutschland da – gegen den Mehrheitswillen der Deutschen – Krieg geführt. Kurz vor dem Jubiläum endet der von der NATO begonnene Krieg mit einer grandiosen Niederlage: Binnen weniger Wochen haben die Taliban Kabul eingenommen, bevor die Besatzer ihre Truppen, Diplomaten und die vielgenannten „Ortskräfte“ evakuiert hatten – so, wie es u.a. die deutsche Botschaft befürchtet hat. Das Außenministerium, geleitet von Heiko Maas (SPD), hat das ignoriert. Die Bundeswehr, angeführt von der gescheiterten kurzzeit-CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat erst spät eine Evakuierungsmission begonnen, als andere Länder schon dabei waren. Das Personal der Botschaft musste entsprechend von den USA zum Flughfen gebracht werden. Die Ausreise der „Ortskräfte“ wurde dann von Innen- (Horst Seehofer, CSU) und Außenministerium gemeinsam mit Bürokratismen, z.B. fehlenden Corona-Tests und fehlenden Ausweisdokumenten sabotiert. Gemessen an den Voraussetzungen lief die Evakuierung dann vergleichweise erfolgreich, auch wenn – welch Überraschung – auch einige nicht-Ortskräfte, die schonmal aus Deutschland abgeschoben wurden, von der Bundeswehr ausgeflogen wurden.

Angela Merkel tritt nach menschlichem Ermessen nach der Wahl als Kanzlerin ab. Viele weitere politische Horrorgestalten ihrer Zeit sind verschwunden, wie etwa Andrea Nahles, Karl-Theodor zu Guttenberg, Franz Müntefering, Annette Schavan, Philipp Rösler, Hans-Peter Friedrich, Christian Schmidt, Katharina Barley, um nur Bundespolitiker zu nennen. Andere stehen hoffentlich vor dem Ende ihrer politischen Karriere: Altersbedingt Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer. „Flintenuschi“ von der Leyen sind wir noch nicht ganz los, aber geteiltes Leid ist halbes Leid: Ihr Wirkungsradius erstreckt sich nun auf die ganze EU. Ähnlich „Bundesuhu“ Steinmeier, der als Bundespräsident im politischen Ablinkbecken sitzt. Mit viel Glück werden auch Heiko Maas, Peter Altmeier, Helge Braun, Svenja Schulze, Andi Scheuer und Jens Spahn nicht mehr mit Regierungsaufgaben versehen. Am Schluss kann man nur sagen: Endlich, die Ära Merkel geht vorbei.

Am 26.09.2021 wählt Deutschland einen neuen Bundestag, und im Endspurt vor der Wahl melde ich mich wie üblich wöchentlich zu Wort. Nachdem ich letzte Woche die Veränderung unseres Staates in einen historischen Kontext gesetzt habe, möchte ich in diesem Aufsatz die These begründen, dass sich unsere bisherige Gesellschaftsordnung in Auflösung befindet.

Wiederkehrende Angriffe auf unsere Gesellschafts- und Verfassungsordnung, auf Bürgerrechte, Freiheitsrechte, Sozialstaat, Frieden und vieles mehr – das sind wir seit Jahrzehnten gewohnt. Ebenso, dass diese Angriffe von unseren eigenen Regierungspolitikern ausgehen. Über lange Zeit sind die Verteidiger unserer Gesellschaft – martialisch formuliert – in zermürbenden Rückzugsgefechten in kleinen Schritten zurückgedrängt worden. Dabei konnten Verteidiger der Grundrechte stets auf breite gesellschaftliche Unterstützung bauen: Die Proteste gegen Voratsdatenpeicherung, den biometrischwen Personalausweis, den Irakkrieg, die Hartz-IV-Gesetze, Internetsperren („Zensursula“) waren nicht immer erfolgreich, aber trafen auf einen Nerv und hatten immer eine große gesellschaftliche Wirkung.

Neu ist jedoch, dass die Bürgerrechtler zum ersten Mal seit 1945 in Deutschland am Rande einer totalen Niederlage stehen. Neu ist das dröhnende Schweigen zu Grundrechtseingriffen, die seit der Coronakrise in neuer Dimension durchgesetzt wurden. Seit siebzehn Monaten besteht in Deutschland eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“, seither wurden in Deutschland hunderte Gesetze und Verordnungen erlassen, mit denen massive Beschränkungen unserer Bürger- und Freiheitsrechte umgesetzt wurden. Mit Corona sind alle Dämme gebrochen, und es scheint, als hätten die Bürgerrechtler den Kampf schon aufgegeben.

So wie sich die Schlagzahl der Angriffe auf die Bürgerrechte regelrecht exponentiell erhöht hat, haben sich auch gesellschaftliche Veränderungen beschleunigt, die seit Jahren bereits im Gange sind. Mit Corona offenbart sich beispielsweise, wie sehr sich unsere Wahrnehmung und unser Umgang mit Risiken verschoben hat. Früher war es allgemeines Lebensrisiko, dass man sich zuweilen irgendwo eine Infektion einfing, die, je nach Art des Virus, eigener Konstitution und Zufall, fast immer harmlos, aber zuweilen auch ernsthafter verlaufen konnte. Dieses Risiko wurde in Kauf genommen: Von wenigen besonders gefährdeten Menschen abgesehen, trug man in der westlichen Welt keine Masken, weder zum Eigenschutz, noch erwartete man das von seiner Umgebung. Heute höre ich von vielen Menschen, dass man sich wünsche, die Maskenpflicht im ÖPNV oder im Supermarkt doch bitte auch nach Corona beizubehalten. Das, was früher allgemeines Lebensrisiko war, sind viele Menschen heute nicht mehr bereit, in Kauf zu nehmen. Eine schleichende Veränderung unserer Risikowahrnehmung zeigte sich allerdings schon lange, etwa in den ausufernden Sicherheitsvorschriften für alles Mögliche, oder auch in der sinkenden Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder alleine und unbeaufsichtigt auf den Schulweg zu schicken.

In dem Wunsch nach fortgesetzten Schutzmaßnahmen vor dem Virus zeigt sich allerdings noch etwas anderes: Aus dem früheren Anspruch auf gute Gesundheitsversorgung im Krankheitsfall ist ein Anspruch auf gute Gesundheit geworden. Das klingt unscheinbar, ist jedoch in Wahrheit ein Zivilisationsbruch. Steht der Anspruch auf Gesundheitsversorgung in der klassischen Tradition des Sozialstaats, steht ein Anspruch auf Gesundheit in überhaupt keiner hiesigen Tradition. Es ist vielmehr ein Ausdruck der Abkehr von der christlichen Prägung unseres Menschenbildes, dass der Vorstellung entspringt, das Leben sei von Gott gegeben, und werde von Gott genommen. Dieser Vorstellung steht ein empfundener Anspruch auf ein langes Leben diametral gegenüber, wäre es doch der Anspruch eines Menschen gegenüber Gott. Man mag das gut oder schlecht finden, aber neutral betrachtet zeigt sich einmal mehr, ebenso wie z.B. schon in Debatten über die „Ehe für Alle“, dass die Abkehr vom christlichen Erbe unserer Gesellschaft über den bloßen Zerfall der kirchlichen Institutionen hinausreicht.

Schon vor drei Jahren hatte ich Zerfall der Diskurskultur in Deutschland beklagt: „Affekte ersetzen Argumente, Stimmungsmache ersetzt Meinungsbildung und bestehende Auffassungen von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit werden von publizistischer Selbstjustiz, begangen von Menschen mit absolutistischen Vorstellungen ihrer eigenen Moralvorstellungen, ersetzt.“ All das konnten wir während Corona wieder beobachten, nur in gesteigerter Intensität: Eine Meute von gefühlten 95 % der Medien und zwei Dritteln der Bevölkerung fiel über jeden her, der ohne Maske gesichtet wurde, an der Allgemeingefährlichkeit des Virus gezweifelt hat, sorgen ob der Wirksamkeit oder Sicherheit der Imfpung geäußert hat, oder gar die Maßnahmen wie Lockdowns oder Maskenpflicht für unsinnig oder unverhältnismäßig hielt. Erst wurden ab 2010 die Kritiker des Euro an den Rand der Gesellschaft gedrängt: Sie seien ewiggestrige Antieuropäer. Daraus gründete sich die AfD. Dann wurden 2015 die Kritiker von „Refugees Welcome“ geächtet: Wer auch nur leise Kritik oder Besorgnis äußerte, war ein Fremdenfeind. Die AfD verdoppelte ihr Wählerpotential. 2020 wurden nun die Gegner der Coronamaßnahmen zu unsolidarischen „Covidioten“. Parallel wurden noch einige einzelne vermeintliche „Rassisten“ auf den medialen Scheiterhaufen verbrannt. In gut 10 Jahren wurden drei sicherlich überlappende, aber definitiv nicht identische Bevölkerungsgruppen von der Mehrheitsgesellschaft und den Medien mit bemerkenswertem Furor zu Aussätzigen erklärt.

Das gesteigerte Verlangen nach Schutz vor Risiken geht eine unheilvolle Symbiose ein mit dem Drang der Herrschenden, die Bevölkerung zu überwachen und unterdrücken: Dieselben Maßnahmen, die die Bürgerrechte faktisch außer Kraft setzen, werden mit dem Schutzverlangen der Bürger begründet. Anscheinend haben die Herrschenden gelernt, mit den neuen Kommunikationsmedien so umzugehen, dass die Massen ihnen folgen: Angestachelt von den hochfrequenten modernen Netzmedien, beklatscht die Masse, wie ihre eigenen Rechte beseitigt werden. Hatte sich der Volkszorn vorher oft für eine gerechte Sache eingesetzt, tanzt er jetzt nach der Pfeife der Eliten. Weil sich die Eliten, Medien und Bürger in ihrer selbstgebuten Echokammer inzwischen widersprechende Fakten ausblenden und sich stattdessen gegenseitig in ihrem Weltbild bestärken, ist der gesellschaftliche Kipppunkt damit schon überschritten. Dabei produziert unsere Gesellschaft immer wieder politische Aussätzige. Kurz- und mittelfristig bestärkt das die Masse sogar in ihrer Haltung; ein gemeinsamer „Feind“ hält das Schiff auf Kurs. Langfristig aber steuern wir auf einen politischen Kipppunkt zu, an dem die Mehrheitsgesellschaft zur Minderheit wird, und die Aussätzigen anfangen, untereinander Bündnisse einzugehen.

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